Weltbierkultur mitten in Mexiko
Gastronomie- und Brauereikonzept | Mitten in Mexiko beweist eine Privatbrauerei, dass gehobene Bierkultur mit dem Brauen von hochwertigen Bieren noch lange nicht getan ist. BRAUWELT-Autorin Sylvia Kopp besuchte die Compañía Cervecera Hércules in Querétaro und entdeckte eine tolle Braustätte mit einladendem Biergarten und ein Unternehmen, das etwas von Brauen, Bierpflege und Gastronomie versteht.
Mit dem Auto von Mexiko-Stadt dauert es drei Stunden – erst durch dicksten Verkehr, dann immer luftiger: Die Stadt Querétaro wirkt angenehm befreiend mit ihren schönen Häusern und Kirchen aus der Kolonialzeit, gepflegten Parks und der Fußgängerzone, die sich von Plaza zu Plaza zieht, gesäumt von Restaurants, Cafés und Geschäften. Seit 1996 ist die Altstadt UNESCO-Weltkulturerbe. Dabei zählt die Hauptstadt des gleichnamigen Bundesstaates rund eine Millionen Einwohner, hat einen eigenen Flughafen und gehört zu den Boom-Städten Mexikos – dank der wachsenden Automobil-, Luft- und Raumfahrt-Industrie in der Region.
Einzigartige Bierkultur
So kommt es nicht von ungefähr, dass sich in Querétaro auch eine der anspruchsvollsten Craft Bier-Brauereien Mexikos befindet: Compañía Cervecera Hércules ist eine 2011 gegründete, unabhängige Privatbrauerei, die sich nichts Geringeres auf die Fahnen geschrieben hat, als die besten Biere des Landes zu brauen und eine einzigartige, hochwertige Bierkultur erlebbar zu machen. Die Braustätte befindet sich in den historischen Gebäuden einer alten Textilfabrik, idyllisch eingebettet in einer Tallage im Stadtgebiet.
Die Auffahrt vorbei an Werkstätten, die nun von Schmuck- oder Naturseifenmachern genutzt werden, zieht uns hinein in den ehemaligen Fabrikkomplex. Vom Parkplatz über eine Fläche für Open-Air-Konzerte, -Kino und -Tanzveranstaltungen erreicht man schließlich das Herz der Brauerei: Der „Jardin de Cerveza“ (Biergarten) liegt in einem großzügigen Innenhof mit Bäumen und Sonnensegeln, flankiert von Arkaden unter denen sich der Empfang, die moderne Multi-Tap-Theke und andere Einrichtungen befinden. Holz, Natursteine, Steinfußböden und weißes Leinen als Reminiszenz an die ehemalige Weberei neben Hallen aus Beton- und Stahlkonstruktionen kreieren ein ebenso „cleanes“ wie warmes Ambiente. 800 Gäste haben hier Platz: Der „Jardin de Cerveza“ ist eine Attraktion, für die Besucher am Wochenende schon mal Schlange stehen.
Internationale Küche, internationale Bierstile
Die Küche bietet eine Mischung aus mexikanischen, europäischen und deutschen Speisen: bayerische Weißwürste, „Carne en su jugo“ (Fleisch im eigenen Saft) auf Jalisco Art oder Telera (Brötchen) gefüllt mit ungarischem Gulasch, Käse aus lokaler Herstellung. Ausgeschenkt wird alles, was die Brauerei produziert, von europäischen Lagerbieren, Pale Ale und Saisons bis hin zu Experimentellem mit lokalen Zutaten wie beispielsweise Mexican Porter mit schwarzem Mais oder ein Saison mit „Flor de Jamaica“ (Hibiskusblüten). Obwohl viele der Hérkules-Sorten was für Kenner sind, geht es im Biergarten nicht ums Fachsimpeln, sondern um ein entspanntes Biererlebnis für alle. „Die meisten unserer Servicekräfte haben ein Cicerone-Zertifikat, dennoch drängen wir keinem Gast einen ‚Beer Talk‘ auf“, sagt Chef-Brauer Josh Brengle. An der Theke arbeiten sie nicht nur mit gekühlten Kegs und CO2, sondern auch mit Stickstoff, englischen Casks und den dazugehörigen Handpumpen sowie mit gepichten bayerischen Holzfässern für den Anstich. An einem guten Wochenende werden laut seinen Auskünften im Biergarten bis zu 2000 Liter Bier verkauft.
Erweiterung des Ausstoßes
Das war nicht immer so. In den Anfangsjahren liefen die Bierverkäufe zwar stabil, aber auf niedrigem Niveau. Der Biergarten war noch nicht eröffnet. Die Eigentümer, Nachfolger des Textilfabrikgründers, hatten ein niveauvolles Bier- und Gastronomiekonzept im Sinn, um an den Glanz der einstigen Fabrik wieder anzuknüpfen. Ausstoß und Ausrichtung der Brauerei sollten sich erweitern. So heuerten sie 2016 Brengle für die Position des „Head Brewer“ an. Der hatte sechs Jahre lang bei Cigar City Brewing in Tampa, Florida, unter anderem als Produktionsleiter gearbeitet und war von dort seiner zukünftigen Frau nach Mexiko-Stadt gefolgt. Für den neuen Job zogen er und seine Familie nach Querétaro. Brengle lebt gern hier: „Die Stadt hat kulturell und kulinarisch viel zu bieten. Es gibt sogar Winzer und Käsemacher hier.“
Den mexikanischen Markt erobern …
Brengle und sein Team haben ein riesiges Portfolio von 70 bis 100 verschiedenen Bieren entwickelt. „Mein Ziel ist, mit dieser Vielfalt den mexikanischen Markt zu testen und besser zu verstehen“, sagt er. Wie er erzählt, sind die Trends in Mexiko verwirrend und variieren von Region zu Region. So sei ihr Bestseller in Querétaro das Brown Ale „Macanuda“, in Mexiko-Stadt ist ihr IPA „Súper Lupe“ der Renner. „Nach und nach werden wir uns auf ein kleineres und qualitativ hochwertiges Portfolio von 35 Bieren reduzieren“, sagt er. Dabei wacht der Chefbrauer über traditionelle Werte: natürliche Zutaten und Rohstoffe sowie handwerkliche Braukunst. „Wir orientieren uns so nah wie möglich an Authentizität und Ursprung eines jeden Stils“, so Brengle, „selbst wenn wir Neues kreieren, achten wir drauf, dass der Basisstil erkennbar bleibt.“
Das Schwarzbier „Máquina“ hat weiche toast-artige Aromen, eine feine kräuterige Hopfenaromatik und ausbalancierte Bittere – dunkel und zugleich leicht. Das sonnengoldene Saison „Bolsita de Aire“ ist trocken und hefearomatisch, erfrischend abgestimmt mit holzig-kräuterigen und zitrusartigen Aromen vom Zitronengras. Ráfaga, ein unfiltriertes Pale Ale, stellt eine geschliffene Bittere in den Vordergrund und überrascht mit Aromen von gelben Früchten und Zitrus. Irish Dry Stout, Czech Pilsener, Smoked Porter – es gibt wohl kaum einen Stil, den Brengle nicht meistert.
Nicht zu vergessen das Sortiment aus spontaner und gemischter Gärung sowie Holzfassreifung! Etwas abgelegen von Biergarten und Brauhaus, aber immer noch in einer der vielen Fabrikhallen befindet sich die Produktionsstätte für die spontan- und gemischt vergorenen Biere. In der Halle stehen zwei Foeder, ein kupfernes Kühlschiff und mehr als 200 Holzfässer. „Die Herstellung dieser Biere ist noch ein praktisches Herumprobieren“, gibt Brengle zu, „und ein auf den Ratschlag von Kollegen hören!“ So arbeitet er beispielsweise mit dem Jester King-Gründer und Wild-Fermentation-Experten Jeffery Stuffings aus Texas zusammen.
… mit deutscher Sudhaus-Technik
Doch Brengle gibt zu, dass seine Leidenschaft die klassischen Lagerbiere sind. Für die neue größere Brauanlage fiel seine Wahl daher auf einen deutschen Anlagenbauer. In der Tat habe ich mir mit Thomas Neckermann, Projektmanager von Kaspar-Schulz, bei meinem Besuch fast die Klinke in die Hand gegeben. Er war kurz vor mir vor Ort in Querétaro, um die Details zu besprechen. In einem kürzlichen Telefonat schwärmte er von der Zusammenarbeit mit den mexikanischen Kunden: „Wir werden an Hércules im kommenden Frühjahr ein Sechs-Geräte-Brauhaus mit einer Kapazität von 35 Hektolitern liefern.“
Dabei legt Brengle nicht nur Wert auf traditionelle Techniken, sondern auch auf Funktionen, die die Stabilität und Haltbarkeit des Bieres fördern. Dies beginnt mit dem Vormaischgerät: Kaspar-Schulz werden ihren Optimasher liefern, der ermöglicht, dass das Rührwerk langsamer und schonender arbeitet, so weniger Sauerstoff in die Würze gelangt und auch das Abläutern schneller von statten gehen kann. Der neue Läuterbottich ist extra groß, damit auch Starbiere schnell durch diesen Prozessschritt kommen. Außerdem bekommt Hércules eine zweite, kleinere Maischepfanne für die Dekoktion und Maiskochung.
Eigene Hefe- und Sauergut-Propagation
Brengle schwört darauf, mit Sauergut zu arbeiten, wie er es aus dem bayerischen Brauhandwerk kennt. Der Einsatz von Sauergut fördert die Eiweißausscheidung und boostet Gärung und Schaum auf handwerkliche Weise, statt Hilfsmittel wie Enzyme dafür zu verwenden. So wird Hércules zwei Reaktoren (Behälter) bekommen, in denen die Brauer ihr Sauergut selber herstellen können. Auch zwei Hefepropagatoren werden geliefert, damit die Brauer die zahlreichen Hefen, mit denen sie arbeiten, eigenständig vermehren können. Außerdem eine Würzevorkühlung, wenn nötig, und eine einstufige Würzekühlung mit extra weitem Raum zwischen den Platten für die effiziente und schnelle Kühlung auf untergärige Temperaturen, wenn nötig. „Wir werden mit entgastem Wasser in der ganzen Anlage arbeiten“, so Brengle, „neben den ZKGs im Gärkeller werden wir auch zwei offene Gärbottiche für traditionelle Lagerbiere, Weißbiere und britische Ales haben sowie eine Reihe von horizontalen Lagertanks für die Nachgärung und Reifung. Wir freuen uns schon sehr.“
Interessant ist der bestellte Flotationstank, was sonst nur noch selten verwendet wird. Auch die Bamberger Anlagenbauer mussten in ihren Archiven nach entsprechenden Bauplänen schauen. Er dient dazu, Kältetrub aus der Würze zu entfernen. Dabei wird Druckluft ganz zu Beginn der Hauptgärung in die Würze injiziert, um sie zu belüften und der Hefe für ihre Arbeit zusätzlichen Sauerstoff zur Verfügung zu stellen. Zugleich bilden sich dabei kleine Blasen, die unerwünschten Trub an die Oberfläche tragen, wo er abgeschäumt werden kann. Sobald die Hauptgärung einsetzt, wird die Würze in einen Gärtank gepumpt. Insgesamt ein zusätzlicher, nicht unerheblicher Aufwand, der dazu dient, Fettsäuren, Polyphenole, nicht abgebaute Kohlenhydrate und Proteine sowie Schwermetalle zu entfernen, die sich an Oxidationsreaktionen beteiligen könnten. Die Reduzierung dieser Rückstände kann die Haltbarkeit verlängern.
Lange Haltbarkeit ist Pflicht
Den Brauprozess auf Stabilität und lange Haltbarkeit auszurichten, ist gerade in Mexiko sehr wichtig. „Wir haben keine Kühlhäuser und keine Kühlkette in der Getränkelogistik. Das macht es Craft Brauereien wie uns, die nicht pasteurisieren, sehr schwer, unsere Biere im weiteren Umkreis zu vertreiben“, so Brengle. Hércules wird in diesem Jahr rund 9500 Hektoliter produzieren, jeweils zur Hälfte Fass- undDosenabfüllungen, von denen laut Brengle 95 Prozent in Querétaro und Mexiko-Stadt verkauft werden. „Wenn wir unser Bier in allen 32 Bundesstaaten verkaufen wollen, brauchen wir eine längere Haltbarkeit“, betont er.
Auch der Rohstoffeinkauf und die Rekrutierung von Fachkräften sei in Mexiko eine Herausforderung. „Wir sind nicht so nah an den USA, wie man denken könnte, und Importe sind eine knifflige und teure Angelegenheit“, sagt Brengle. Und was die Human Resources betrifft: „Die mexikanische Craft Bier-Szene ist noch ziemlich jung, da ist es schwierig, qualifizierte Leute mit Erfahrung zu finden.“
In dem Zusammenhang sei darauf hingewiesen, dass die lebendige Innenstadt Querétaros nicht so sehr vom Reisetourismus geprägt ist – es sind eher Ausflügler aus der Landeshauptstadt und vor allem die Bürger selbst, die in den zahlreichen Industrieansiedlungen des Bundesstaates arbeiten und sich hier vergnügen. Darunter auch viele Ausländer – denn die Infrastruktur, die Schulen und Bildungseinrichtungen und nicht zuletzt das perfekte Klima ziehen ausländische Investoren an. – Warum also nicht auch erfahrene Brauer aus dem In- oder Ausland?
Bleibt noch zu erwähnen, dass Hércules neben Brauerei und Biergarten auch ein elegantes Hotel auf dem Fabrikgelände betreibt. Zudem befindet sich in der Innenstadt von Querétaro das „Almacén Hércules“, ein Vertriebzentrum mit Kühllager (!), Bottle Shop und Restaurant. Und in Mexiko-City gehört die schicke, in Patinagrün gekachelte „Lagerbar Hércules“ im Viertel Condesa zu den Lokalen, die man unbedingt besucht haben muss – Bierkultur vom Feinsten eben!