Begrüßung am „Kraftplatz“ auf dem Stiegl-Gut Wildshut
14.08.2023

Brautechnologie in Praxis und Theorie

Leidenschaft Bierbrauen | Bereits zum fünften Mal versammelten sich vom 28. Juni bis 1. Juli 2023 gut 40 Braumeister zu Axel Kiesbyes Braumeistercamp in Obertrum am See in der Nähe von Salzburg. Das insgesamt viertägige Programm auf dem Stiegl-Gut Wildshut verband auf einzigartige Weise ein wissenschaftliches Vortragsprogramm zu brautechnologischen Themen mit der praktischen Anwendung, bei der man den internationalen Braustars buchstäblich über die Schulter und in die Sudkessel blicken konnte.

Spektakulär in der „historischen“ Rückbetrachtung ist die Tatsache, dass das Braumeistercamp zu den seltenen Veranstaltungen gehört, die auch während der Corona-Jahre durchgehend stattfinden konnten. 2020 musste der Termin zwar wegen behördlicher Auflagen verschoben werden, stattfinden konnte das Seminar aber auch in jenem Jahr. Der Termin im Sommer, zu dem sich die Pandemie immer etwas entspannter darstellte und die Tatsache, dass die Veranstaltung zu großen Teilen unter freiem Himmel stattfindet, trugen dazu bei.

Stiegl-Gut: Gelebte Kreislauf­wirtschaft

Ein Ort der Veranstaltung, das Stiegl-Gut Wildshut, das „1. Biergut Österreichs“, verdient eine besondere Erwähnung. Die Salzburger Privatbrauerei Stiegl hat mit dem Stiegl-Gut ein wahres Kleinod geschaffen. Die Mitarbeiter dort nehmen die Kreislaufwirtschaft „vom Feld ins Glas und auf den Teller“ in allen Schritten in die eigenen Hände. Die Mitarbeiter bauen in der zugehörigen Bio-Landwirtschaft Urgetreidesorten und Hopfen an, die sie dann in eigener Mälzerei, Rösterei und Brauerei weiter veredeln, bis hin zu Bierbränden und Whisky. Dem Bierbrauen widmet das Stiegl-Gut besondere und zentrale Aufmerksamkeit. Die Rohstoffe stammen wie erwähnt aus der eigenen Bio-Landwirtschaft, das Brauwasser aus dem eigenen Brunnen. Der Sortenreigen umfasst „Standard-Bierstile“, aber auch fassgereifte Spezialitäten bis hin zum Bio-Urbier, das – unter freiem Himmel vergoren – in handgetöpferten Amphoren reifen darf.

In der hofeigenen High-End-Cuisine kommt das auf den Teller, was gerade Saison hat und auf dem „Biergut“ gedeiht. Das Fleisch stammt ebenfalls von der gutseigenen Bio-Landwirtschaft.

Fachsimpeln mit Gleichgesinnten

Die Brauanlagen fanden auf dem großzügigen Hof Platz, zwischen Flügel des Gästehauses auf der einen Seite, hier auch der Saal für die Vorträge, und dem sogenannten „Moarhaus“ auf der anderen Seite. Das Moarhaus, eine ehemalige Scheune, präsentierte sich auf dem Braumeistercamp mit Zapftheke und Kühlschränken ausgestattet als Ort, an dem sich mit KollegInnen trefflich bei einem kühlen Bier zwischen Fachvortrag und Biersud fachsimpeln ließ.

Brauen mit den Stars

Auch in diesem Jahr konnte die Kiesbye Akademie wieder internationale „Brau-Stars“ für das Braumeistercamp gewinnen, die an den Sudkesseln ihre Rezepte und in den Vorträgen ihr Fachwissen preisgaben.

Gleich zwei Wacholder-Infusionen gab es zu erleben: Lars Marius Garshol, Experte für traditionelle Farmhaus-Brautechniken, braute im Kupferkessel ein Raw Ale, und Dr. René Rehorska von der FH Johanneum in Graz und Dr. Gunter Almer, Medical University of Graz (!), unterstützten sich gegenseitig bei ihren Suden. Dr. Rehorska kreierte ein Grätzer Bier aus 100 Prozent Weizenrauchmalz und Dr. Almer wagte sich an ein Milkshake Stout. Megan Parisi, Head Innovation Brewer der Samuel Adams Brewery aus Boston, USA, hatte ein Rezept für ein Hazy IPA im Gepäck und Alex Barlow, Head Brewer von Triple Point Brewing in Sheffield, UK, bereitete ein Honig Saison zu. Doreen Gaumann, Braumeisterin bei der Union Brauerei Bremen, präsentierte ihre Art, ein Witbier zu brauen.

Intensive Harz-Aromen entfalteten sich bei der Wacholder-Infusion im „Raw Ale“ von Lars Marius Garshol

Einen Überraschungsgast, einen weiteren Star, bot die Veranstaltung in Person von Hans-Peter Drexler. Würde man in Deutschland nach einem „Weißbier-Papst“ fragen, dann würde wohl mit Sicherheit sein Name als Antwort kommen, denn er lenkte fast 40 Jahre die Technik bei Schneider Weisse G. Schneider & Sohn. Etwas weniger überraschend daher auch Drexlers Antwort, auf die Frage seines Bierstils: „Ein Weißbier natürlich!“

Wissenschaftliches Vortrags­programm

Im Seminarraum fanden parallel zu den Biersuden Vorträge zu rein brautechnologischen Themen statt. Das Programm an den beiden kombinierten Seminar-/Brautagen war äußerst dicht und hatte es in sich. Die Teilnehmer hatten dabei so etwas wie die Qual der Wahl, ob sie lieber beim Biersieden mitmachen, oder die Vorträge hören wollten. Wie in den vergangenen Jahren prophezeite Kiesbye schon bei der Begrüßung: „Ihr werdet nicht alles gleichzeitig schaffen!“

Oliver Wesseloh, Kehrwieder Kreativbrauerei Hamburg, startete das Programm mit einem Überblick über Verfahren zur Herstellung alkoholfreier Biere und deren sensorische Auswirkungen auf das fertige alkoholfreie Bier. Wesseloh, der sich vor allem als Kreativ-Brauer einen internationalen Namen gemacht hat, überraschte mit der Tatsache, dass seine Sorte „über.NormalNull“, ursprünglich aus einem Scherz heraus entstanden, heute seine verkaufsstärkste Sorte darstellt. Wesseloh beobachtet auf dem Markt der alkoholfreien Craft Biere momentan extrem starke Bewegung und Aufbruchstimmung.

Mareike Hasenbeck, Journalistin und Bier-Sommelière, ist bei Bierliebhabern keine Unbekannte. Seit mehr als zehn Jahren betreibt sie den Bier-Blog feinerhopfen.com. Sie referierte über Trendbierstile und die kaum zu überschätzende Bedeutung von Social Media für eigene Marketing-Aktivitäten.

Auch der Verband der Privaten Brauereien Bayern sendete zwei Teilnehmer zum Braumeistercamp. Niemand geringeres als Präsident Georg Rittmayer, Brauerei Rittmayer, und Stefan Stang, Geschäftsführer, ließen sich die Teilnahme am Seminar nicht entgehen. Stefan Stang gab in seiner Vorstellung des international wichtigen Bierwettbewerbs European Beer Star viele Insider-Infos zum Besten und präsentierte eine kleine Verkostungsauswahl von Siegerbieren.

Alex Barlow von Triple Point Brewing, Sheffield, UK, ging dem Unterschied von Englisch Bitter und Pale Ale auf den Grund. Falls es denn, abgesehen vom informellen englischen Sprachgebrauch, überhaupt einen Unterschied geben sollte. Denn im Pub bekam man, wenn man ein „Bitter“ bestellte, ein Pale Ale. Früher wurde das Englisch Bitter auch schon einmal als „boring brown beer“ bezeichnet. Aber eine vergleichende Verkostung von drei unterschiedlichen Englisch Bitters machte klar, dass sich aus den Stilvorgaben heraus aufregende und auch sehr unterschiedliche Biere brauen lassen.

„Wie lässt sich das Pumpkin Ale auch im deutschen Reinheitsgebotsmarkt implementieren?“, fragte Doreen Gaumann, Braumeisterin bei Union Brauerei Bremen, und gab Tipps für die Umsetzung des Bierstils in der Praxis.

Prof. Thomas Schlechter, Fachhochschule Oberösterreich, informierte über den Einsatz von künstlicher Intelligenz in der Brauerei und im Biersommelier-Wesen. Erste E-Nose Systeme, die in der Lage sind, spezifische aromaaktive Substanzen zu erkennen und zu quantifizieren, sind laut Dr. Schlechter bereits in Betrieben in der Erprobungsphase. Trickreich ist auch die Verwendung etablierter „analoger“ Messsysteme wie NIS, die mittels Software-Auswertung der Messergebnisse bereits in der Lage zur smarten Erkennung von Bierfehlern sind.

Ein Highlight war sicherlich Megan Parisis nicht nur titelmäßig inspirierender Vortrag zu „Cocktail inspired beers“. Für Parisi ein Projekt zur Zusammenführung ihrer zwei Leidenschaften Bier und Cocktails. Mit dem Reinheitsgebot sind diese Rezepte zwar kaum zu vereinbaren, für Parisi steht aber beim Rezept-Design immer der Grundsatz „brew it, don’t put aroma in it“ an erster Stelle. So führt das letztlich in der Brauerei – auch wenn die Biere nicht bis zur Markteinführung gelangen – zur Entwicklung neuer Techniken, zu neuen Aromen und sorgt für immer neuen Gesprächsstoff unter den treuen Fans der Brauerei.

Brautechnologische Theorie vermittelten die Fachvorträge

Dr. Mathias Hutzler, TUM-Forschungszentrum Weihenstephan BLQ, machte sich auf die Hefejagd in alten Kellern und auf heiligen Bäumen. Treibende Kräfte für seine Jagd nach neuen und alten Hefen ist einerseits die bislang nicht vollständig geklärte Frage nach dem Ursprung der untergärigen Hefe: Wo kommt Saccharomyces eubayanus her? Und zum zweiten die vielleicht überraschende Erkenntnis, dass der große Teil der von ihm isolierten Hefenarten sehr positive Aromen bei der Fermentation von Bierwürze erzeugt und sich daher potentiell für die Bierherstellung eignet. Gerade im Fall von gärschwachen Hefen und dem anhaltenden Trend zu alkoholfreien Bieren gibt es hier noch einige Schätze der Natur zu heben.

Stefan Lupprich, Fermentis, präsentierte technologische Möglichkeiten, die Aromatik alkoholfreier Biere zu verbessern. Die Restsüße, die bei der Fermentation mit einer gärschwachen Hefe im Bier bleibt, lässt sich sehr gut durch Würzesäuerung balancieren. Moderate Kalthopfung bringt eine leichte Hopfennote ins Bier, diese Variation bekam in der Verkostung die besten Noten der Teilnehmer.

Lars Marius Garshol schlug – ausgehend von einer traditionellen Sichtweise auf die Herstellung von Bier – eine Klassifikation von drei grundlegenden Zubereitungsarten vor: Biere, in denen die Maische/Würze durch heiße Steine erhitzt wird (zu Zeiten hölzerner Bottiche), Biere in denen Maische/Würze in der „Pfanne“ erhitzt wird und schließlich Biere, bei denen die Maische im Ofen gebacken wird. Diese Art der traditionellen Bierherstellung, die Garshol bei seinen Forschungen im Baltikum und Russland entdecken konnte, bringt ungewohnt intensive Karamell- und Röstaromen ins Bier.

Jan Brücklmeier, Unternehmensberater und Autor, aus den USA via Zoom der Veranstaltung zugeschaltet, hatte Überlegungen zum Thema Kohlendioxid und Karbonisierung im Gepäck. CO2 erhöht die Geschmackswahrnehmung, sorgt geradezu für „turbogeladene“ Aromen. Wobei auf verschiedene verstärkende und abschwächende Effekte zu achten sei. Nicht zuletzt auch auf die sensorisch zu bevorzugende „fein eingebundene“ CO2, die sich bei der Flaschengärung im Vergleich zur gröber perlenden Zwangskarbonisierung ergibt.

Hopfengarten des Stiegl-Guts Wildshut

Den furiosen Abschluss des Vortragsprogramms gestaltete Dr. René Rehorska, FH Johanneum: Das Bier und seine Botanik jenseits von Hopfen und Gerste war sein Thema, das er mit fast schon lexikalischer Gründlichkeit vorbereitet hatte und mit viel augenzwinkerndem Humor vortrug.

Ein Fest für Braumeister

Für Veranstalter Axel Kiesbye stellt das Braumeistercamp „die am meisten unterschätzte Veranstaltung“ im Bereich Technologie dar. „Angesprochen sind, der Name ist Programm, alle Braumeister, alle Leute die eine gemeinsame Leidenschaft teilen: die Leidenschaft zum Bier brauen. Egal ob es sich um gewerblich arbeitende Braumeister in einer großen Brauerei handelt oder den ambitionierten Heimbrauer“, sagt Kiesbye.

Sich selbst sehe er als brautechnologisch ausgebildeten Marketing-Spezialisten. Das spiele in alle Aspekte seiner Arbeit. Ob bei seinen Kursen zum diplomierten Biersommelier oder Sensorik Manager in der Brauerei oder bei den Bieren, die er zusammen mit Mitarbeitern, aber auch Seminargruppen im Bierkulturhaus in Obertrum braut. Entscheidend sei immer die Brautechnologie in Verbindung mit einer besonderen Geschichte, die zum Bier passe. Diese Haltung wird im Braumeistercamp offensichtlich: Hier verbinden sich Elemente des Event-Managements mit Elementen der Didaktik, knallharte wissenschaftliche Vorträge eben.

„Die Bilder vom Braumeistercamp vermitteln Geselligkeit, Spaß und Freude. Da könnte vielleicht der Eindruck entstehen, dass das nur für Hobbybrauer etwas sein könnte. Aber wir haben hier tatsächlich internationale Top-Leute, die wirklich geballtes Wissen weitergeben. Es gibt viele Brauer, die machen Dinge etwas anders als alle anderen und sind damit auch noch sehr erfolgreich. Und das ist natürlich unbezahlbar, wenn man sich hier technologisch auf den neuesten Stand bringen kann: ‚Was bringt eine Whirlpooltemperaturabsenkung auf 80 °C wirklich? Oder warum maischt sie insgesamt nur 30 Minuten? Warum funktioniert das bei dir so gut?‘ Das ist für alle Beteiligten unglaublich wertvoll, denn man kann aus diesen Gesprächen so viel für den beruflichen Alltag mitnehmen. Ja, wir sind eine Veranstaltung für Profis!“, so Kiesbye.

Braumeistercamp 2023
28.6.-1.7.2023, Obertrum, Österreich

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