Das Hopleaf hat 62 Zapfhähne im Ausschank (Foto: Hopleaf)
16.10.2023

Was zählt, ist Einzigartigkeit

Charakteristische Biere | Amerika ist Importland Nummer eins für Bier. Der Hauptteil stammt von großen, weltweit aufgestellten Marken. Mit der Craft Bier-Bewegung fanden auch Bier­spezialitäten privater Brauereien aus Europa großen Zuspruch bei den amerikanischen Konsumenten. In post-pandemischen Zeiten scheinen Spezialbierimporte in die USA jedoch keine sichere Bank zu sein. BRAUWELT-Autorin Sylvia Kopp hat nachgefragt bei Bier­gastronom Michael Roper aus Chicago und Importeur Matthias Neidhart aus Connecticut.

Die Kategorie der importierten Biere ist in den USA laut Brewers Association 2022 um 2,8 Prozent gewachsen und hat nach Angaben des Beer Institutes einen Anteil am Gesamtmarkt von 18 Prozent. Allein 80 Prozent der Importe kommen aus Mexiko (Modelo, Corona, Pacifico), weit abgeschlagen folgen die Niederlande (Heineken) mit rund zehn Prozent aller Importe und Irland (Guinness) mit rund drei Prozent. Die Kategorie scheint zu florieren. Doch die Zahlen täuschen über das zunehmend schwierige Geschäft hinweg.

Konsolidierungsdruck

„Fast alle Aspekte des Geschäftes mit Importbieren haben sich dramatisch verändert“, so Michael Roper, Inhaber des legendären Hopleafs in Chicago. Roper hat seine Bar mit Restaurant 1992 als eines der ersten Bierrestaurants in den USA eröffnet – und genießt bis heute landesweites Renommé. Das Hopleaf setzte von Anfang an auf Craft Bier und europäische, vor allem belgische Spezialitäten. Einen Grund für die dramatischen Veränderungen sieht Roper in den Lockdowns. Die haben nicht nur zu einem drastischen Rückgang des Bierabsatzes in der Gastronomie geführt, sondern, wie er sagt, auch die Vorlieben und Gewohnheiten der Verbraucher geändert.

In der Pandemie wurden Hunderttausende von Kegs wegen Überschreiten des MHD entsorgt. „Die Kosten wurden zwischen den Brauereien, den Importeuren und den Großhändlern aufgeteilt“, so Roper. Dies habe dazu geführt, dass Importeure und Fachgroßhändler sehr vorsichtig geworden sind, Biere einzuführen, die sich weniger gut verkaufen.

Michael Roper ist ein Urgestein der ameri­kanischen Craft Bier-Szene. Sein Hopleaf ­ in Chicago zählt zu den ersten Craft Bier-Restaurants der USA (Foto: Sylvia Kopp)

Der amerikanische Getränkefachgroßhandel steht bereits seit den 90er-Jahren unter dem Druck der Konsolidierung (siehe Brauwelt Nr. 34, 2021). Die Lockdown-Politik mit ihren Folgeerscheinungen wie steigende Kosten, Lieferkettenprobleme und Facharbeitermangel haben diese Dynamik verschärft. Wie Roper berichtet, trennen sich viele der verbleibenden Großhändler von weniger umsatzstarken Marken, darunter auch importierten Bieren. Sie hätten ihre Verkaufsteams während der Pandemie drastisch reduziert und beschlossen, kein oder weniger neues Personal einzustellen. Stattdessen gebe es eine Reihe von Online-Bestellplattformen, die die wöchentlichen Besuche des Außendienstes ersetzen sollen. „Dies ist der Todesstoß für viele Nischenmarken und Bierspezialitäten, die nur durch das persönliche Gespräch und das Verkosten von Proben platziert werden können“, beklagt er.

Insgesamt gebe es viel weniger Zusammenarbeit zwischen Fachgroßhandel, Gastronomie und Einzelhandel als noch vor fünf Jahren.

Veränderungen im Markt

Dazu kommt, dass sich der Bierkonsum von der Biergastronomie in die Taprooms der lokalen Brauereien verlagert. Mancherorts fehlen der Gastronomie laut Roper bis zu einem Drittel ihrer einstigen Bierabsätze. Wenn ein so großer Teil des Biervolumens außerhalb des Three-Tier-Systems, also ohne Beteiligung des Fachgroßhandels, verkauft wird, sei die Entscheidung der Distributoren, sich auf den Verkauf von Flaschen und Dosen im Einzelhandel zu konzentrieren, nachvollziehbar. Unterm Strich schränke diese Verschiebung natürlich auch die Nachfrage nach Importen und nationalen amerikanischen Craft Bier-Marken ein.

All dies deutet auf tiefgreifende strukturelle Veränderungen im Markt hin, die der Bierkultur nicht förderlich sind. Wenn man Matthias Neidhart zuhört, sind diese strukturellen Umwälzungen für sein Geschäft zwar relevant, aber nicht bedrohlich. Der gebürtige Deutsche ist Gründer und Inhaber von B. United International Inc., einem amerikanischen Importunternehmen mit Sitz in Oxford, Connecticut. „Wir haben das beste Jahr unserer Geschichte“, stellt er laut Geschäftsstand im Juli 2023 fest. Demnach ist sein Unternehmen gut gegen die chaotische Marktlage gerüstet.

Gegründet 1994, hat sich B. United von Anfang an auf den Import besonders charakteristischer Biere fokussiert. Das Sortiment umfasst nur Marken, die bestimmte Aufnahmekriterien erfüllen: Sie sind kunstfertig gebraut, bieten das ultimative Geschmackserlebnis in ihrer jeweiligen Kategorie und, wie es weiter im „Mission Statement“ heißt, widerstehen dem Versuch, sich zu größeren kommerziellen Einheiten zu entwickeln, die auf den Massenmarkt ausgerichtet sind. In Deutschland arbeitet B. United unter anderem mit Schlenkerla, Bayerischer Bahnhof (Leipzig), Klosterbrauerei Ettal, Reissdorf Kölsch und Brauerei Plank aus Laaber zusammen.

Zwar bestätigt Neidhart, dass die amerikanischen Distributoren seine Importe bezüglich Marketing nicht unterstützen: „Die tun nicht viel für uns, weil alle mit Lieferanten nur so überhäuft sind.“ Den viel bedrohlicheren Wandel erkennt er im Verhalten der jungen „Generation Z“ und Millenials. „Das hätte ich niemals gedacht“, sagt er, „vor zehn Jahren waren die Endverbraucher interessiert an jedem Detail im Portfolio. Wir wurden angerufen von Leuten, die wissen wollten, wie dieses oder jenes Bier gebraut ist, was die Historie des Bierstils oder der Brauerei ist. Diese Neugier gibt es nicht mehr.“

Vielfalt an Biersorten geschrumpft

Seiner Erfahrung nach können nur noch Produkte bestehen, die sich differenzieren und in der Lage sind, Markentreue zu generieren. „Aus Bayern zu kommen, reicht nicht aus“, so Neidhart. Er sehe viele alte und oxidierte deutsche Biere in den Handelsregalen stehen.

Doch der Wandel betrifft nicht nur deutsche Importe. Vor zehn Jahren seien belgische Biere begehrt gewesen. „Nun ist das ganze Segment eiskalt – sogar die Lambic- und Trappisten-Biere“, so Neidhart. Seit rund fünf Jahren sinke die Zahl der belgischen Importe. Die belgischen Brauer touren, wie er sagt, durchs Land, um die alte Liebe wieder zu beleben. Und der belgische Brauereiverband sei besorgt, ob sie überhaupt wiederkommt. „Das ist aber nicht die Frage“, so Neidhart, sondern vielmehr: „Wann kommt sie zurück?“ – Dieselben Trends erscheinen seiner Meinung nach fast immer wieder.

Der gebürtige Deutsche Matthias Neidhart hat sein Importunternehmen 1994 in den USA gegründet (Foto: Sylvia Kopp)

B. United habe 50 Prozent der belgischen Biere aus dem Sortiment gestrichen, bei den deutschen sind es nur drei bis vier – aber immerhin. Wenn der Importeur nun überhaupt neue Produkte aufnimmt, dann achten sie ganz explizit auf die innere Ausrichtung einer Marke. Bei Schlenkerla beispielsweise sei es die weltweite Berühmtheit der Kategorie Rauchbier und die konsequente historische Ausrichtung der Marke. Bei der Brauerei Plank aus Laaber sei es die herausragende geschmackliche, kontinuierlich auf dem World Beer Cup ausgezeichnete Qualität bis hin zur Würdigung als „Brewery of the Year“, die der Marke einen Stamm von loyalen Kunden eingebracht habe.

Das schwindende Interesse der Verbraucher spiegelt sich in den Marktzahlen wider, die die Brewers Association alljährlich herausgibt: Demnach stagnierte der Marktanteil von Craft Bier 2022 bei 13,2 Prozent im Vergleich zum Vorjahr und ebenso der Gesamtausstoß bei 28,94 Mio hl. Er liegt damit noch unter der Pre-Lockdown-Produktion (31,1 Mio hl, 2019). Der Gesamtumsatz ist zwar um sechs Prozent gewachsen, liegt mit 28,4 Milliarden US-Dollar jedoch ebenfalls unter den Pre-Lockdown-Umsätzen (29,3 Mio US-Dollar, 2019).

„Insgesamt ist die Breite an Biersorten in den USA geschrumpft“, so Neidhart. Man bekomme hauptsächlich IPAs, vor allem die modernen „Juicy & Hazy“. Die einzige Abwechslung im Ausschank stellten oft nur Lagerbiere dar, die mittlerweile von allen amerikanischen Craft Bier-Brauereien hergestellt werden. Und schließlich weist Neidhart darauf hin, dass auch wichtige Sprecher der US-Szene verstummt sind. Dies gilt vor allem für die lauten und provokanten Vertreter der zweiten Craft Bier-Welle in den 90er-Jahren, wie Sam Callagione, der seine Brauerei Dogfish Head 2019 an die Boston Beer Company verkaufte, New-Belgium-Mitgründerin Kim Jourdan, deren Brauerei 2019 von Lion, dem australischen Zweig der japanischen Kirin Getränkegruppe, übernommen wurde, und Greg Koch, der seine Stone Brewing 2022 an Sapporo Breweries veräußerte. Selbst der angesehene „Brewmaster and Vice President“ der Brooklyn Brewery Garrett Oliver ist leise geworden. Kirin übernahm 24,5 Prozent seiner Brauerei im Jahr 2016.

Flüchtigkeit von Trends

Kein Wunder, dass keiner folgt, wenn die Anführer fehlen: „Die neue Konsumenten-Generation findet Bier nicht interessant. Eine Auseinandersetzung mit dem Produkt findet nicht statt“, so Neidhart. Geprägt von der flüchtigen, unverbindlichen Kommunikation über soziale Medien, entwickelten die jungen Leute weder emotionale Bindung noch Markenloyalität. Die amerikanischen Brauereien stellten immer neue Spin-offs her, um das Interesse ihrer Follower wach zu halten. So fehlen dem Markt letztendlich auch neue ikonische Biere, die für bestimmte Werte stehen, eine Kategorie anführen und sie generisch interessant machen.

Nach über 30 Jahren Goldrausch wirkt die einst glorreiche amerikanische Craft Bier-Szene ziemlich ernüchtert. „Das alles erinnert uns daran, dass es eben doch ein Geschäft ist“, sagt Neidhart. Auch die Konzerne, Großbrauereien und Getränkegruppen, die amerikanische Craft Bier-Brauereien zu horrenden Preisen gekauft haben, werden, wie er meint, nun wohl feststellen müssen, dass sich ihre Investitionen nicht wie erhofft amortisieren. Der wohl traurigste Beweis für seine Annahme ist die Nachricht vom 12. Juli 2023, dass die japanische Getränkegruppe Sapporo die altehrwürdige Anchor Steam Brewery in San Francisco schließt. Sapporo hatte Anchor Steam 2017 übernommen.

Angesichts der Flüchtigkeit von Trends und dem Fehlen von richtungsgebenden Werten resümiert Neidhart: „Die Zukunft ist unvorhersehbar geworden.“ – Diese Tatsache habe B. United schon lange akzeptiert. Sie verlassen sich daher im Verkauf auf „deep data mining“. Das bedeutet, dass der Außendienst Beobachtungen und Informationen von Kunden mit nach Hause bringt, die von einem Datenanalysten gesammelt und auf Cluster untersucht werden, um daraus Vorhersagen zu generieren. Auf diese Weise hat B. United schon früh den Sprung in die Ethnic-Food-Szene gewagt und verkauft dort, wo es passt, importierte Spezialitäten. „Das sind riesige Segmente, die nicht in erster Linie auf Bier fokussiert sind, jedoch enormes Interesse an einer hochwertigen authentischen Getränkeauswahl zeigen“, so Neidhart. Im Fokus stehen asiatische Restaurants sowie italienisch-mediterrane und mexikanisch-südamerikanische. Deutschland und Belgien spielten in der Ethnic-Food-Szene leider keine Rolle. Um sich breiter aufzustellen, hat der Importeur in den vergangenen Jahren sein Angebot um außergewöhnliche Produkte der Kategorien Met, Cider und Sake erweitert. „Auch für diese Kategorien gilt, dass wir nur mit hochwertigen Produkten arbeiten, die sich nicht von einer Massenproduktion adaptieren lassen“, so Neidhart.

Die neuen Trends der Gastronomie

Differenzierung ist auch der Schlüssel für die Biergastronomie. Paradoxerweise muss sich das Craft Bier-Urgestein Hopleaf nun gegen die lokalen Craft Bier-Brauereien verteidigen. Die amerikanischen Craft Bier-Brauer verkaufen ihr Bier zunehmend in eigenen Taprooms (nur Ausschank der eigenen Biere) oder Brewpubs (je nach Lizenz auch Verkauf anderer Biere, Drinks und Speisen), wo sie es günstiger anbieten können als in fremden Outlets und zugleich höhere Margen einfahren.

Das Hopleaf hat 62 Zapfhähne im  Ausschank (Foto: Hopleaf)

Dies bekommen Multi-Tap-Bars wie Hopleaf stark zu spüren. Viele Kneipengänger wandern in diese neuen Schankräume ab. Im Großraum Chicago gibt es 250 Brauereien mit Taprooms, 97 davon allein im Stadtgebiet. Viele sind von Hopleaf aus zu Fuß erreichbar. „Das hat unser Angebot verändert“, so Roper, „und uns in eine Zwickmühle gebracht. Diese Brauereien wollen zwar, dass wir ihre Biere anbieten. Einige konkurrieren jedoch auf allen Ebenen mit uns, so dass wir mit dem Verkauf ihrer Biere unsere eigene Konkurrenz subventionieren würden.“ In der Konsequenz verzichtet Hopleaf auf den Ausschank von Bieren lokaler Brauereien: „Wir sind nur dann bereit, lokale Brauereien zu unterstützen, wenn sie uns alles anbieten, was sie herstellen.“

Einzigartigkeit und Unnachahmbarkeit haben Bestand

Wie Roper berichtet, hat Hopleaf im Gegenzug das Angebot an importierten Bieren und amerikanischen überregionalen Craft Bier-Legenden verdoppelt. Auch ihr Weinangebot haben sie aufgewertet, Met und Cider integriert, ein reelles Cocktail-Programm entwickelt, das Portfolio an alkoholfreien Getränken erweitert und eine höherwertige Speisenkarte komponiert.

„Wir müssen das anbieten, was Taprooms nicht können oder dürfen“, sagt Roper. So finden sich seltene Importbiere auf seiner Karte wie beispielsweise aus Belgien das Saison von dem kleinen Brauprojekt „De Glazen Toren“ oder das Löwenzahnbier des Experimentalbrauers Fantôme. Aus Deutschland bietet Roper das Hefeweizen von Plank und aus Frankreich das hopfige Saison von der Brasserie Thierez an. Auch den Pionieren der Craft Bier-Bewegung bleibt Roper treu: Sierra Nevada, Bell‘s, Allagash, Unibroue, New Belgium. Sie waren in den Anfangsjahren wichtig für Ropers Gastronomie.

Dabei ist es laut Roper viel schwieriger geworden, Fassbier zu bekommen. „Wir müssen Kegs oft Monate im Voraus bestellen und garantieren, dass wir sie abnehmen“, so Roper. Importeure und Großhändler wollen kein Risiko eingehen, auf der Ware sitzenzubleiben. Die legendäre Flaschenbierauswahl des Hopleaf ist in der Pandemie drastisch geschrumpft: „Um überleben zu können, haben wir unseren gesamten Bestand verkauft“, so Roper. Vor zehn Jahren waren es einmal 400 Flaschen gewesen. Flaschenbier habe damals einen Umsatzanteil von 35 Prozent gehabt. In den letzten Jahren hätten seine Gäste zunehmend Fassbier bevorzugt. Und das Teilen großer Flaschen sei fast gänzlich ausgeblieben. „Es scheint heutzutage schwierig zu sein, sich zu mehreren auf eine große Flasche zu einigen, deshalb bieten wir heute nur noch ganz wenige 750-ml- oder 1,5-l-Flaschen an“, so Roper. Die 100 Biere seines aktuellen Flaschenbierprogramms sind zudem alle lagerfähig mit mindestens zweijähriger Haltbarkeitsdauer wie Lambic, Trappist Ale, Barley Wine oder Imperial Stout.

Es sei nicht alles verloren, sagt Roper. Die Zukunft der Bierimporte aus Europa liege in den historischen Bierstilen. Lagerbiere gehörten nicht dazu, aber es gebe Nischenprodukte, für die Bierkenner Umwege in Kauf nehmen und bereit sind, mehr zu zahlen. Von den deutschen Sorten seien dies Berliner Weiße, Rauchbier, Maibock, Doppelbock, Eisbock, Schwarzbier, Altbier, Gose, Weißbier und Weizenbock. „Sogar einige unfiltrierte Pilsener haben einen Platz im Herzen der amerikanischen Bierliebhaber“, so Roper. Wohlgemerkt, es handelt sich um Spezialitäten für Kenner. Die Mengen werden nicht mehr dieselben sein wie zu den Boom-Zeiten. Einzigartig, unnachahmlich und jeden Cent wert, den man dafür mehr zahlt – das ist, was Bestand hat.

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