Craft-Rohstoffe für Craft Bier?
Seit kurzer Zeit erscheinen in den USA mehrere kleine Hopfenerzeuger und Craft-Mälzer auf der Bildfläche und bieten den lokalen Craft-Brauern nun erstmals eine Wahl zwischen handwerklich und konventionell hergestellten Rohstoffen an. In den Vereinigten Staaten haben sich sogar einige Brauereien zu sogenannten „Estate Brauereien“ entwickelt, die ihren eigenen Hopfen- und Gerstenanbau betreiben. Während es intuitiv plausibel erscheint, dass Craft Biere aus handwerklich hergestellten Zutaten gebraut werden sollten, untersucht dieser Artikel die Herausforderungen, vor denen kleine Hopfen- und Malzproduzenten stehen, sowie die potenziellen Risiken und Möglichkeiten für Brauereien bei einer eventuellen Umstellung von industriellen auf Craft-Zutaten.
Bei dem Wort „Craft“ denkt man in den USA an Produkte, die aus lokalen Materialien kreativ in Handarbeit gefertigt werden. Verbraucher schätzen die Qualität dieser Produkte, die sich häufig von industriell hergestellter Produkte abhebt. Craft Bier genießt besonders in den Vereinigten Staaten eine erhabene Stellung im Verbraucherbewusstsein, denn diese Biere entstanden ursprünglich ja als Alternative zu den einheitlichen, geschmacksarmen Industriebieren, die bislang den US-Markt beherrschten. Bei Craft Bieren gibt es jedoch ein Paradoxon: Anders als in anderen Branchen, haben kleine, unabhängige Brauereien den guten Ruf ihrer Biere nicht auf handwerklich, sondern auf industriell hergestellte Hopfen und Malze aufgebaut. Die Rohstoffquellen selbst der kleinsten Brauereien sind oft Weltfirmen. Stellen die neuen Erzeuger von Craft-Rohstoffen vor diesem Hintergrund tatsächlich eine Alternative zu den bisherigen Rohstofflieferanten dar? Um diese Frage zu beantworten, lohnt sich ein Blick auf die Wirtschaftsmodelle der Hopfen- und Malzproduktion.
Das Wirtschaftsmodell der Hopfenproduktion
Der Hopfenanbau und die Hopfenverarbeitung sind ungemein kapitalintensive Wirtschaftszweige mit sehr hohen Einstiegsschwellen für Start-up-Unternehmen. Zum Beispiel können sich die Kosten für den Hopfengerüstbau auf nur einem Hektar, je nach Standort, auf bis zu 30 000 EUR belaufen. Diese Summe ist praktisch identisch mit dem Bruttoerlös pro Hektar, sobald das neue Feld voll produktiv ist, was in der Regel nach der Pflanzung etwa drei bis fünf Jahre dauert. Viele Hopfenpflanzerverbände gehen davon aus, dass ein Hopfenlandwirt mindestens sieben Hektar bewirtschaften muss, um rentabel zu sein, wobei diese Größe regional und je nach angebauter Hopfensorte unterschiedlich sein kann. Die Pfähle, die die Drähte und Seile tragen, sind sieben Meter hoch; auf einem Hektar werden bis zu 165 Pfähle benötigt, die fest in der Erde verankert werden müssen. Je nach Pfahlabstand, hat ein Hektar Platz für etwa 3500 bis 4500 Fechser, die in großen Betrieben mit Spezialmaschinen, in kleinen Betrieben jedoch oft per Hand in der Erde versenkt werden. Die zu Beginn der Vegetationsphase aufkommenden jungen Sprossen müssen innerhalb von wenigen Tagen in sorgfältiger Handarbeit um ihre Leitdrähte gewunden werden. Zudem entstehen Kosten für Herbizide und für eine Pflanzenschutzmittelspritze. Zur Erntezeit werden in großen Betrieben die Ranken von Abrissmaschinen, die oft mehr als 30 000 EUR kosten, gesammelt, während sie in kleinen Betrieben, die nicht über solche Maschinen verfügen, arbeitsintensiv per Hand geerntet werden.
Weil Hopfendolden innerhalb von nur wenigen Stunden nach der Ernte braun werden, müssen sie schnell getrocknet und dazu aufwändig und v. a. produktschonend bearbeitet werden. Der fertige Hopfen wird dann an Brauereien ausgeliefert oder zu Pellets weiterverarbeitet. Während die Pelletproduktion ganzjährig laufen kann, läuft die Doldenverarbeitungsanlage nur vier bis sechs Wochen pro Jahr auf Hochtouren. Anders als in anderen Industriezweigen, ist in der Hopfenverarbeitung ein großer Teil des riesigen Investitionsaufwands somit fast das ganze Jahr über unproduktiv.
Große Hopfenverarbeitungsunternehmen können eine Vielzahl von Hopfensorten führen – einschließlich ganz neuer Sorten. Sie beziehen rohen Hopfen aus den besten Hopfenregionen der Welt, wie zum Beispiel aus der Hallertau in Deutschland und aus den amerikanischen Bundesstaaten Washington, Oregon und Idaho. Diese vier Gebiete zusammen sind für etwa zwei Drittel des weltweiten Hopfenangebots verantwortlich. Weitere wichtige Hopfenanbaugebiete befinden sich in Kent in Großbritannien, Žatec in der Tschechischen Republik, Victoria und Tasmanien in Australien, im Elsass in Frankreich sowie in Teilen von Slowenien, Polen und Neuseeland. Hopfengroßkonzerne verfügen über hochentwickelte Analytik-Labore, um die relevanten technischen Parameter ihrer Produkte zu bestimmen. Somit können sich Brauereien darauf verlassen, dass sie konsistente, feuchtigkeits- und sauerstoff-kontrollierte Produkte mit optimaler Haltbarkeit geliefert bekommen. Mit diesen industriell verarbeiteten Hopfen können Brauereien ihre individuellen Biere kreieren, mit denen sie ihre Marken aufbauen.
Die Herausforderungen der Hopfenproduktion im kleinen Stil
Angesichts der enormen Investitionen für den Anbau und die Verarbeitung von Hopfen, ist die Verfügbarkeit von Kapital, in den USA, eine der größten Hürden für kleine Betriebe. Dies bedeutet, dass die Feldarbeit in der Regel manuell statt mit Maschinen durchgeführt wird. In Amerika gilt eine Faustregel, nach der ein Hektar Hopfen während des 20-Tage-Ernte-Fensters im August/September von etwa zehn Hopfenzupfern abgeerntet werden kann. Natürlich sind Maschinen genau wie Arbeitskräfte mit Kosten verbunden, jedoch sind mechanisierte Zupffinger wesentlich effizienter. Zudem sind Einrichtungen wie Darren und Ballenpressen bei geringem Produktionsvolumen viel schwerer zu amortisieren. Deshalb verkaufen Hopfenpflanzer in der Regel ihre Ernten an große Hopfenverarbeiter, statt sie selbst zu veredeln. In einigen Regionen lösen Hopfenpflanzer dieses Investitionsproblem, indem sie Vereinigungen gründen, die Verarbeitungsanlagen kollektiv besitzen und betreiben. Darüber hinaus verkaufen einige sehr kleine Pflanzerbetriebe Hopfen frisch vom Feld an Brauereien in ihrer Umgebung, die damit ein sogenanntes Grünhopfen- oder Nasshopfenbier herstellen. Solche Spezialbiere erhalten ihre Hopfenbittere und Aromen aus ungedarrten Dolden, die nur wenige Stunden nachdem sie auf dem Feld gezupft wurden, in die Sudpfanne kommen.
Obwohl Hopfen robuste Pflanzen sind, die in weiten Teilen der Welt wild wachsen, ist es für viele lokale Hopfenpflanzer, die Brauereien in ihrer direkten Umgebung versorgen, schwierig, die Pflanzen unter Kultivierung in einem gesunden Zustand zu halten. Dies liegt daran, dass in vielen Regionen die Böden und das Klima nur bedingt für den Anbau von Hopfen geeignet sind und dort stattdessen ideale Verhältnisse für Hopfenkrankheiten und -schädlinge wie Apfelmosaikvirus, Verticillium-Welke, Milben, Blattläuse und Mehltau herrschen. Es ist oft nicht möglich, diese Schädlinge ohne intensiven Pflanzenschutz in Schach zu halten. Schädlinge waren der wichtigste Grund, weshalb zum Beispiel im späten 19. Jahrhundert praktisch die gesamte amerikanische Hopfenwirtschaft, die damals im nördlichen Teil des Staates New York angesiedelt war, in die pazifischen Nordwest-Staaten abgewandert ist.
Das Wirtschaftsmodell der Malzproduktion
Genau wie beim Hopfen, ist auch die Umwandlung von Getreide in Malz sehr kapitalintensiv. Der Kapitalaufwand in einer Mälzerei beginnt mit einem geeigneten Silosystem, das es erlaubt, die Rohfrucht bei sorgfältig kontrollierten Temperaturen zu trocknen und zu belüften, ohne dabei zu viel Körnergewicht durch übermäßige Atmung zu verlieren. Getreide- und Malz-reinigungsmaschinen, die Fremdstoffe wie Spreu, Kernfragmente, Grannen, Staub und Schmutz eliminieren, verschlingen weitere Investitionen. Als nächstes kommen die Weichebehälter, Keimkästen, Darren und die Rösttrommeln sowie die Kontrollsysteme, die die gezielte Herstellung verschiedener Malzarten vom Pilsner Malz über das Münchener, Wiener, Melanoidin-, Diastase- und Karamell- bis hin zum Röstmalz ermöglichen. Am Ende stehen die Malzsilos, die Absackmaschinen und die Lagereinrichtungen. Mälzer haben jedoch einen Vorteil gegenüber Hopfenverarbeitern: Wenn die Getreiderohfrucht fachgemäß gelagert wird, ist sie, im Gegensatz zum schnell verderblichen frischen Hopfen, bis zu 18 Monate in gutem Zustand haltbar, so dass die Investitionen in einer Mälzerei, ob sie nun groß oder klein ist, das ganze Jahr über produktiv sein können.
Es ist offensichtlich, dass man kein hochwertiges Malz aus minderwertigem Getreide herstellen kann und industrielle Mälzer haben mit ihrer riesiger Kaufkraft und ihrem Zugang zu ausgedehnten Anbieternetzen viel bessere Möglichkeiten, als kleine, lokale Mälzer, Rohfrucht von bester Qualität zu finden. Sie können es sich leisten, bei der Eingangskontrolle sehr wählerisch zu sein, denn das Getreide sollte auf keinen Fall mit Mäusekot, Steinen, Metall, Blättern, Unkraut, Insekten oder Rückständen von anderen landwirtschaftlichen Erzeugnissen verunreinigt sein. Die Körner sollen unbeschädigt sein, eine hohe Keimzahl haben und frei von Schimmel und Krankheiten sein. Der Feuchtigkeitsgehalt sollte bei etwa 12 bis 14,5 Prozent liegen. Besonders wichtig ist, dass die Körner dick und homogen sind. Schließlich verwendet ein Qualitätsmälzer niemals Gibberellinsäure oder Getreide aus gentechnisch verändertem Saatgut.
Die Herausforderungen der Malzproduktion im kleinen Stil
Während kleine und unabhängige Hopfenbetriebe ihre Ernten entweder an große Hopfenverarbeitungsfirmen in ihrer Umgebung verkaufen, Produktionsgemeinschaften gründen oder ihren „nassen“ Hopfen an umliegende Kleinbrauereien verkaufen, können handwerkliche Mälzer heutzutage kleinere Mälzereianlagen von verschiedenen Herstellern aus mehreren Ländern kaufen. Die Herausforderung für Craft-Mälzer ist daher weniger die Kapitalanforderung, obwohl sie beachtlich ist, als die Qualität und Vielfalt ihrer Produkte. Im Einklang mit der Lokalität einer Craft-Lebensmittel-Verarbeitungskette, sind kleine Mälzer normalerweise darauf angewiesen, ihre Getreide von nur wenigen und wahrscheinlich kleinen Landwirtschaftsbetrieben in ihrer engen Umgebung zu beziehen. Die Launen der Natur bergen jedoch die allgegenwärtige Gefahr von schlechten Ernten. Es ist daher durchaus möglich, dass in manchen Jahren die lokalen Landwirte einfach nicht in der Lage sind, die benötigten Mengen an Rohfrucht zu liefern oder sie können nur Getreide liefern, das eigentlich nicht zum Mälzen und Brauen geeignet ist, da es zum Beispiel zu inhomogen, nicht ausreichend keimfähig oder von Schädlingen befallen ist. In einer solchen Situation hat ein lokal verankerter kleiner Mälzer selten die Möglichkeit, auf alternative Inputs von Rohstoffbörsen zurückzugreifen.
Was bedeutet das für Brauereien?
Anders als in vielen anderen Industriezweigen haben in der Hopfen- und Malzproduktion industriell hergestellte Waren eindeutig die Maßstäbe für Spitzenqualität, Vielfalt und Verlässlichkeit gesetzt. Das gilt sowohl für Massenbiere als auch für Craft Biere. Wie die vorstehenden Erörterungen der Produktionsprozesse für Braurohstoffe zeigen, haben Großbetriebe im Vergleich zu Kleinbetrieben, aus vielen wirtschaftlichen und technischen Gründen, wesentlich bessere Mittel, die Lieferung von Produkten, die alle relevanten Brauanforderungen erfüllen, zu gewährleisten. Auch sind ihre Sortimente in der Regel breit gestreut, so dass ein Brauer seiner Kreativität uneingeschränkt freien Lauf lassen kann. Industrielle Rohstoffe haben es selbst kleinen Brauereien ermöglicht, den Wünschen ihrer Verbraucher nach Bieren von konstantem Charakter und gleichbleibender Qualität gerecht zu werden.
Anderseits passt aus der Marketing-Perspektive das Konzept einer lokalen Beschaffung von Craft-Ingredienzien oft in den modernen Verbrauchertrend, sich mit Produkten aus der Region ernähren zu wollen. Lebensmittel und Getränke, die in einem bestimmten geografischen Raum angebaut und verzehrt werden, schaffen nachhaltige, emotionale und soziale Beziehungen zwischen Landwirten, Verarbeitern, Großhändlern, Einzelhändlern und Verbrauchern. Die Ernährungsphilosophie von heute betont gesundes Essen. Das beinhaltet unter anderem einen Vorzug für frische, authentische und häufig Bio-Zutaten, verantwortliche Landwirtschaft und Umweltschutz. Das sieht man zum Beispiel an der wachsenden Zahl von innerstädtischen Bauernmärkten sowie Restaurants, die eine „von der Mistgabel bis zur Essgabel“-Philosophie anpreisen. Solche Unternehmen lassen sich oft von immateriellen, sozialen Werten leiten, welche in bestimmten Märkten ihre eigenen ökonomischen Renditen erbringen, die sogar die betriebswirtschaftlichen Kalkulationen der Herstellungskosten oder brautechnische Erwägungen übertrumpfen können.
Fazit
Daher hängt die Wahl zwischen bewährten, industriell hergestellten Braurohstoffen einerseits und vielleicht riskanteren und limitierten Craft-Zutaten andererseits weitgehend von der Mission der Brauerei, ihrer Geschäftsstrategie, ihrem Wettbewerbsumfeld, ihrer Positionierung und Differenzierung am Markt und vermutlich auch von ihrer Größe ab. Während es für eine kleine Gasthausbrauerei wahrscheinlich ein Leichtes ist, ein Spezialbier aus lokalen, aber weniger zuverlässigen Zutaten zu riskieren, so ist es wesentlich schwieriger für eine Brauerei mit Sudgrößen von 100 hl oder mehr, das gleiche Risiko einzugehen. Dennoch findet man heute in den Sortimenten vieler, selbst größerer Craft-Brauereien in den Vereinigten Staaten saisonale, „nassgehopfte“ Spezialbiere. Viele Brauereien scheinen einen zweigleisigen Ansatz zu wählen: Sie stellen ihre wichtigsten „Brot-und-Butter“-Biere mit konventionellen Rohstoffen her, aber wagen sich gelegentlich an Craft-Rohstoffe für ihre Spezialitäten. Es ist daher nicht wahrscheinlich, dass Craft-Rohstoffe industrielle Rohstoffe im Craft-Brauwesen ersetzen werden. Allerdings bieten kleine Hopfen- und Malzproduzenten eine hervorragende Möglichkeit für abenteuerliche Craft-Brauer, ihre Sortimente mit interessanten, Limited-Edition-Kreationen zu erweitern.
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Schlagworte
Autoren
Elva Ellen Kowald
Quelle
BRAUWELT 18-19, 2017, S. 527-530
Firmen
- Cerevisia Communications, West Newbury, USA
Downloads
- 527-530_brauwelt_2017.pdf