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24.07.2023

Giganten der Biergeschichte: Rosa Merckx

Grande Dame des belgischen Bieres | Für diese Folge der „Giganten der Biergeschichte“ begeben wir uns in das bierbegeisterte Belgien. Einige prägende Bierstile stammen von dort. Über die Jahrhunderte hat sich dort eine außergewöhnliche Bierkultur entwickelt – sowohl in den legendären Klöstern wie in den wohlhabenden Handelsstädten Flanderns und Walloniens. Eine prägende Gestalt der neuzeitlichen, belgischen Biergeschichte war die erst kürzlich verstorbene Rosa Merckx.

Wenn ein Mensch im gesetzten Alter, zum Ende seines Arbeitslebens, mit einem Ehrentitel bedacht wird, hat das meist gute Gründe. Seltener ist es hingegen, wenn der Ehrentitel bereits in relativ jungen Jahren, im aktiven Arbeitsleben, und dann noch quasi per Öffentlichkeit erteilt wird. Wie bei Rosa Merckx, die schon lange Jahre beinahe ehrfürchtig als „Madame Rose“ tituliert wurde. Diese Ehrung ist nur eine Folge einer wahrhaft erstaunlichen, ungewöhnlichen, beruflichen Laufbahn. Hatte die erste offizielle Braumeisterin Belgiens als junge Frau doch im Grunde völlig andere Karrierepläne.

Als Rosa Merckx am 15. Juni 1924 in Brügge geboren wurde, produzierte ihr späterer Arbeitgeber, die Brauerei Liefmans im ostflämischen Oudenaarde, bereits seit 227 Jahren Bier. Allerdings nur mäßig erfolgreich. Aber man braute bereits die Bierstile, die Belgien vom Rest der Welt abhoben und die bis heute begehrte Spezialitäten sind: Ales und Lambics, mit frischen Früchten, besonders Kirschen der Sorte Schaarbeek, die von den Landwirten der Umgebung angeliefert wurden und die im Gegenzug ihren Anteil vom fertigen Bier bekamen.

Rosa Merckx im Gespräch mit einem Lieferwagenfahrer von Liefmans (Foto: Brauerei Liefmans)

Oudenaarde war berühmt für seine Gobelins, sein Silberbesteck und sein spätgotisches Rathaus, aber (noch) nicht für sein Bier. Die Schelde teilt die Stadt in zwei Teile und bestimmte früher sogar das Braurecht. Der Fluss war einst die Grenze zwischen den Reichen Frankreichs und der Deutschen Nation. So mussten die Brauer auf der deutschen Seite Hopfen verwenden, während am anderen Ufer mit Grut (Gewürzmischungen) gearbeitet wurde. Ein Brauch, der erst im 19. Jahrhundert abgestellt wurde.

Allen Bieren gemeinsam war jedoch das harte, kalkreiche Wasser, das aus zahlreichen Brunnen sprudelte und das sich am besten für dunkle, kräftig schmeckende Biere eignete. Oud Bruin (Altes Braun) hießen folgerichtig die meisten Biere, die aus Oudenaarde kamen.

Der Zweite Weltkrieg wütete natürlich auch in Flandern. Und danach hatte die junge Rosa alles andere als Bier im Kopf. Sie kümmerte sich um eine Ausbildung als Sekretärin, nahm Unterricht in Englisch, Drama und klassischem Tanz und sprach drei Sprachen fließend (Französisch, Englisch und Niederländisch). Nebenbei sorgte sie im Ort für Aufsehen, als sie als erste Frau mit einem Auto fuhr und überdies noch Basketball spielte. Rosa Merckx war in ihrer Zeit wirklich eine außergewöhnliche junge Frau.   

Von der Sekretärin zur Chefverkosterin

Seit Anfang des Jahrhunderts hatte die Brauerei Liefmans eine neue Besitzerfamilie. Nun übernahm der Sohn, ein adeliger Herr namens Paul Van Gheluwe. Der wurde auf Rosa aufmerksam, und weil er gerade auf der Suche nach einer dreisprachigen Sekretärin war, besuchte er sie 1946 und machte ihr ein Job-Angebot. Rosa sagte zu, nicht wissend, wie sich damit ihr Lebensweg und das Schicksal der Brauerei Liefmans für immer verbinden würden. Denn ohne Rosa Merckx‘ Wirken und Einfluss hätten die Lambics, Krieks und generell die Belgischen Ales niemals den Status bekommen, den sie heute zu Recht in der internationalen Bierwelt genießen.

Rosa Merckx‘ Tätigkeit als Sekretärin war dann auch überschaubar kurz. Paul Van Gheluwe entdeckte sehr bald ihre weiteren Talente: Sie hatte einen bemerkenswerten geschäftlichen Scharfsinn, sodass sie bald zu seinem wichtigsten Ratgeber wurde. Noch bedeutender war jedoch ihr sensorisches Feingefühl, das mit exzellent noch als untertrieben beschrieben wird. Zusammen mit einer offenen Ehrlichkeit waren die ersten Verkostungen der eigenen Biere in der Brauerei offenbar ein Fiasko. Bis ins hohe Alter war ihr Leitsatz bei Verkostungen: „Wenn ein Bier nicht exzellent ist, dann sage ich das auch so!“

Rosa Merckx im Alter von 97 Jahren (1924 – 2023) (Foto: Ashley Joanna)

Zu sauer, zu unbalanciert, zu harsch, das waren angeblich ihre ersten Feststellungen zu den Liefmans-Bieren. Zu harscher Kritik gehören aber immer zwei: ein Kritiker und ein Zuhörer. Paul Van Gheluwe hörte nicht nur zu, sondern er beherzigte Rosas Empfehlungen und ließ sie immer mehr in der Brauerei, also direkt am Bier, mitarbeiten. Die Biere wurden weniger sauer, generell milder, süßer, ausbalancierter – und sehr erfolgreich. Später sagte sie: „Mir war klar geworden, dass nicht nur die Männer in den Cafés herumsitzen, es waren auch die jungen Leute und Frauen. Es war auch die Zeit von Coca Cola. Daher war es höchste Zeit, Biere zu brauen, die alle Geschmacksrichtungen befriedigen.“

Die erste Braumeisterin Belgiens

Rosa arbeitete mittlerweile in der Produktion, nahm Proben, erstellte Analysen, steuerte die Gärtemperaturen, und irgendwann begann sie, selbst zu brauen. Der nächste Schritt für Rosa Merckx war das, was heute ‚Branding‘ genannt wird. Sie schlug 1956/57 vor, den Markennamen „Ijzerenband“ durch „Goudenband“ zu ersetzen – aus einem Eisenring wurde also ein Goldring, aus dem Symbol der Eisenringe um die Bierfässer wurde ein Statussymbol mit Champagnerkorken. Und nebenbei vermied man eine juristische Auseinandersetzung um Namensrechte mit einem anderen belgischen Brauer.

Auch die nächsten 15 Jahre verbrachte sie in der Liefmans Brauerei und wurde bekannt als erste Braumeisterin Belgiens, führende Expertin für Fruchtbiere und herausragende Sensorikerin. Im Jahr 1972 starb mit Paul Van Gheluwe ihr großer Förderer und Mentor, plötzlich und unerwartet. Madame Rose übernahm auf Wunsch von Von Gheluves Familie die Führung der Brauerei. Sie führte sie nicht nur in ihre besten Zeiten, sondern verwandelte die Liefmans Brauerei und ihre Biere endgültig in einen wichtigen, unersetzlichen Teil der belgischen Bierkultur. Nicht nur der (zurückgetretene) belgische König Leopold III. war ein erklärter Freund von Madame Roses Bieren. Unter Rosas Ägide wurde das Kriekbier nach ihren Vorstellungen – gehaltvoll süß und doch zugleich leicht säuerlich, eine internationale Erfolgsgeschichte. Besonders erfolgreich war sie damit in den USA, wo sie zahlreiche weibliche Kundschaft mit Kriek vom gewohnten Lite Beer fortziehen konnte.

Rückzug aus dem Berufsleben

Im Jahre 1990, mit 66 Jahren, übergab sie „ihre“ Brauerei an die Familie Desplenter, die nur 20 km entfernt die Brauerei Riva betrieb, und zog sich aus dem Geschäft zurück. Sie liebte die Terrasse ihres Hauses in der Aalststraat in Oudenaarde. Dort saß sie gerne, genoss den Blick in den Garten, auf die Bäume, das Grün, und im Hintergrund sah sie die Brauerei. Das Haus war angefüllt mit Erinnerungen aus einem bewegten Leben, vielen Erfolgen und einigen wenigen Misserfolgen, das Meiste davon war nur einen Steinwurf entfernt geschehen.

Die Familie Desplenter war jedoch, in der vierten Generation, nicht mehr erfolgreich. Aufgrund von Schulden verkaufte sie 2002 ihre Brauereien. Die neuen Eigentümer waren die Brauer Gino Vantieghem und Renaldo Delabieen, die Riva 2005 den Namen „Liefmans Breweries“ gaben, der wohl besser klang. Aber auch das half nicht.

Ende 2007 stellte sich heraus, dass das Unternehmen zahlungsunfähig war. Nach einem zähen Ringen um die Kontrolle der Brauerei wurden die Vermögenswerte schließlich an die Brauerei Duvel und deren Besitzer, die Familie Moortgat in Breendonk, übertragen. Moortgat interessierte sich nur für Brouwerij Liefmans; die anderen Marken wurden verkauft oder verschwanden.

Rückkehr aus dem Ruhestand mit 84 Jahren

Die Liefmans Brauerei lief weiter. 2008, mit 84 Jahren(!), kehrte Rosa Merckx zurück in ihre Brauerei, neben der sie all die Jahre gewohnt hatte. Den Tag der Übernahme durch die Familie Moortgat bezeichnete sie als „einen der glücklichsten meines Lebens“, denn nun sah sie wieder eine Zukunft für ihr Lebenswerk. In der Brauereigruppe Duvel Moortgat, einer der bedeutendsten Brauereien für Spezialbiere in Belgien, fühlte sie ihre Biere gut aufgehoben. Und das sind sie bis heute. Auf dem Etikett von Liefmans Fruitesse ist als Anerkennung für ihre langjährige Tätigkeit das Profilfoto von Rosa Merckx abgebildet.

„Bier ist ein lebendiges Produkt. Es hat eine Seele. Ich wäre nicht fähig, ein Leben lang mit einem seelenlosen Produkt zu arbeiten oder in einem Büro zu sitzen“, so Merckx. Bis heute trägt jede Flasche Goudenband auf dem Seidenpapier, in das sie eingewickelt ist, ihre Unterschrift.

Im Jahr 2014 erhielt Rosa Merckx den Titel eines „Offiziers im Orden der Krone“. Noch wichtiger jedoch dürfte für sie die Ehrung gewesen sein, die die UNESCO im Jahr 2016 aussprach: Die Belgische Bierkultur wurde zum immateriellen Weltkulturerbe ernannt.

Bis zuletzt schaute Rosa Merckx mindestens einmal täglich in der Brauerei vorbei, empfing zahlreiche Besucher aus aller Welt, die die Grande Dame des belgischen Bieres einmal kennenlernen wollten.

Wenig Privates ist bekannt. Einer der Söhne schrieb mir, dass seine Mutter 1953 geheiratet hatte und 1984 geschieden wurde. Beide Söhne trugen den Namen des Vaters, Blanquaert.

Am Dienstag, dem 16. Mai 2023, verstarb Rosa Merckx, die Grande Dame des belgischen Bieres, nach kurzer Krankheit in ihrem Haus, nur einen Monat vor ihrem 99. Geburtstag. Die Anzahl und die Intensität der Nachrufe zeigten einmal mehr, welche bedeutende Persönlichkeit die internationale Bierszene mit Madame Rose verloren hat.

Doch ihr Vermächtnis ist in guten Händen: Einer ihrer Söhne (Olav Blancquaert) studierte in Gent Brauingenieur, begann bereits 1981 seine Brauerlaufbahn bei Liefmans und führte auch den letzten Sud vor der Übergabe an Riva in der alten Brauerei durch. Seit 1993 ist er bereits für Duvel Moortgat tätig und mittlerweile als Markenbotschafter bei Duvel für das Liefmans-Erbe verantwortlich.

Lernen Sie in unserem Dossier: Giganten der Biergeschichte weitere herausragende Persönlichkeiten der Braugeschichte kennen.

Quellen

  1. https://www.liefmans.com/en/brewery (abgerufen am 5.6.2023).
  2. https://en.wikipedia.org/wiki/Rosa_Merckx (abgerufen am 5.6.2023).
  3. https://embracethefunk.com/2020/03/30/rosa-merckx-the-icon-you-need-to-know/ (abgerufen am 5.6.2023).
  4. https://www.belgiansmaak.com/the-sage/ (abgerufen am 5.6.2023).
  5. https://www.youtube.com/watch?v=gj6gHjRpXwg (abgerufen am 5.6.2023).
  6. https://biermagazine.nl/biernieuws/madame-rose-rosa-merckx-98-van-liefmans-in-oudenaarde-overleden/ (abgerufen am 5.6.2023).
  7. https://www.flandern-blog.de/erste-braumeisterin-belgiens/ (abgerufen am 5.6.2023).
  8. https://www.presseflandern.com/files/content/pdf/themenspecials/special-belgische-bierkultur.7198.pdf (abgerufen am 5.6.2023).
  9. https://protzonbeer.co.uk/features/2009/11/01/belgium-part-i-liefmans (abgerufen am 5.6.2023).
  10. Tonsmeire M.: American Sour Beers, Brewers Publications, Boulder, Colorado, USA, 2014.
  11. Dornbusch H.: Die Biersorten der Brauwelt, Fachverlag Hans Carl GmbH, 2014.
  12. Mosher R.: Radical Brewing, Brewers Publications, Boulder, Colorado, USA, 2004.

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