Giganten der Biergeschichte: Jules Alphonse Saladin
Spezieller Keimkasten | Hier wird das Werk eines Mannes präsentiert, der nicht nur als „Biergigant“ durchgehen würde, sondern auch als „Whiskygigant“: Jules Alphonse Saladin. Mit seiner bahnbrechenden Erfindung, dem Saladin-Keimkasten, konnte so viel Malz günstig produziert werden, dass die Mälzereien mit dem rasant steigenden Bierdurst der ebenso rasant ansteigenden Bevölkerung in den Städten Schritt halten konnten. Ein Fortschritt, der auch die Whisky-Destillen betraf, die in ähnlichem Maße auf gutes Malz angewiesen waren.
Mit dieser Folge der Giganten der Biergeschichte, der 15. in der Reihe, versucht sich der Autor gleich an zwei Aufgaben. Zum einen ist es das Vorhaben, einen zu Unrecht vergessenen Menschen aus der Versenkung hervorzuholen, denn sein Name ist nur noch Mälzerei-Experten bekannt und selbst da nur den englischsprachigen. Zum anderen soll hier das Werk eines Mannes präsentiert werden, dem man zuschreiben kann, die Mälzereitechnik auf eine neue, die erste wirklich industrielle Stufe gehoben zu haben.
Revolution der Mälzereitechnik
Gleich drei französische Ingenieure und Erfinder standen Pate zu Beginn der modernen Mälzereitechnik. Da Saladin, der Jüngste dieser drei, jedoch die nachhaltigste und bis heute erfolgreich genutzte Erfindung beisteuerte, gebührt ihm die Ehre der ausführlicheren Berichterstattung. Ein Herr namens Rudolphe d’Heureuse, über den außer seinen Patentschriften, in denen er sich als New Yorker bezeichnet, nichts überliefert ist, beschäftigte sich als Erster auf wissenschaftlicher Basis mit der Be- und Entlüftung des keimenden Grünmalzes. Er stellte fest, wie wichtig eine gute Luftzirkulation ist, was er sich in einigen Patenten bestätigen ließ, u. a. in US-Patent 179.700 von 1875 für ein Belüftungssystem mit feuchter gesättigter Luft zwischen 60 und 70 Grad Fahrenheit (15,5 – 21 °C).
Der 1816 geborene Nikolas Joseph Galland, der auf d’Heureuses Erkenntnissen aufbaute, war ein genialer und rastloser Erfinder. 1870 gründete er, lediglich ausgestattet mit Vorkenntnissen aus der Zuckerindustrie und aus Brennereien, eine Brauerei in Maxéville, einem Vorort von Nancy. Der Lauf der Geschichte wollte es, dass Nancy und Maxéville mitsamt Gallands Société de la Brasserie Viennoise nach dem deutsch-französischen Krieg 1871 plötzlich zu Deutschland gehörten. Dies entpuppte sich für Gallands Projekte nicht als schlechteste Perspektive, denn er hatte sich bereits vorgenommen, die Mälzereitechnik zu perfektionieren und heuerte dafür eigens einen Mitarbeiter an: den zehn Jahre jüngeren Jules Saladin.
Saladin war 1826 im elsässischen Dornach, heute ein Stadtteil von Mühlhausen, zur Welt gekommen. Details zu seinen ersten 40 Lebensjahren sind nicht bekannt. Erst durch die Zusammenarbeit mit Galland und seine späteren Erfindungen sicherte sich Saladin seinen Ruhm.
Von der Trommel zum Kasten
Galland war der Überzeugung, die pneumatische Mälzerei sei das Verfahren für die Zukunft der Branche. Er entwickelte die sogenannte Trommelmälzerei, bei der er die Erkenntnisse von Rudolphe d’Heureuse in eine geschlossene, rotierbare Keimtrommel verlegte. Bei der Weiterentwicklung kam ihm nun die Zugehörigkeit zum Deutschen Reich entgegen. Zusammen mit Direktor Henning von der Freund’schen Maschinenfabrik in Charlottenburg, Berlin, entwickelte er seine Erfindung fort. Am 10. Mai 1884 erhielt die „Galland-Trommel“ das Reichspatent 32 620. Die erste Galland-Trommel wurde dann bei der Schultheiss-Brauerei in Berlin-Pankow aufgestellt. Die Galland-Trommeln fanden rasch weitere Verbreitung, bis in die USA. Es gab jedoch einen Menschen, dem diese Art der Mälzerei zu aufwändig und zu fehleranfällig war: Jules Saladin.
Obwohl er einige Patente mit Galland zusammen entwickelt und eingereicht hatte, war er mit den Resultaten nicht zufrieden. Für ihn waren es zu viele bewegliche, rotierende Teile, die Trommeln waren limitiert in ihrer Größe und mehr Platz brauchten sie auch.
Also trennte er sich von Galland, offenbar im Guten, und arbeitete alleine weiter. Galland starb 1886 und erst nach dessen Tod sollte Saladins Stern richtig aufgehen. Aber schon vorher hatte er alternative Mälzereitechniken entwickelt und damit auch Erfolg. Besonders die Keimung hatte es ihm angetan.
Bei der klassischen Tennenmälzerei hatte seit langer Zeit kein technischer Fortschritt mehr stattgefunden. Die mälzenden Brauer beschränkten sich auf empirische Prinzipien und darauf, durch die Haufenführung (warm/kalt, dick/dünn) die Malzqualität mehr oder weniger an ihre Biere anzupassen. Speziell das neuerdings so beliebte Bier aus Pilsen verlangte nach sehr hellem Malz nach britischer Art (ohne Raucharoma). Aber eines war immer gleich geblieben: Gewendet wurden die Haufen auf der Tenne von Hand. Versuche mit Malzpflügen und Tennenwendern blieben ohne Erfolg, weil die Haufen auf der Tenne meist zu unterschiedlich lagen. Ein Problem, das Jules Saladin zu lösen gedachte.
Zwischen 1876 und 1885 hatte sich der Bierausstoß (und Malzverbrauch) Münchens um ca. 60 Prozent gesteigert. Im Zollgebiet des Deutschen Reichs sollte der Malzverbrauch zwischen 1880 und 1905 um ca. 50 Prozent zunehmen. Das waren Mengen, die mit der klassischen Tennenmälzerei nicht mehr zu bewältigen waren. Neue Technologien waren dringend notwendig.
Neue Technologien für rasch wachsende Märkte
Vom 30. März 1878 datiert Jules Saladins erstes Reichspatent Nr. 3683, ein mechanischer Wender für Grünmalz. In den USA wurde es sogar bereits am 19. Juni 1877 angemeldet (Nr. 192,292). Seit dieser Zeit widmete er sich fast 30 Jahre lang, bis zu seinem Tod 1906, der Verbesserung der Mälzereitechnologie. Die Entwicklung dieses Wenders war auch bereits der grundlegende Unterschied zu Gallands Idee. Saladin wollte das Malz wenden, nicht die ganze Keimtrommel drehen. Saladin übernahm von der gemeinsamen Arbeit mit Galland lediglich die Regulierung der Luftzufuhr.
Seine Idee für diesen Einsatz hatte er eigentlich von Archimedes übernommen. Der alte Grieche hatte mit seinen Schrauben sicherlich keine Malzwender im Sinn gehabt, er wollte Wasser nach oben befördern. Und was mit Wasser geht, so dachte sich Jules Saladin, geht auch mit Grünmalz. Vorsichtig herausheben, damit die Wurzelkeime sich lockern, aber nicht zerstört werden, eine leichte Drehung – und fertig. Und das Ganze konnte in einen gemauerten, zementierten oder einbetonierten Kasten eingebaut werden. Der Saladin-Keimkasten war rechteckig, platzsparend und wartungsfreundlich – zumindest in der Theorie, denn vor den Erfolg hatten die Götter immer noch den Schweiß gesetzt. Beim 4. Deutschen Brauertag in München 1880 wurde den anwesenden Brauern als Neuerung eine Modellanlage einer Kastenmälzerei präsentiert. Jules Saladin vergab die Rechte für Bau und Vertrieb für das Deutsche Reich an die Darmstädter Maschinenfabrik Beck & Rosenbaum Nachfolger. Das Saladin-System wurde dann bereits in den nächsten Jahren in einigen Brauereien eingeführt. Euphorische Einschätzungen dieser Zeit stellten Saladins System als epochale Erfindung anfangs auf eine Stufe mit Lindes Kältemaschine.
Schneller Einzug in die Fachliteratur
In den Lehrbüchern der Mälzerei- und Brauereitechnik wurde der Saladin-Keimkasten dann sehr bald wichtiges Thema. In Zimmermanns „Lehrbuch der Bier-Brauerei“ von 1852 ist die Tennenmälzerei (innerhalb der Brauerei) noch der Standard. Eigenständige, professionelle Mälzereien existierten damals nicht oder nicht genug, um eine Erwähnung zu rechtfertigen. Bald nach Saladins Patent hielt der pneumatische Keimkasten jedoch schon Einzug in die Fachliteratur, so z. B. in Julius Thausings Standardwerk „Malzbereitung und Bierfabrikation“ von 1898. Dort räumt der Autor Saladins Prinzip bereits mehr Platz ein als Gallands Trommel, inklusive einiger Zeichnungen, und er nennt es auch das häufiger verwendete. Im „Katechismus der Brauereipraxis“ (1940) ist ebenso vom Saladinkasten die Rede wie in „Brauerei im Bild“ von Hennies und Spanner (1949). Auch Prof. Ludwig Narziß erwähnt Saladin im „Abriß der Bierbrauerei“ noch als Erfinder dieses Keimkastens. In Deutschland hat sich dennoch mittlerweile meist der Begriff Kastenmälzerei eingebürgert. Im Englischen spricht man immerhin noch bis heute von der Saladin-Box, auch wenn die wenigsten wohl den Namen herleiten können.
Praxiserfolg trotz technischer Schwächen
Im praktischen Einsatz zeigten sich dann die ersten Schwächen des Saladin-Systems. Schwächen, die Saladin selbst erkannt hatte, aber mit den Mitteln seiner Zeit leider nicht abstellen konnte. Das betraf nicht die mechanischen Wender, sein erstes eigenes Patent, obwohl das Fachpublikum recht lange und – aus heutiger Sicht – recht unsinnig darüber diskutierte, ob die Anzahl der Wender gerade oder ungerade sein müsse. Die Wender erfüllten zuverlässig ihren Zweck und waren von Anfang an Hauptgrund für Saladins durchschlagenden Erfolg. Schwierig war die Trennung von Luftzufuhr, Kühlung und CO2-Absaugung; ein Problem, das Gallands Trommel ebenso betraf wie Saladins Kasten. Die führenden Technologen waren sich damals noch uneins über Nutzen oder Schaden einer Kohlensäurerast. Aber wie auch immer das Votum ausfiele, es erforderte eine kontrolliertere Be- und Entlüftung nebst Kühlung als zur Jahrhundertwende technisch machbar war.
Außerdem rasselte der Erste Weltkrieg bereits vernehmlich mit dem Säbel und so wurden alle weiteren Fortschritte in der Mälzerei, auch bei Saladins Wunderkasten, auf die Nachkriegszeit verschoben. Danach war dann auch das Misstrauen des wirklich letzten konservativen Brauers gegenüber dem maschinell hergestellten „Pneumatikmalz“ – verglichen mit dem händisch gewendeten Tennenmalz – verschwunden und die Wissenschaft war endgültig in der Mälzerei angekommen.
Jules Saladin konnte den Erfolg seines Lebenswerkes noch miterleben. Als er am 22. Februar 1906 in Frankreich die Augen für immer schloss, war seine Erfindung bereits in der gesamten Mälzereibranche weltweit erfolgreich im Einsatz. Und sowohl alle Bier- wie auch die Whiskytrinker dürfen beim nächsten Glas gerne einen Trinkspruch auf diesen klugen französischen Erfinder aussprechen, ohne den es mit Sicherheit viel weniger Malz auf der Erde gäbe. Und das wäre doch schade.
Lernen Sie in unserem Dossier: Giganten der Biergeschichte weitere herausragende Persönlichkeiten der Braugeschichte kennen.
Quellen
- Dr. Max Delbrück: Illustriertes Brauerei-Lexikon, Parey, Berlin, 1910.
- A. F. Zimmermann: Lehrbuch der Bier-Brauerei, Schroeder Verlag, Berlin, 1852.
- Julius E. Thausing: Malzbereitung und Bierfabrikation, 5. Auflage, J. M. Gebhardt’s Verlag, Leipzig, 1898.
- E. Leyse: Die Malz- und Bierbereitung, Max Waag Verlag, Stuttgart, 1900.
- Mikuláš Teich: Bier, Wissenschaft und Wirtschaft in Deutschland 1800 – 1914, Böhlau Verlag, Köln, 2000.
- Jaroslav Dworsky, Karl Lense: Katechismus der Brauereipraxis, Datterer Verlag, München, 1940.
- Karl Hennies, Robert Spanner: Die Brauerei im Bild, Hans Carl Verlag, Nürnberg, 1949.
- Prof. Ludwig Narziß: Abriß der Bierbrauerei, Enke Verlag, Stuttgart, 1986.
- Mark Evans Patton: „The Agricultural Growth and Malting Production of Barley Grains in Northeast Tennessee and Southwest Virginia“, Masterarbeit, East Tennessee State University; https://dc.etsu.edu/cgi/viewcontent.cgi?article=4431&context=etd (abgerufen am 8.7.2022).
Schlagworte
Mälzereianlagen Historisches Porträt
Autoren
Günther Thömmes
Quelle
BRAUWELT 39, 2022, S. 1024-1026