Giganten der Biergeschichte: Michael Thomas Bass
Burton Union System | Die neue Folge der „Biergiganten“ führt nach England, genauer gesagt, nach Burton-on-Trent. Bass war im 19. Jahrhundert ein Name, den fast jeder kannte, nicht nur in England. Die Brauerei wurde über mehrere Generationen von der Familie Bass geführt, mit Michael Thomas Bass als herausragender Figur. Um Verwechslungen mit seinem gleichnamigen Vater zu vermeiden: „Der Jüngere“. Unter seiner Ägide entwickelt sich die Brauerei Bass zu einer der größten Brauereien der Welt.
Die Geschichte der Bass-Brauerei beginnt im Jahr 1777 mit William Bass, Sohn eines Klempners und Glasers aus Hinckley in Leicestershire. Nach dem frühen Tod des Vaters stieg William Bass ins Transportgeschäft ein und lieferte auch Bier. Nach der Heirat mit Mary Gibbons, Tochter eines Pub-Besitzers aus London, wurde die Beziehung zum Bier noch enger. Nach einiger Zeit, Bass ging bereits auf das 60. Lebensjahr zu, hatte er genug Geld angespart, um sich den Traum von einer eigenen Brauerei zu erfüllen. Die Wahl fiel auf Burton-on-Trent, etwa 45 Kilometer entfernt von Hinckley. Die Stadt war schon ein florierender Industrie- und Brauereistandort, zwischen Manchester und London gelegen, mit vorteilhafter Schienen- und Kanalanbindung und mit Bierexporten bis nach Russland und ins Baltikum.
Bereits seit Anfang des Jahrhunderts war Burton über den Fluss Trent mit dem Hafen Hull an der Nordsee verbunden. Lastkähne fuhren den Trent auf und ab. Der Trent and Mersey Canal, im selben Jahr eröffnet wie die Bass-Brauerei, verbesserte die Lage zusätzlich. Die Transportkosten waren günstig. Die Reeder nahmen gerne Bier mit an Bord, denn die schweren Eichenfässer halfen als Ballast, die Schiffe zu stabilisieren. Und für das Bier waren die kühlen Frachträume unter der Wasserlinie ebenfalls optimal.
Wie alles begann
„Burton Beer“ war bereits ein Begriff, das wollte sich Bass zunutze machen. Er kaufte eine bestehende Brauerei mit Malzhaus und einem größeren Grundstück in der High Street. Der Erfolg gab ihm recht, und bereits nach sieben Jahren begann auch er, Bier nach Russland zu exportieren. Als William Bass 1787 die Augen für immer schloss, stand mit dem 27-jährigen Michael Thomas bereits ein tüchtiger Sohn bereit, um die Brauerei weiterzuführen. Zuerst mit seinem Bruder William gemeinsam, ab 1795 allein. Die Brauerei wuchs und gedieh. 1799 ließ Michael Thomas Bass (d.Ä.) eine zweite Brauerei in Burton errichten. Im selben Jahr, am 6. Juli 1799, erblickte Michael Thomas Bass (d.J.) das Licht der Welt.
Die Napoleonischen Kriege und die dazu gehörigen Blockaden zwangen die englischen Brauer, andere Märkte als Russland und Deutschland zu suchen. So war Bass einer der ersten Brauer, die das besonders stark gehopfte, haltbare India Pale Ale brauten und nach Übersee exportierten. Zu dieser Zeit arbeitete Sohn Michael Thomas bereits im Familienbetrieb, nachdem er in Burton und in Nottingham seinen Schulabschluss absolviert hatte. Die Geschäfte gingen damals weniger gut, und es brauchte Zeit, um neue Märkte aufzubauen. Nach dem Tod des Vaters im Jahr 1827 übernahm Michael Thomas Bass der Jüngere die Brauerei, die er dann 57 Jahre lang leiten sollte. Es begann der märchenhafte Aufstieg der Bass-Brauerei in Burton-on-Trent.
Unaufhaltsamer Aufstieg der Bass-Brauereien
Bereits nach fünf Jahren exportierte Bass 5000 Barrel, das entsprach 40 Prozent der Gesamtproduktion. Der rasante Fortschritt, besonders durch die Eisenbahn mit dem Anschluss Burtons ans Schienennetz im Jahr 1839, förderte das Wachstum im Inlandsmarkt, weil die großen Städte London, Manchester, Liverpool und Birmingham nun – transporttechnisch gesehen – direkt vor der Türe lagen.
In den 1830er-Jahren hatte die Bass-Brauerei vier Verkaufsagenten, in London, Birmingham, Liverpool sowie Stoke-on-Trent. 1860 produzierte Bass bereits 340 000 Barrel, Ende der 1870er-Jahre wurde die Millionengrenze überschritten. Bass beschäftigte zu dieser Zeit etwa 2500 Mitarbeiter. Der Aufstieg betraf die ganze Stadt: Zwischen 1831 und 1888 wuchs die Zahl der Brauereien in Burton von neun auf 31 und die Gesamtproduktion von 50 000 Barrel auf über drei Millionen. Und für mehr als ein Drittel davon zeichnete Bass verantwortlich.
1860 war Bass das erste ausländische Bier, das in Japan verkauft werden durfte. 1880 war die Zahl der Verkaufsagenten auf 21 angewachsen. Zwei von ihnen, in Liverpool und London, kümmerten sich ausschließlich um den Export. 1881 besaß Bass drei Brauereien und 26 Mälzereien und war Englands größter Brauer. 32 Dampfmaschinen liefen dort und neun Lokomotiven belieferten die Betriebe untereinander auf 20 km brauereieigenen Gleisen mit Material aller Art. Jeder im Königreich kannte Bass. Und die Brauerei konnte prahlerisch verkünden, dass ihr Bier „in jedem Land der Erde“ verfügbar sei. Burton wurde zum britischen Synonym für Bier bzw. Pale Ale. Dazu trug auch das unverwechselbare Logo bei. Bereits in den 1850er-Jahren verwendet, wurde es 1876 offiziell eingetragen und ist somit – dem englischen Bierhistoriker Martyn Cornell zufolge – das älteste registrierte Warenzeichen Großbritanniens. Es war so bekannt, dass es beispielsweise in dem Gemälde „A Bar at the Folies-Bergère“ des Malers Édouard Manet aus dem Jahr 1882 zu finden ist (unten links und rechts).
Historischer Besuch aus Deutschland
Im Dezember 1833 erhielt Michael Thomas Bass Besuch vom Kontinent. Ein Besuch mit Folgen. Denn hier entstand eine langjährige Freundschaft und der Beginn eines Brauer-Netzwerks mit historischen Folgen für die Entwicklung des Bieres. Auf der Rückreise von Edinburgh nach London, auf ihrer epochalen Reise, legten Gabriel Sedlmayr (siehe Teil 1 dieser Reihe, BRAUWELT Nr. 8, 2021, S. 203–205) und Anton Dreher (siehe Teil 8, BRAUWELT Nr. 50, 2021, S. 1298–1301) einen einwöchigen Halt in Burton-on-Trent ein. Ein Empfehlungsschreiben des Brautechnikers David Booth öffnete ihnen auch die Türen zu Bass. Michael Thomas Bass war allerdings – berechtigterweise – misstrauisch und anfangs nicht bereit, sein Know-how an den Münchner und den Schwechater Brauer weiterzugeben. Also versuchte er es, wie Sedlmayr vermutete, mit Ablenkung. Allerlei Unterhaltung, sogar eine Fuchsjagd, mussten die Gäste über sich ergehen lassen, um sie von der Brauerei fernzuhalten. Sedlmayr bemerkte süffisant: „Der Kerl muss Geld haben wie Heu, denn er spielt einen ganzen Lord.“ Aber das Misstrauen war irgendwann überwunden und eine langjährige Freundschaft begann.
Bass gab seinen beiden Gästen zum Abschied Empfehlungsschreiben mit auf den Weg, die ihnen auf der Rückreise sehr nützlich waren. Das kleine Netzwerk wuchs danach weiter, auch Brauer aus anderen Ländern, wie J.C. Jacobsen aus Kopenhagen (siehe Teil 7, BRAUWELT Nr. 45/46, 2021, S. 1174–1177) oder John Muir aus Edinburgh, gehörten bald dazu. Briefe, neue Fachbücher und sogar Hefen wurden zwischen Deutschland, Österreich, England, Kopenhagen und Schottland hin und her geschickt. Statt Konkurrenzdenken wurden diese Brauer angetrieben vom Wunsch, das Bier und seinen Herstellungsprozess zu perfektionieren. Dieses Netzwerk hat nicht nur die Hefereinzucht beeinflusst, sondern auch Verbesserungen in der Mälzereitechnik und neue Bierstile wie das Wiener Lager und das Münchner Hell.
Eine technische Revolution: das „Burton Union System“
Michael Thomas Bass war nicht nur ein guter Geschäftsmann, sondern auch als Brauer ein kluger Kopf. Unter seiner Ägide stieg Pale Ale zum führenden Bierstil bei Bass auf. Zusammen mit anderen Brauern in Burton-on-Trent wie Samuel Allsopp & Sons gelang es Bass, dass Burton und (India) Pale Ale praktisch Synonyme wurden. Wer Pale Ale sagte, dachte gleich an Burton und umgekehrt. Das Brauwasser Burtons mit seinem hohen Calciumsulfatgehalt war einfach perfekt für diesen Bierstil.
In den 1840er-Jahren entwickelten die Brauer in Burton ein heute legendäres System zur Vergärung des Pale Ale, das als Burton Union System in die Biergeschichte einging. Dabei wurden die großen Gärfässer oben mit Schwanenhals-förmigen Ausläufen ausgestattet, durch die die Hefe (und auch Bier) während der intensiven Hauptgärung herauslief und in Trögen unter den Ausläufen aufgefangen wurde. Die gewonnene Hefe war durch diesen Prozess offenbar vitaler und sauberer als bei anderen, früheren Verfahren und wurde gleich wieder zur nächsten Charge eingesetzt. Bass war einer der ersten, der mit vollem Einsatz und Risiko auf dieses Verfahren der „Burtonisation“ setzte. Diese heute kurios anmutende und hygienisch fragwürdige Technik sorgte über Jahrzehnte für die herausragende Qualität der Ales aus Burton-on-Trent und trug nicht unwesentlich zur Legendenbildung bei.
Mäzen, Politiker und Familienvater
Neben dem Aufstieg seiner Brauerei betrieb Michael Thomas Bass auch seinen eigenen Aufstieg. Im Jahr 1848 kandidierte er erstmals erfolgreich für das Unterhaus (House of Commons). Als Parlamentarier fiel er allerdings mehr durch seine ungewöhnlich konstante Anwesenheit als durch großartige rhetorische Leistungen auf. Nichtsdestotrotz machte er sich einen Namen als Vertreter der Brauwirtschaft (heute würde man wohl „Lobbyist“ sagen) und bekämpfte alle Strömungen, die sich gegen den Alkohol richteten, sowohl in seiner eigenen Partei wie auch im Parlament. Er wurde dabei so populär, dass ein Magazin wie Vanity Fair 1871 ihn als Prototypen des Biermagnaten verspotten konnte. Michael Thomas Bass forderte, ganz im Sinne eines orthodoxen, liberalen Unternehmergeists des 19. Jahrhunderts, den freien Handel und niedrige Steuern, setzte sich aber auch für bessere Lebensumstände der Arbeiterklasse ein. Des Weiteren forderte er die Abschaffung der üblichen, drakonischen Strafen für Kleinschuldner. Bis zu seinem Lebensende blieb er Parlamentarier mit Leib und Seele. Als Premierminister William Gladstone ihn in den Adelsstand erheben wollte, womit er vom Unter- ins Oberhaus hätte wechseln können, verzichtete er, denn er wollte lieber im Unterhaus bleiben. Seinem Sohn Michael blieb es überlassen, später als „Baron Burton“ in den Adelsstand zu gelangen.
Sowohl in Burton-on-Trent als auch in Derby wurde er philanthropisch tätig. Bei seinem Begräbnis wurde bekannt, dass er im Verlauf seines Lebens über 80 000 Pfund gespendet hatte (nach heutiger Entsprechung ca. 9,6 Mio Pfund bzw. 11,4 Mio EUR). Dafür ließ er Büchereien bauen, ein Museum, eine Kunstschule, Schwimmbäder und Erholungsparks. Vanity Fair schrieb anerkennend: „An Michael Thomas Bass‘ Namen wird man sich in Dankbarkeit erinnern, wenn (die Premierminister) Gladstone und Disraeli vollkommen vergessen sein werden.“
Um die dynastische Nachfolge brauchte Bass sich keine Sorgen zu machen. Nachdem er im Jahr 1835 Eliza Jane Arden geheiratet hatte, erblickten in der Folge zwei Söhne und zwei Töchter das Licht der Welt. Der älteste Sohn Michael Arthur – der spätere Baron Burton – folgte seinem Vater als Leiter der Brauerei nach, war aber auch politisch sehr aktiv. Als Mäzen trat er ebenso in die Fußstapfen seines Vaters. Hamar Alfred, der zweite Sohn, machte sich einen Namen in der Politik, als Pferdezüchter und ebenfalls als Mäzen. Er geriet durch seine Spielsucht jedoch in die Schlagzeilen. Die beiden Töchter Emily und Alice wurden, der Zeit entsprechend, standesgemäß mit hochrangigen Politikern verheiratet. Bevor Michael Thomas Bass am 29. April 1884 verstarb, konnte er auf ein Lebenswerk zurückblicken, wie es kaum ein Brauer vor ihm je erreicht hatte. Er hatte die größte Brauerei seiner Zeit geschaffen, besaß eine Familie, auf die er stolz sein konnte, und als Persönlichkeit war er eine englische Institution – mit Büsten, Gemälden und Statuen in diversen Museen und Parks. Meist zeigte man ihn als ergrauten, ernst und staatsmännisch wirkenden, stolzen Mann von Welt. Eben als „ganzen Lord“, wie sein Freund Gabriel Sedlmayr ihn bereits 50 Jahre zuvor charakterisiert hatte.
Der traurige, langsame Niedergang
Den Niedergang nicht nur der Bass-Brauerei, sondern der gesamten englischen Bierindustrie, musste Michael Thomas Bass nicht mehr miterleben. Die Bass-Dominanz blieb trotz aller Probleme des englischen Biermarktes noch einige Jahrzehnte bestehen, wenn auch mit fallenden Zahlen, die durch Übernahmen anderer Brauereien kompensiert wurden. Der wahre Niedergang begann in den 1970er-Jahren. 1988 erwarb Bass die Rechte an den Holiday Inn Hotels in Amerika. Damit war der weitere Weg vorgezeichnet. Im Jahr 2000 wurden die Brauaktivitäten von Bass an Interbrew (heute AB-InBev) verkauft. Nach einem Hin und Her um Marken und Marktbeherrschung zwischen Coors/Molson und Interbrew verblieb Interbrew nur noch die Marke „Bass Pale Ale“. Die historische Brauerei in Burton wurde 2017 stillgelegt und steht seit 2020 zum Verkauf. Die Firma Bass fokussierte nach dem Verkauf des Biergeschäfts auf Hotels und Pubs, benannte sich um in „Six Continents plc“ und wurde danach weiter aufgeteilt.
Noch eine interessante Fußnote zum Schluss: Ein geflügeltes Wort in England lautet „Gone for a Burton“. Ursprünglich ist damit eine verschwundene oder vermisste Person gemeint, die man ironischerweise im Pub mit einem Pint Glas in der Hand vermutete. Mittlerweile hat sich die Bedeutung dahingehend gewandelt, dass, wenn jemand gestorben ist, er auf „ein Burton“ gegangen ist. Es ist eine schöne Metapher, sich „Lord“ Michael Thomas Bass im Jenseits mit einem Glas Bass Pale Ale in der Hand vorzustellen.
Lernen Sie in unserem Dossier: Giganten der Biergeschichte weitere herausragende Persönlichkeiten der Braugeschichte kennen.
Quellen
- Wolfgang Behringer: Die Spaten-Brauerei, Piper Verlag, München, 1997.
- Gavin B. Smith: British Brewing, Sutton Publishing, Phoenix Mill, 2004.
- T. R. Gourvish, R. G. Wilson: The British Brewing Industry 1830-1980, Cambridge University Press, Cambridge, 1994.
- https://www.logodesignlove.com/oldest-logos (abgerufen am 2.8.2022).
- https://zythophile.co.uk/2013/06/28/the-bass-red-triangle-things-ab-inbev-wont-tell-you/ (abgerufen am 2.8.2022).
- https://en.wikipedia.org/wiki/Bass_Brewery#cite_note-15 (abgerufen am 2.8.2022).
- https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1066473/umfrage/kaufkraft-eines-britischen-pfund-sterling/ (abgerufen am 2.8.2022).
Schlagworte
Großbritannien Historisches Porträt
Autoren
Günther Thömmes
Quelle
BRAUWELT 43-44, 2022, S. 1146-1149