„Wir wollen die Malzrevolution anführen“
Auf Innovationskurs | Sie gehört zu den führenden Malzherstellern weltweit: Die Boortmalt-Gruppe hat sich Innovation und Nachhaltigkeit in die Unternehmensziele geschrieben. BRAUWELT-Autorin Sylvia Kopp besuchte Group Innovation Manager Irina Bolat und Product Innovation Manager Cristal Peck am Hauptsitz der Gruppe in Antwerpen und traf auf zwei passionierte Führungspersönlichkeiten der Branche.
Der Hafen von Antwerpen erstreckt sich viele Kilometer lang im Mündungsdelta der Schelde. Mit 300 Liniendiensten zu mehr als 800 Zielen sorgt er für weltweite Konnektivität. Als Binnenhafen ist er zudem hervorragend über Schienen, Straßen, Fluss- und Kanalwasserwege mit dem Hinterland verbunden. Inmitten dieses riesigen Umschlagplatzes und nur 20 Autominuten von der Innenstadt Antwerpens entfernt befindet sich die größte Malzproduktionsstätte der Welt: Als Boortmalt 2017 den vierten Mälzereiturm an diesem Standort in Betrieb nahm, erhöhte sich die Kapazität im Antwerpener Werk auf jährlich 470.000 Tonnen. Im selben Jahr errichtete das belgische Unternehmen hier auch ein Innovation Center, das unter anderem auch Brauereien Innovationsleistungen und technischen Support bietet. Zwei Frauen treiben den Research-&-Development-Bereich maßgeblich voran: Cristal Peck ist seit 2023 Product Innovation Manager. Ihre Chefin ist Irina Bolat, seit 2013 für Boortmalt tätig und als Group Innovation Manager unternehmensweit für Innovation verantwortlich.
Cristal Peck ist eine „alte Bekannte“ aus Berlin und der eigentliche Grund, warum ich mich für Boortmalt interessiere. Die gebürtige Australierin war in der Berliner Craft Bier-Szene sowas wie ein Star. Zuerst machte sie von sich reden, als sie 2015 einen Heimbrauwettbewerb gewann. Über ihr Framboise Saison staunte sogar Greg Koch, der Gründer von Stone Brewing, der sich damals in der Hauptstadt ab und zu blicken ließ. 2017 wurde Peck von Berliner Berg für deren Sauerbierbrauerei engagiert, wo sie Biere aus gemischter Gärung und Fasslagerung herstellte. Zusätzlich betrieb sie mit dem Craft Brauer Richard Hodges das Bier-Label „Parasite Produktions“ und übernahm schließlich die Produktionsleitung bei Berliner Berg. Bis Boortmalt sie 2019 abwarb – ein Angebot, das Peck nicht ablehnen konnte, nicht zuletzt, weil sie bei Boortmalt alles zur Wirkung bringen kann, was sie gelernt hat, und vor allem, was sie selbst begeistert. Neben Bier ist dies die Biologie: Peck hat einen Master-Abschluss in Biomedical Science, hat als Biologie-Lehrerin sowie in Laboren gearbeitet, zuletzt im Berliner Max Delbrück Center, bevor sie den Einstieg in die professionelle Brauszene fand.
„Ich liebe Malz“, sagt Peck. Je nach Getreidesorte, Umweltbedingungen, Klima und Terroir bis hin zum Prozess des Mälzens selbst sei es komplex und vielfältig. Dass ein Großteil der Brauereien Malz als möglichst billigen Grundstoff verwendet, bei dem es nur auf Extrakt und Enzymkraft ankommt, sei bedauerlich. So wird die Hälfte des europäischen Braumalzes aus nur einer einzigen Gerstensorte hergestellt. „Das sensorische Profil interessiert nur die wenigsten Brauereien, wenn es um die Malzwahl geht“, bedauert Peck. Sie will das ändern.
Bei Boortmalt steht ihr dafür die perfekte Spielwiese zur Verfügung: Die Kleinmälzerei bietet eine Chargengröße bis zu einer Tonne, zwei Mikro-Mälzereien sind für 100 Gramm bis ein Kilogramm ausgelegt. Was die Rohstoffe betrifft, gibt es keine Grenzen: „Wir mälzen alles“, so Peck. Sie berichtet von spannenden Projekten mit Hanf und Linsen. Oder wie sie eine Sonderanfertigung für eine Lambic-Brauerei entwickelt hat, die u. a. mehr Dextrine für die gemischte Gärung bietet und so mehr Komplexität im Bier erlaubt. Selbstverständlich machen ihre Versuchsreihen vor der Anwendung im Brauhaus nicht halt. Wie sie erzählt, ist in ihrer Brauerei alles auf maximale Flexibilität ausgerichtet: „Man kann von jedem Punkt des Prozesses zu jedem Endprodukt gelangen. Wir können jede erdenkliche Variable einstellen.“ Zur Ausstattung gehören zwei Mühlen, eine davon ist eine neuartige Scheibenmühle, die auch Körner mit höherer Feuchte mahlt, wie beispielsweise Grünmalz; zwei Maischebottiche für die Dekoktion und für Sude mit alternativen Getreidesorten; ein Dünn-Bett-Maischefilter und ein Dekanter für unterschiedliche Anforderungen in der Würzeseparation sowie ein Würze Copper Whirlpool für die Würzekochung und Trubabscheidung.
Neue Malze und Infusion Malts
Die beiden Mikro-Mälzereien werden für produkt- und prozessbasierte Innovationsprojekte genutzt sowie für Qualitätstests von Ernten oder Neuzüchtungen mit nur minimalen Saaten-Proben. So ist zusammen mit dem Bio-Tech-Unternehmen Vivagran nach jahrelanger Züchtungs- und Entwicklungsarbeit die neue „Atlantis Malt Serie“ entstanden. Dabei handelt es sich um Malze basierend auf Tritordeum, einer Neuzüchtung aus Hartweizen und wilder Gerste, mit hoher Enzymkraft, hohem Extraktgehalt und wenig Beta-Glucan. Die Range umfasst das helle Braumalz „Cadiz“ mit, laut Boortmalt, einzigartigem Flavorprofil und eine Reihe gerösteter Crystalmalze unter dem Namen „Ceres“.
Pecks erster großer Wurf als Produktentwicklerin sind die Infusion Malts: Vor zwei Jahren hat sie ihre Range mit Erfolg auf der CBC in Minneapolis präsentiert. Die Idee, Malz mit Orangenschale, Lavendel oder Thymian zu würzen, kam ihr gleich zu Anfang ihrer neuen Karriere. In der Brauszene dreht sich alles um Hefekulturen und Hopfensorten. Um Malz ist es still geworden: „Ein bisschen langweilig auch“, sagt sie. So experimentierte Peck mit Gewürzen und Blüten, die sie während des Malzprozesses hinzufügte. „Am Anfang habe ich meinen Kollegen nichts davon gesagt, weil ich dachte, es würde nichts bringen“, sagt sie. Es dauerte rund neun Monate, bis sie ihre Ergebnisse intern präsentierte. Ein Volltreffer! Peck erhielt den internen Auftrag, ein echtes Produkt für die Boortmalt-Tochter Belgomalt zu entwickeln. Sie arbeitete mit „Brussels Beer Project“, um sich Feedback von einer Brauerei einzuholen. Vier Sorten sind seit 2020 erschienen: Salbei & Thymian, Lavendel & Citrus, Winter Gewürze und „Gingerbread Cookie“ mit Zimt, Ingwer, Muskatnuss, Piment und Nelken.
Wie Peck betont, sind Biere mit Infusion Malts nicht zu vergleichen mit Bieren, denen im Brauprozess die gleichen Gewürze zugegeben werden: „Der Geschmack ist komplexer und stärker in die Matrix integriert. Und es zeigen sich Aromen, die über das hinausgehen, was hinzugefügt wurde. Eins plus eins ist gleich drei, wenn es um Infusion Malts geht“, sagt sie. Je nach Malzprodukt und Braurezept könne bereits eine Zugabe von fünf Prozent reichen, um eine Geschmackswirkung zu erzielen. In Belgien und Amerika stößt das Produkt auf große Resonanz – und überraschenderweise auch in Deutschland. Peck ist der Auffassung, dass Infusion Malts nicht dem Reinheitsgebot widersprechen, weil sie lediglich Geschmacks- und Aromakomponenten anderer Rohstoffe enthalten. „Es ist genau wie beim Rauch- oder Sauermalz: Man verwendet immer noch gemälzte Gerste“, sagt sie. Somit laden ihre aromatisierten Malze sogar bayerische Brauer dazu ein, ganz legal Biere mit Aromen von Gewürzen und Blüten herauszubringen.
Aus Peck spricht der Pioniergeist der Craft Bier-Bewegung, wenn sie sagt: „Wir wollen die Malzrevolution anführen.“ Das Boortmalt-Innovations-Team sieht sehr viel mehr spannende Neuheiten in diesem Bereich voraus. Dabei geht auch darum, das Wissen um diesen Rohstoff und seine unendlichen Möglichkeiten zu steigern. Welche Faktoren Geschmack und Qualität beeinflussen, wie Brauereien Malz geschickt einsetzen können, um bestimmte Effekte zu erzielen und worauf vom Acker bis zum Braukessel zu achten ist, um die gesamte Liefer- und Produktionskette nachhaltig zu gestalten – ein Bildungsprogramm ist in Planung. Dass die ehemalige Craft Brauerin diese Mission ausgerechnet bei der großen Boortmalt verwirklicht, liegt an der visionären Ausrichtung des Unternehmens, das sich auf einem hoch kompetitiven Markt behauptet.
Auf diesem Markt ist das Gerangel um Anteile enorm: 2019 übernimmt die Boortmalt Group das Malzgeschäft des amerikanischen Lebensmittelunternehmens Cargill und steigt damit zur weltgrößten Malzherstellerin auf. Die Gruppe umfasst 27 Mälzereien auf fünf Kontinenten. Die Gesamtkapazität der Gruppe, ihrerseits eine Tochter der Getreidegenossenschaft Axéréal, beträgt nach eigenen Angaben drei Millionen Tonnen. Doch der Malzmarkt bewegt sich weiter: Mit der bereits 2021 geäußerten Absicht, den Gesamtausstoß zu verdoppeln, drängen sich 2023 die „Malteries Soufflet“, eine Tochtergesellschaft des Agrarunternehmens InVivo, an die Spitze. Sie übernehmen die mittelständische Castle Malting (La Malterie Du Château) in Wallonien und kaufen die australische United Malt Group (UMG). Soufflet erreicht damit eine Gesamtkapazität von 3,6 Millionen Tonnen. Somit befindet sich Boortmalt nun auf Platz zwei, gefolgt von Malteurop auf Platz 3 (2,3 Mio t). Interessanterweise sind es Unternehmen unseres Nachbarlandes, die die Top drei im Malzgeschäft kontrollieren. Denn sowohl Axéréal als auch Invivo und Vivescia, die Muttergesellschaft von Malteurop, haben ihren Sitz in Frankreich. Die Boortmalt-Gruppe sieht dies mit belgischer Gelassenheit und unbeirrbarer Souveränität – positionieren sie sich doch als „Masters of Malt“ und das bedeutet nach eigener Definition: „Wir fokussieren uns nicht darauf, die Größten zu sein. Uns geht es darum, das beste Malzunternehmen der Welt zu sein – und zwar auf lange Sicht!“
Um dies in die Tat umzusetzen, hat sich Boortmalt Innovation und Nachhaltigkeit in die Unternehmensziele geschrieben und zwar als „wichtigen strategischen Pfeiler“ der Gruppe. „Ich bin wirklich stolz darauf, diese Abteilung zu leiten“, sagt Irina Bolat, „ohne die Vision und den Rückhalt unseres CEO Yvan Schaepman wäre eine solche Aufgabe nicht zu erfüllen.“ Ihr Team treibt sowohl die Entwicklung klassischer Produkt- und Prozessinnovationen voran als auch die Diversifizierung im Food- und Non-Food-Bereich und die offene Ideenbildung und Zusammenarbeit mit anderen Unternehmen.
„Kaum jemand weiß, was Malz ist“
Der Austausch mit Firmen außerhalb der klassischen Malzbranche ist jedoch ein ziemlich hochgestecktes Ziel, wie Bolat berichtet. Wenn man nur eine vage Vorstellung habe, womit man dienen könnte, kann man bei großen Unternehmen kaum landen, weil die Ansprechpartner meist kein Mandat haben, sich in den offenen Austausch und die Entwicklung von Innovationen mit Externen zu begeben. Hinzu kommt: „Kaum jemand weiß, was Malz ist“, so Bolat, „wir sind eine versteckte Branche.“ Nach geringer Resonanz auf die anfänglichen Bemühungen gehen sie nun neu an die Sache ran. Bolats Team kommuniziert pro-aktiv, was Malz ist und welches Potenzial es hat. Sie konzentrieren sich nun auf Start-ups und haben vier relevante Bereiche identifiziert: Pet Food, Beauty & Cosmetics, Food & Beverages und Food Tech.
eugründern in der Anfangsphase bieten sie mit BoortmaltX ein ganzes Paket zur Beschleunigung ihrer Unternehmen bestehend aus Business-Coaching, finanzieller Förderung sowie R&D-Support (Zugang zu Labor, Know-how und Network). Auf diese Weise ist beispielsweise eine Kollaboration im Bereich Aquakultur entstanden, die zugleich innovativ und nachhaltig ist. Das Start-up Aquanzo erzeugt mit der Aufzucht des Zooplanktons Artemia einen Ersatz für knapp werdende marine Inhaltstoffe, die in der Herstellung von Tiernahrung eine wichtige Ressource darstellen. Aquanzo ernährt Artemia mit Nebenprodukten wie dem Prozesswasser aus der Weiche und generiert so aus organischem Material wertvolle Proteine.
Bolat ist begeistert von ihrer Aufgabe: „Boortmalt erlaubt uns, Risiken einzugehen und in neue Felder zu investieren.“ Die Herausforderungen sind ihr sehr wohl bewusst: Innovation als Unternehmensziel sei ein Prozess, dessen Ergebnis offen ist. „Es braucht Autorität, Meisterschaft und Sinnhaftigkeit für den Erfolg“, betont sie. Bei Boortmalt finden sie und ihr Team alles. Und das Charmante am Boortmalt-Ansatz: Die Informationen über die neuen nachhaltigen Innovationsfelder und die einzelnen Start-ups selbst werden auf BoortmaltX offen geteilt. Der Blog ist wirklich interessant, um sich über Business-Modelle der neuen Welt zu informieren. Mit dem Teilen dieser Informationen trägt Boortmalt einmal mehr zur Förderung nachhaltigen Wirtschaftens bei.
Irina Bolat besitzt zwei Doktortitel, als Wirtschaftsingenieurin und als Lebensmittelbiologin. Sie war zunächst Group Quality Manager, aber „es sind Forschung und Innovation, die mich wirklich faszinieren“, sagt sie. Sie hat Cristal Peck eingestellt, weil sie, abgesehen von der fachlichen Eignung, von ihrer Kreativität und Entschlossenheit überzeugt ist – und auch, weil sie Diversität im Team als wichtig erachtet: „Wir brauchen Frauen und Männer mit unterschiedlichem Background, um möglichst verschiedene Perspektiven für unsere Problemlösungen nutzen zu können.“
Bolat und Peck ergänzen sich nach eigenen Aussagen perfekt. Und wenn Peck verkündet: „Die Zeit für Malz ist jetzt!“ erinnert es uns daran, dass bei aller Diversifikation Boortmalt immer noch eine Mälzerei ist und dass innovative Biere ab sofort auch auf neuartigen Malzprodukten basieren dürfen.
Schlagworte
Belgien Malz Mälzereianlagen Mälzereien Nachhaltigkeit Innovation
Autoren
Sylvia Kopp
Quelle
BRAUWELT 11, 2024, S. 402-404