Ist wirklich jeder Schluck eine Gefahr?
Gesundheitspolitik | Alkohol und Gesundheit – seit jeher ein Thema, das Politik und Wissenschaft beschäftigt. Doch nie zuvor wurde die Debatte so emotional und polemisch geführt wie heute. Die Anti-Alkohol-Kampagne der Weltgesundheitsorganisation, neue Trinkempfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) und Schlagzeilen der Medien heizen die Kontroverse an. Die Brauwirtschaft wehrt sich gegen die pauschale Aussage, dass jeder Schluck Bier ein Gesundheitsrisiko darstellt.
Lange Zeit galt: Ein Bier oder ein Glas Wein schaden nicht – so lautete die Einschätzung vieler Ernährungswissenschaftler weltweit. Doch der Wind hat sich gedreht. Angetrieben von einer immer stärker werdenden Abstinenzbewegung vertritt die Weltgesundheitsorganisation (WHO) nunmehr den radikalen Standpunkt, dass selbst geringste Mengen Alkohol der Gesundheit schaden können und es beim Alkoholkonsum keine gesundheitlich unbedenkliche Menge gibt („No safe level“) [1]. Dieser Sichtweise hat sich in der Folge nun auch die Deutsche Gesellschaft für Ernährung angeschlossen und ihre Trinkempfehlungen entsprechend angepasst. In einem neuen Positionspapier empfiehlt die DGE, vollständig auf Alkohol zu verzichten [2].
Diese Neubewertung fand im Sommer 2024 breite mediale Resonanz mit Schlagzeilen wie „Selbst das eine Bierchen ist schon ungesund“. Sie hat weitreichende Folgen für die öffentliche Diskussion und möglicherweise auch für das Verhalten der Verbraucherinnen und Verbraucher.
Die einflussreiche und zu etwa 75 Prozent aus Steuergeldern finanzierte DGE hat mit ihrem Papier ihre jahrzehntelange Leitlinie revidiert, die moderaten Alkoholkonsum als unkritisch ansah. Für gesunde Frauen hatte die DGE bisher eine tolerierbare Alkoholmenge von zehn Gramm pro Tag genannt (ein kleines Glas Bier), für gesunde Männer waren es zwei Gläser Bier.
Wie die WHO beruft sich die DGE bei ihrer Einschätzung auf internationale wissenschaftliche Studien. Doch sind diese Aussagen wirklich belastbar und seriös? (Abb. 1).
Genuss und Missbrauch unterscheiden
Die im Deutschen Brauer-Bund e.V. zusammengeschlossenen Brauereien stehen für einen bewussten, maßvollen und verantwortungsvollen Genuss von Bier im Rahmen eines gesunden Lebensstils. Missbrauch eine klare Absage zu erteilen, ist der Branche ein wichtiges Anliegen. Diese Überzeugung spiegelt sich auch in den zahlreichen Präventionskampagnen des Dachverbandes wider (Überblick unter www.bierbewusstgeniessen.de). Auch wenn heute in Deutschland 50 Prozent weniger Alkohol getrunken wird als noch in den 1970er-Jahren und sich gerade junge Menschen immer bewusster verhalten, bleibt Missbrauch ein gesellschaftliches Problem, das weiter eingedämmt werden muss.
Ebenso muss klar sein, dass in bestimmten Lebenssituationen generell keine alkoholischen Getränke konsumiert werden dürfen: So hat der Schutz von Kindern und Jugendlichen oberste Priorität, auch müssen die gesetzlichen Abgabeverbote in Handel und Gastronomie konsequent eingehalten werden. Schwangere und Stillende sollten kategorisch auf alkoholische Getränke verzichten. Wer Auto fährt, Sport treibt, Medikamente einnimmt, Maschinen bedient oder gesundheitliche Probleme hat, muss sich ebenfalls der Wirkung von Alkohol bewusst sein.
Die ganz überwiegende Mehrheit der Menschen in Deutschland konsumiert Bier und andere alkoholische Getränke jedoch sehr verantwortungsbewusst. Die offiziellen Zahlen der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung belegen zudem, dass der Alkoholkonsum von Jugendlichen in Deutschland seit Jahren deutlich zurückgeht und auf einem historisch niedrigen Stand ist. Auch vor diesem Hintergrund wehrt sich die Branche dagegen, dass ein bewusster, moderater Konsum alkoholischer Getränke mit Missbrauch gleichgesetzt wird (Abb. 2).
Differenzierung gefordert
Die zentrale Aussage der DGE, dass es „keine potenziell sichere Alkoholmenge für einen unbedenklichen Konsum“ gebe und jeder Schluck Alkohol per se ein Gesundheitsrisiko darstelle, ist in dieser Pauschalität nicht richtig.
Auf diesen zentralen Kritikpunkt weist im Übrigen nicht nur die Alkoholwirtschaft hin, sondern zunehmend auch renommierte Wissenschaftler. Sie betonen ebenfalls, dass die pauschale Ablehnung moderaten Konsums wissenschaftlich nicht haltbar ist [3]. Ein jüngst von der Dachorganisation der US-amerikanischen Wissenschaftsakademien NASEM im Auftrag des US-Kongresses veröffentlichter Bericht hat gerade erst festgestellt, dass es für die Behauptung, selbst geringe Mengen an Alkohol seien in jedem Fall ein Risiko, keine stichhaltigen Beweise gibt [4]. Es wird Zeit, dass diese Stimmen auch in der öffentlichen Diskussion stärker gehört werden.
Wichtige Faktoren nicht ausblenden
Die DGE unterscheidet in ihrem Positionspapier zwar in einigen Passagen zwischen einer risikoarmen und einer riskanten Alkoholmenge.
In der Zusammenfassung, der abschließenden Empfehlung und vor allem in der öffentlichen Kommunikation wird allerdings pauschal von Alkoholkonsum als Gesundheitsrisiko gesprochen. Zahlreiche weitere Einflussfaktoren auf die Gesundheit, die das Risiko einer Erkrankung erheblich beeinflussen können, werden damit nicht hinreichend berücksichtigt und kommuniziert.
Es ist wissenschaftlich belegt, dass die Auswirkungen von Alkohol stark variieren können je nach Geschlecht, Alter, Lebensstil, nach genetischen Faktoren und individuellem Gesundheitszustand. Was für die eine Person in Maßen völlig unproblematisch sein kann, kann sich für eine andere Person als durchaus schädlich erweisen. Die Verallgemeinerung „Am besten null Promille“ wird der Heterogenität der Bevölkerung und ihrer individuellen Risiken nicht gerecht. Diese Differenzierungen sind aber essenziell, um ein ausgewogenes und präzises Bild zu zeichnen. Das Thema ist komplex und sollte deshalb auch in seiner Komplexität abgebildet, diskutiert und kommuniziert werden.
Im Übrigen widerspricht auch eine aktuelle Metaanalyse zum Zusammenhang zwischen Alkoholkonsum und Gesamtsterblichkeit, die in dem DGE-Positionspapier selbst zitiert wird, der Aussage, es gäbe keine „sichere risikofreie Dosis“: Die Analyse fand keine Unterschiede im Sterberisiko zwischen Personen mit geringem (bis < 25 g/Tag) und moderatem Alkoholkonsum (25 bis < 45 g/Tag) und lebenslang Abstinenten [5]. Wer also wenig bis moderat trinkt, lebt rein statistisch genauso lang wie bei lebenslanger Abstinenz, so das Ergebnis.
Wissenschaftliche Korrekturen anerkennen
Die DGE stützt sich in ihrem Positionspapier stark auf die sogenannte „Global Burden of Disease Study“ (GBD-Studie). Diese regelmäßig durchgeführte Studie hat zum Ziel, das weltweite Ausmaß an Krankheiten, Verletzungen und Risikofaktoren abzuschätzen. Dabei geht es auch um den Einfluss des Alkoholkonsums auf die weltweite Krankheitsbelastung.
Da bei der 2018 veröffentlichten GBD-Studie modifizierende Faktoren nicht berücksichtigt worden sind, wurden die Ergebnisse von demselben Forscherkreis neu bewertet und die neuen Ergebnisse 2022 veröffentlicht. Nach der aktualisierten Auswertung – teils mit denselben Daten wie im Vorgängerbericht – gibt es nun doch einen „sicheren Bereich“ für moderaten Alkoholkonsum bei Erwachsenen mittleren und höheren Alters, wie die Autoren anmerken [6].
Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) räumt in ihrem Positionspapier zu Alkohol an mehreren Stellen selbst Zweifel an der wissenschaftlichen Evidenz ihrer neuen Empfehlungen ein, zieht aber offensichtlich die falschen Schlussfolgerungen. Auszüge aus dem Papier: „Die Aussagekraft von Metaanalysen von Kohortenstudien zur Beziehung zwischen Alkoholkonsum und Gesamtmortalität ist durch methodische Schwierigkeiten stark limitiert.“ „Die Schätzungen des alkoholbedingten Sterberisikos variieren je nach Studiendesign zudem erheblich und sind somit schwierig zu interpretieren.“ „Bei der Erfassung der Alkoholzufuhr gibt es methodische Schwierigkeiten, die bei der Erhebung, Auswertung und Interpretation der Daten zu berücksichtigen sind.“ „Es ist allerdings nicht möglich, einen konkreten Alkoholkonsumgrenzwert für die Entstehung einzelner Krankheiten durch Alkoholkonsum zu ermitteln.“ |
Dies ist eine echte Kehrtwende, und die DGE bleibt bislang die Antwort auf die Frage schuldig, warum sie diese neuen Erkenntnisse zwar nicht ignoriert, aber doch die falschen Schlussfolgerungen daraus gezogen hat.
Eine der Autorinnen der GBD-Studie, Prof. Emmanuela Gakidou von der Medizinischen Fakultät der Washington Universität, lässt sich wie folgt zitieren: „Unsere Botschaft ist einfach: Junge Leute sollten nicht trinken, aber ältere Menschen können vom Trinken in kleinen Mengen profitieren. Auch wenn es unrealistisch ist, dass junge Erwachsene auf Alkohol verzichten, halten wir es dennoch für wichtig, die neuesten Erkenntnisse zu kommunizieren, damit jeder fundierte Entscheidungen über seine Gesundheit treffen kann.“ [7]
Eingeschränkte Datenlage
Die neuen Empfehlungen der DGE sind aus reinen Beobachtungsstudien (Kohortenstudien) abgeleitet, die prinzipiell keine kausalen Zusammenhänge belegen können, sondern nur Korrelationen aufzeigen, also das statistische Zusammentreffen von Beobachtungen. Es ist bei solchen Beobachtungsstudien nahezu unmöglich, andere Einflussfaktoren auszuschließen oder diese einzeln zu messen.
Wenn es also in der beobachteten Gruppe der Alkohol konsumierenden Menschen mehr Erkrankungen oder Todesfälle gibt, stellt sich die Frage, ob der Unterschied tatsächlich auf das untersuchte Merkmal (Alkoholkonsum) zurückzuführen ist oder ob andere Einflüsse, die nicht erfasst wurden, der Grund sein könnten. Diese sehr eingeschränkte Datenlage wird zwar von der DGE in dem Positionspapier eingeräumt, dennoch werden daraus die „No safe level“-Empfehlungen abgeleitet.
Taugt Kanada als Vorbild?
Die neuen Handlungsempfehlungen der DGE beruhen wesentlich auf Berechnungen der kanadischen Suchtbehörde „Canadian Centre on Substance Use and Addiction“ (CCSA), die 2023 veröffentlicht worden sind [8]. Auf Grundlage eines mathematischen Modells leitete die CCSA ihre Empfehlungen ab, wobei die offiziellen kanadischen Trinkrichtlinien noch nicht ersetzt wurden, auch wenn dieser Eindruck in der Berichterstattung häufig erweckt wird.
Ganz im Gegenteil hat es das kanadische Gesundheitsministerium sogar abgelehnt, die Empfehlungen des CCSA zu übernehmen. Stattdessen besagen die offiziellen kanadischen Trinkrichtlinien nach wie vor, dass Frauen nicht mehr als zwei „Standardgetränke“ pro Tag (in Kanada: 341 ml Bier) und Männer nicht mehr als drei Standardgetränke pro Tag konsumieren sollten.
Wissenschaftler vermuten, dass die modellierten CCSA-Trinkempfehlungen nicht an die Stelle der offiziellen kanadischen Trinkrichtlinien getreten sind, da sie mit wissenschaftlichen Fehlern behaftet und die Ergebnisse zu wenig differenziert seien.
Zudem gilt es auch hier, den Absender zu hinterfragen. Die CCSA-Veröffentlichung, die entscheidend die DGE-Position beeinflusst hat, beinhaltet selbst einen Ausweis der Interessenskonflikte der Autoren. Danach gehören dem Team der Autoren keinerlei Experten für kardiovaskuläre Erkrankungen oder Krebs oder andere relevante Todesursachen an.
Mehrere Wissenschaftler haben zudem enge Verbindungen zu der 1851 gegründeten „Guttempler“-Bewegung (Movendi International), die sich für einen alkoholfreien Lebensstil einsetzt und offizieller Partner der WHO ist.
Wir brauchen eine ausgewogene Debatte
Leider hat sich die gesellschaftliche und mediale Diskussion bei diesem Thema stark zugespitzt. Der Deutsche Brauer-Bund und die Wissenschaftsförderung der Deutschen Brauwirtschaft fordern eine ausgewogene Diskussion über Alkohol und Gesundheit, die über simple Schwarz-Weiß-Botschaften hinausgeht.
Dieser Appell richtet sich an Institutionen wie die WHO oder die DGE, an die Medien und auch an die Politik, die durch Handlungsempfehlungen wie von Seiten der DGE dazu gedrängt wird, Alkohol strenger zu regulieren.
Die pauschale Aussage, jeder Schluck Alkohol sei riskant, führt zu einer Stigmatisierung selbst moderaten und verantwortungsvollen Alkoholkonsums. Die Konsequenzen solcher Null-Toleranz-Empfehlungen könnten kontraproduktiv sein, da geringer bzw. moderater Konsum alkoholischer Getränke im Rahmen einer gesunden Lebensweise und unter Berücksichtigung individueller Risikofaktoren durch die Botschaft „Am besten null Promille“ letztlich mit hoch riskantem Missbrauch gleichgesetzt wird.
In der Debatte sollte auch die soziale Komponente nicht außer Acht gelassen werden. Bier bringt Menschen zusammen und fördert Geselligkeit.
Selbst die WHO definiert Gesundheit in einem ganzheitlichen Sinne: „Gesundheit ist ein Zustand vollkommenen physischen, geistigen und sozialen Wohlbefindens und nicht bloß das Fehlen von Krankheit und Gebrechen“, heißt es in der Präambel der WHO-Verfassung [9].
Wesentliche Elemente dieses ganzheitlichen Begriffs von Gesundheit und Wohlbefinden, einschließlich der Ernährung, fehlen im deutschen DGE-Positionspapier und – vielleicht noch wichtiger – in der medialen und politischen Auseinandersetzung.
Stattdessen dreht sich die Debatte ausschließlich um die körperliche Gesundheit, ohne zu berücksichtigen, dass der Konsum eines Getränks mit einem moderaten Alkoholgehalt die Lebenszufriedenheit und das allgemeine Wohlbefinden steigern kann.
Wird der Genuss von Bier nicht von der überwältigenden Mehrheit der Bevölkerung mit Geselligkeit und sozialem Miteinander, mit gutem Geschmack und einem positiven Lebensgefühl verbunden?
Um nicht missverstanden zu werden: Missbrauch von Alkohol kann nicht nur die eigene Gesundheit beeinträchtigen, sondern auch fatale Folgen für Dritte haben. Das soll nicht ignoriert werden.
Es ist und bleibt das Ziel, Missbrauch entschieden zu bekämpfen und vulnerable Gruppen wie Kinder zu schützen. Kritikwürdig und zu hinterfragen hingegen ist die (falsche) Botschaft, dass jeder Schluck Bier für jeden gesundheitsschädlich sei.
Literatur
- https://www.who.int/europe/de/news/item/28-12-2022-no-level-of-alcohol-consumption-is-safe-for-our-health, abgerufen am 07.01.2025.
- „Alkohol – Zufuhr in Deutschland, gesundheitliche sowie soziale Folgen und Ableitung von Handlungsempfehlungen“, DGE-Positionspapier, ErnährungsUmschau 2024; 71(10).
- Mukamal, K.; Rimm, Eric B.: „Is alcohol good or bad for you? Yes.“, Harvard Public Health, 2024, https://harvardpublichealth.org/policy-practice/is-alcohol-bad-for-you-or-is-alcohol-good-for-you-yes/, kommentiert von Dr. Gregor Zwirn „Evidence-based policy or policy-driven evidence?“ und Prof. Alfred Uhl: „Zwischen Genuss und Risiko – Alkoholkonsum in Diskussion“.
- „Review of Evidence on Alcohol and Health“, National Academies of Sciences, Engineering, and Medicine, 2025.
- Zhao, J.; Stockwell, T.; Naimi, T. et al., Jama Network Open, 2023, 6:e236185.
- „Population-level risks of alcohol consumption by amount, geography, age, sex, and year: a systematic analysis for the Global Burden of Disease Study 2020“, The Lancet, Nr. 400, S. 185–235.
- www.healthdata.org/research-analysis/health-risks-issues/alcohol-use, abgerufen am 07.01.2025.
- https://www.ccsa.ca/canadas-guidance-alcohol-and-health, abgerufen am 07.01.2025.
- Preamble to the Constitution of the World Health Organization as adopted by the International Health Conference (1948), https://www.who.int/about/governance/constitution, abgerufen am 07.01.2025.
Schlagworte
Alkohol Alkoholkonsum Gesundheit
Autoren
Holger Eichele, Julia Busse
Quelle
BRAUWELT 4, 2025, S. 123-126
Firmen
- Deutscher Brauer-Bund e.V., Berlin, Deutschland