160 Jahre Fachverlag Hans Carl – 160 Jahre Biergeschichte, Teil 3: 1945 bis 1989
Vom Wirtschaftswunder zur Wiedervereinigung | Der dritte Teil der Jubiläums-Artikelserie von Günther Thömmes zur Biergeschichte seit 1861 beschäftigt sich mit dem mühsamen Neubeginn nach dem Zweiten Weltkrieg und der Zeit zwischen Wirtschaftswunder und Wiedervereinigung.
In den Ruinen blühte ab 1945 der Schwarzmarkt, und Bier war davon nicht ausgeschlossen. Das mit Kriegsende erlassene Sudverbot wurde ignoriert oder umgangen, wo man konnte. Und wo es Rohstoffe gab, die ebenfalls schwarz gehandelt wurden. Einige Brauereien durften „Armee-Bier“ brauen, von dem aber längst nicht alles bei den alliierten Soldaten landete.
Rohstoffeinkauf auf dem Schwarzmarkt
Bayern war besonders kreativ, die Erfindungsgabe reichte von schwarz gedruckten Malzbezugsscheinen bis zu sogenannten „Hefesuden“, deren Notwendigkeit mit dem Hefebedarf der Bäcker erklärt wurde.
Im Frühjahr 1948 waren dann endgültig keine Rohstoffe mehr vorhanden und die Hopfenernte beschlagnahmt – die Branche stand vor dem Aus. Jede Kalorie, die aus Getreide gewonnen werden konnte, war in den Augen der Kommandatur zu wertvoll für Bier. Doch die langsam wieder zusammenfindenden regionalen Brauereiverbände nutzten ihre Kontakte und ihren Sachverstand, um die zuständigen Dienststellen vom Nutzen einer funktionierenden Brauereiindustrie zu überzeugen.
Aufhebung des Brauverbotes
Schließlich entschloss sich die Bipartite Economic Control Group (BECG, zuständig für die Britische und Amerikanische Zone), ab Juli 1948 das Brau- und Mälzungsverbot aufzuheben und zumindest Dünnbier mit 1,7 Prozent Stammwürze zuzulassen. Die Brotmarken zum Erwerb dieser bierähnlichen Kreation wurden dann tonnenweise gedruckt, zum Kurs von 50 g Brot gegen 1,5 Liter Dünnbier.
Doch dann kam alles ganz anders: Die Währungsunion überraschte fast alle. Gegen harte D-Mark füllten sich wie von Zauberhand die Regale der Geschäfte. Hopfen und Malz waren ebenfalls plötzlich wieder verfügbar.
In Bayern wurden die Vorschriften der Alliierten weiter ignoriert: Ein kräftiges Schankbier mit sieben bis acht Prozent Stammwürze, eine Art „Selbsthilfebier“, musste sogar vom bayerischen Finanzminister Kraus per Biersteuerstundung sanktioniert werden.
Im Sommer 1949 wurden die Biere dann aus der Illegalität zurückgeholt, und 1950 wurde die Biersteuer auf die in der Folge gültigen Sätze gesenkt. Die Gersten- und Malzkontingentierung wurde beendet, Hopfen war wieder regulär erhältlich. Die Normalität begann mit einem Gesamtausstoß von 12,2 Millionen hl – so niedrig wie in über einhundert Jahren nicht. Doch das nun einsetzende Wirtschaftswunder (in Westdeutschland) zog den Bierkonsum und die Gewinner aus der Brauereien-Landschaft mit nach oben. Von da an gingen die beiden deutschen Staaten getrennte Wege.
Wirtschaftswunder und Planwirtschaft
Die Schäden bei den Brauereien waren regional sehr unterschiedlich ausgefallen. Auf dem Land waren sie weit weniger gravierend als in den großen Städten, die besonders in den Industriegebieten großflächig ausgebombt worden waren. Nicht nur Geldmangel verhinderte die nun notwendigen Neuinvestitionen, hinzu kam eine immer noch herrschende Rohstoffknappheit, die sich nicht nur auf Hopfen und Malz, sondern ebenso auf Kraftstoff, Maschinen und Ersatzteile erstreckte. Dazu kamen mangelnde Absatzmärkte, denn auch die Gastronomie in den Städten lag darnieder.
In der sowjetischen Besatzungszone wurden die Brauereien in die nun einsetzende radikale Bodenreform, Kollektivierung und staatliche Planwirtschaft mit einbezogen.
Zeitzeugen-Berichten zufolge gelang der Aufbau der Brauereien im Westen aber auch deswegen schneller und effizienter, weil in vielen Betrieben die Mitarbeiter mitsamt ihren Familien Hand anlegten, Tag und Nacht Trümmer wegräumten und neue Wände und Dächer errichteten. Auf diesem Weg sicherten sie sich ihre Arbeitsplätze.
Das Gleiche für‘s „Volkseigentum“ zu machen, wie im Osten gefordert, war scheinbar nicht ganz so reizvoll. Zudem mussten die Brauereien in der sowjetischen Zone mit größeren Demontagen der Sieger umgehen. Die Brauereien im Osten litten weniger unter Kriegsschäden und waren daher wertvoller, was ihre Anlagen anging. Die Bierproduktion war sofort nach Kriegsende kontingentiert. Zuerst kam die Armee, der Rest durfte an die Zivilbevölkerung verteilt werden. Zu etwa dem gleichen Zeitpunkt, als im Westen die D-Mark eingeführt wurde, ging im Osten die Stammwürze auf 12 bis 14 Prozent hoch. Die Bierpreise dort waren vorgeschrieben. Die Verwendung von Surrogaten war in der DDR bis zur Wiedervereinigung üblich.
Technischer Ausschuss des DBB
Der Deutsche Brauer-Bund wurde am 1. April 1949 neu gegründet und setzte sich sogleich mit Rechts-, Agrar-, Steuer-, Zoll- und Verkehrsausschüssen für die entsprechenden wirtschaftspolitischen Agenden ein.
Besondere Bedeutung kam jedoch dem Technischen Ausschuss zu. Denn hier wurden nicht nur die technischen und technologischen Standards und Gewährleistungen für den Sudhausbau festgelegt, sondern auch Normen von Gebindegrößen für Flaschen bis zu Materialien für Bierfässer und Flaschenkästen.
Pro-Kopf-Konsum von Bier stieg stetig an
Das mit den 50er-Jahren einsetzende Wirtschaftswachstum trieb den Pro-Kopf-Bierkonsum in nie gekannte Höhen, von 35,6 Litern 1950 bis zur Bestmarke von 145,9 l/Jahr im Jahr 1980.
1952 sahen die Amerikaner keinen Grund mehr, den Marschallplan noch fortzuführen. Eine korrekte Einschätzung, die sich auch in den enormen Ausstoßsteigerungen der Brauereien widerspiegelte.
1955 konnten die Besitzer eines Fernsehgerätes den ersten Film über die Bierproduktion im deutschen Fernsehen sehen. Ein Jahr später vermeldete die Bierbranche etwa 2600 aktive Brauereien.
Einen direkten Einfluss auf das weitere Wachstum hatte auch die ab 1967 vom Deutschen Brauer-Bund initiierte Bier-Gemeinschaftswerbung. Also nicht marken-bezogen, sondern das Bier allein stand im Vordergrund. Die Kampagne wurde gemeinsam von den Verbandsmitgliedern bezahlt. Bis heute gängige Slogans wie „Durst wird durch Bier erst schön“ halfen dabei mit Millionenauflagen von Informationsschriften, mit Fernsehspots, Plakaten und Zeitungsinseraten das „Volksgetränk Bier“ in seiner Beliebtheit weiter zu steigern.
Dortmund als Bierstadt Nr. 1
Ende der sechziger Jahre löste Nordrhein-Westfalen im Bundesländer-Vergleich den langjährigen Ausstoß-Spitzenreiter Bayern ab. Das hatte nicht nur mit den Menschenmassen zu tun, die mittlerweile dort lebten, sondern auch mit dem Siegeszug des Bierstils „Export“. Als Lieblingsbier der Arbeiterklasse hatten vor allem die großen Dortmunder Brauereien einen bedeutenden Anteil am Ausstoß des bevölkerungsreichsten Bundeslandes. Dortmund war Europas Bierstadt Nummer Eins, nirgendwo wurde in dieser Zeit mehr Bier gebraut.
Die Kronenbrauerei, vor dem Krieg zusammen mit der Münchner Spaten die größte Brauerei Deutschlands, überschritt 1964 erstmals die Millionen-hl-Grenze. Der Konkurrent, die Dortmunder Actien-Brauerei, war ihr da bereits um fünf Jahre zuvorgekommen.
Aufstieg der Landbrauereien
Aber im Sauerland (und anderswo) wartete bereits die große Herausforderung. Kolportiert wird, dass viele Arbeiter, die aus dem Ruhrgebiet ins Sauerland zur Kur fuhren, sich dort mit dem „vornehmeren“, schlankeren Pils anfreundeten, und es dann auch daheim auf der Couch trinken wollten.
Verbesserter Straßenausbau und niedrigere Standortkosten wirkten sich zugunsten dieser Landbrauereien aus Sauerland und Eifel aus, die in den siebziger Jahren die Platzhirsche aus den Großstädten in arge Bedrängnis bringen sollten.
In Warstein, Meschede-Grevenstein, Krombach oder Bitburg (Großstadt-Ausnahme: König in Duisburg) waren tüchtige Familien am Werk, die innovativ und mit kurzen Entscheidungswegen Pils als Bierstil in Deutschland nicht nur salonfähig machten, sondern es mit weitem Abstand vor allen anderen platzierten. Bis heute. Auch spätere Trends wie Weißbier können an der Vormachtstellung von Pils nicht rütteln.
Neue Großbrauereien auf der grünen Wiese zeugten von einem ungebremsten Fortschrittsglauben, der nicht immer bestätigt wurde, aber die neuen „Kathedralen des Bieres“ waren auch eine gute Möglichkeit, der internationalen Brauergemeinde den hohen Stand deutscher Technik vorzuführen.
Aufholjagd in der Brautechnik
Der mehr als zehnjährige Stillstand in der Brautechnik war nämlich alsbald aufgeholt worden. Nachdem vor den großen Kriegen Fachausstellungen immer Hand in Hand mit Verbandstagungen abgehalten worden waren, fand im Jahr 1951 in München die erste Brauereimesse Interbrau statt. Bei dieser Messe wurden die Vichy- und Steinie-Flasche als Neuheiten präsentiert.
Bei der zweiten Interbrau 1957 wurden erstmals halbautomatische Sudwerke (mit Maischautomatik) vorgestellt, und sogar das Konzept des zylindrokonischen Tanks (ZKT) war bereits ein Gesprächsthema. Auch wenn es noch zehn Jahre dauern sollte, bis bei der Kulmbacher Brauerei der erste komplette ZKT-Keller errichtet wurde.
Anfang der 60er-Jahre wurden die ersten vollautomatischen Sudwerke geliefert. Die Einführung des Whirlpools kann man um 1967 datieren.
Bis Anfang der 70er-Jahre hatte sich die Schroterei auf die drei Varianten trocken, konditioniert und nass aufgeteilt, wobei Zweiteres das beliebteste Verfahren war.
Über 90 Prozent der Neuanlagen wurden bereits mit Dampfbeheizung ausgeliefert, einige wenige mit Heißwasser oder Öl. Edelstahl löste Kupfer als Hauptwerkstoff für Sudgefäße endgültig ab und die ersten CIP-Anlagen und Pfadukos wurden installiert.
Die Automatisierung machte rasante Fortschritte. Inspiriert vom Erfolg der Interbrau, wurde ab 1978 auf dem neuen Nürnberger Messegelände, als jährliche Veranstaltung, nur mit Pause in „Interbrau-Jahren“, die Brau installiert.
Die Anlagenbauer erlebten in der Nachkriegszeit eine Blüte mit der Lieferung von Großanlagen inkl. monatelangen Montagen in die ganze Welt. Nicht jede Innovation überlebte bis in die heutige Zeit. So war Blocksudwerken, Variationen des Maischefilters oder anderen Neuerungen zwar kein dauerhafter Erfolg beschieden, sie zeugten aber vom Einfallsreichtum der Ingenieure.
Als kurioser Tribut an den Zeitgeist wurde auch die Werbung der an sich trockenen Materie „Anlagenbau“ angepasst, bis hin zu mehr oder weniger bekleideten Models.
Forschung und Lehre
Ab 1950 führte Karl Schuster den Weihenstephaner Lehrstuhl für chemische Technologie des Brauwesens – in Personalunion mit der Leitung der Lehr- und Versuchsbrauerei. Er führte das von seinem Vorgänger begonnene dreibändige Lehrbuch „Bierbrauerei“ fort, das zum Standard für alle Studenten des Brauwesens wurde und auch von seinem Nachfolger Ludwig Narziß (ab 1964) stets auf der Höhe der Zeit gehalten wurde. Professor Narziß führte den Lehrstuhl für Technologie der Brauerei I bis 1992.
In Berlin teile die VLB das Schicksal der Stadt. Im Osten übernahm die Humboldt-Universität die Brauer-Agenden, während in Westberlin die VLB mit der TU Berlin einen Neustart wagte. Hier ragten besonders die Professoren Hans Albert Bausch (Ost und West-Berlin) sowie Karl Wackerbauer heraus, letzterer auch in der Brauerausbildung. Bekanntester Lehrer für die angehenden Brauer und Mälzer, auch im Westen und nach der Wiedervereinigung, war jedoch kein Berliner, sondern der Dresdner Wolfgang Kunze, der 1961 mit seinem in der DDR erschienenen Werk „Technologie Brauer und Mälzer“ den dortigen Standard setzte. Bis heute.
Der 19. November 1971 war ein wichtiges Datum, denn in diesem Jahr wurde die Mitteleuropäische Brautechnische Analysenkommission (MEBAK) ins Leben gerufen.
1985 hatte nicht nur der Wein seinen Glykol-Skandal, sondern auch die Biertrinker mussten sich Sorgen um die Reinheit ihres Getränks machen. Unter dem Stichwort „Monobromessigsäure“ lief eine unappetitliche Affäre ab, nachdem nicht nur ein bayerischer Brauer bei den Weihenstephaner Empfehlungen zu „Braumethoden im Ausland“ das letzte Wort offenbar nicht verstanden und dabei Unterstützung von dort bekommen hatte.
Beginnende Globalisierung
1952 erwarb die Dr. Oetker KG die Frankfurter Binding Brauerei. Dies sowie der Einstieg der Schörghuber Gruppe bei den Münchnern Hacker-Pschorr und Paulaner in den siebziger Jahren waren signifikante Übernahmen in Deutschland, die zu Konzernbildungen führten.
In Österreich führte die Brau Union ihre Übernahmen, die schon vor dem Krieg begonnen hatten, weiter in Richtung eines alle anderen überragenden Braukonzerns.
Die Globalisierung warf ebenfalls bereits erste Schatten: 1987 schlossen sich die belgischen Brauer Artois und Piedboeuf zu Interbrew zusammen, der Keimzelle des heutigen AB InBev Konzerns. Die dänischen Carlsberg und die holländischen Heineken begannen bereits vor dem Fall des Eisernen Vorhangs mit der Internationalisierung ihres Geschäfts, teils über Lizenzen, teils über Fusionen. Bei der Globalisierung der Brauwirtschaft spielten die deutschen Brauereien als Akteure nur insofern eine Rolle, als dass einige von ihnen übernommen wurden.
Neue Gasthausbrauereien und Craft Bier
1985 eröffnete in Karlsruhe der Vogelbräu. Erwähnung verdient er jedoch nicht so sehr wegen seiner gigantischen Bierproduktion, sondern weil dies der Startschuss war für einen bis heute anhaltenden Trend: die Gasthausbrauerei. Eine Einrichtung, die mittlerweile in vielen Ländern, nicht nur in Deutschland, auf‘s Trefflichste mit Craft Brauern neuerer Prägung zusammengefunden hat.
Apropos Craft Bier: Am 14. Oktober 1978 unterzeichnete US-Präsident Jimmy Carter das Gesetz H.R. 1337. Diese Unterschrift bedeutete nichts weniger als die lange überfällige Deregulierung des amerikanischen Biermarktes, Biersteuer-Freiheit für Hobbybrauer und freien Privatkonsum von selbstgebrautem Bier. Carter erreichte mit diesem Gesetz kurz vor seiner Abwahl Brauer-Heldenstatus.
Seit dem Ende der Prohibition war der amerikanische Biermarkt immer mehr zu einer Spielwiese einiger weniger Konzerne geworden, die für den sehr schlechten Ruf des amerikanischen Bieres verantwortlich zeichneten. Dass dies mittlerweile völlig anders ist, dass viele amerikanische Biere zu den besten der Welt gehören, haben nicht nur die amerikanischen Craft Brauer Präsident Carter zu verdanken, sondern auch alle Brauer, die sich von der danach startenden Bewegung haben inspirieren lassen.
Lesen Sie alle Teile der Jubiläums-Serie „160 Jahre Fachverlag Hans Carl – 160 Jahre Biergeschichte“:
Teil 1: 1861 bis 1914 – Die Belle Époque der Brauer, Seite 14 – 19.
Teil 2: 1914 bis 1945 – Zwischen Überschwang und Überleben, Seite 30 – 34.
Teil 3: 1945 bis 1989 – Vom Wirtschaftswunder zur Wiedervereinigung, Seite 42 – 46.
Teil 4: 1989 bis 2021 – Offene Grenzen, offene Märkte und dann Corona, Seite 60 – 64.