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Quelle: Cytonn Photography on Unsplash
24.08.2020

Einkaufsverhandlungen: gemeinsam neue Wege gehen

Spieltheorie | In keinem anderen Land gibt es so viele Biersorten wie in Deutschland, so viele große und vor allem kleine regionale Brauereien. Doch gerade diese Vielfalt bringt auch einen immensen (Kosten-)Druck für die Brauereien mit sich. Der Wettbewerb ist hart, die Konkurrenz erbittert. Nur wer in Einkaufs- wie in Verkaufsverhandlungen geschickt, professionell und strategisch agiert, kann im Preiskampf bestehen und sich in einer starken Marktposition behaupten.

Eine herausfordernde Situation, denn die Brauereien stehen grundsätzlich mittig in einer komplexen zweiseitigen Marktsituation: Auf der einen Seite stehen die Lieferanten, die hochwertige Rohstoffe zu derzeit oft steigenden Preisen verkaufen. Auf der anderen Seite finden sich die Kunden, die von der Konkurrenz hart umworben werden – Zwischen- und Großhändler, Einzelhändler und Direktabnehmer wie Gastronomiebetriebe und Veranstalter.

In der Praxis ist auch zu beobachten, dass die Brauereien vor allem in den Verhandlungen gegenüber den Händlern oft viel zu früh einknicken, obwohl die Verhandlungsmacht im Grunde ausgeglichen ist. Um jedoch langfristig die Getränkeversorgung auf hohem Qualitätsniveau zu angemessenen Preisen zu halten, müssen beide Seiten realistische Chancen haben. Insbesondere große Markenhersteller bekannter und beliebter Biere könnten hier viel selbstbewusster auftreten.

Strukturiert vorgehen, Maximales erreichen

Die notwendigen Ausgaben einer Brauerei belaufen sich hauptsächlich auf Investitionsgüter, indirekte Güter und Einkäufe, beispielsweise in den Bereichen Logistik, Marketing und Energieversorgung, sowie Rohstoffe, die direkt in die Bierherstellung einfließen. Dem deutschen Reinheitsgebot folgend sind dies Hopfen, Malz, Hefe und Wasser, bei Mixgetränken zudem Zucker und weitere Inhaltsstoffe. Gerade der letzte Punkt, die Rohstoffe, ist für Brauereien ein schwieriges Pflaster. Während bei Investitions- und indirekten Gütern langfristig ausgehandelte Verträge und vorhersehbare Investitionen für Planungssicherheit sorgen, bestimmt bei den Rohstoffen die jeweilige Marktsituation den Preis, und diese kann sich durchaus schnell ändern. Hier liegen im operativen Geschäft auch die größten Ressourcen, denn etwa zwei Drittel des gesamten Einkaufsvolumens einer Brauerei entfällt auf die wenigen verschiedenen Produktionsmaterialien. Umso größer ist jedoch an dieser Stelle auch der Mehrwert, der mit systematischem Verhandeln und professionellen Verhandlungsmethoden erlangt werden kann.

Durch Evaluierung von Produkt-, Service- und Lieferanteneigenschaften lässt sich preisliche Vergleichbarkeit von Angeboten herstellen

Wer unvorbereitet und emotional in eine Verhandlung eintritt, verschenkt oft bares Geld, denn es sind vor allem diese „Freestyle-Verhandlungen“, die fehlerhaft und unüberlegt geführt werden. Geschicktes Verhandeln verlangt Struktur und System. Zudem ist es für die Wahl der Verhandlungsmethodik ein Unterschied, ob mit einem Monopolisten verhandelt wird, der sich seiner Macht durchaus bewusst ist, ob nur zwei oder drei Anbieter zur Auswahl stehen oder das Angebot unüberschaubar groß ist. Egal in welchem Feld: Verhandlungen scheitern oft daran, dass zu viele Emotionen im Spiel sind, die von Frustration über Verärgerung bis hin zu Euphorie reichen. Damit können Verhandlungen kaum erfolgreich verlaufen. Das geht nur, wenn man diese Emotionen herausnimmt und ein klares System entwickelt.

Als Grundlage für den erfolgreichen Abschluss komplexer Verhandlungen kann die Spieltheorie interessante Ansätze liefern. Die Spieltheorie beschäftigt sich grundsätzlich mit der sogenannten „strategischen Interaktion“, also der Frage, wie ich innerhalb eines Prozesses das Verhalten der anderen mit meinem eigenen Verhalten beeinflusse. Eine Verhandlung ist hierbei ein klassisches Beispiel. Verstehe ich, was die Anreize der Gegenseite sind, kann ich die Regeln der Verhandlung so festlegen, dass am Ende in jedem Fall ein Ergebnis steht, mit dem ich zufrieden bin. Um sich der Spieltheorie zu behelfen, bedarf es allerdings einiger Arbeit im Vorfeld.

Klare Zielvorstellungen und die Definition von möglichen „Ausweichzielen“ sowie eine gründliche Analyse der Markt-, Wettbewerbs- und Einkaufssituation helfen den Verhandlungsführenden, einen Überblick zu behalten und auch bei einer plötzlichen Wendung bei der Vergabe nicht den Faden zu verlieren.


Zunächst sind grundsätzlich folgende Ansätze zu bedenken:

  • Um welche Warengruppen geht es?
  • Welche Schwierigkeiten birgt der Einkauf in jeder Warengruppe?
  • Wie austauschbar sind die Produkte, welche verschiedenen Spezifikationen gibt es?
  • Wer sind die eigenen Wettbewerber und deren Zulieferer für jede Warengruppe?

Beispielsweise ist Zucker ein Produkt, das am Markt von wenigen Anbietern und ohne größere Innovationen vertrieben wird. Die Herausforderung für die Hersteller von Biermischgetränken liegt also darin, den wenigen Anbietern geschickt gegenüberzutreten und den eigenen Bedarf langfristig preisgünstig zu sichern. Hopfen oder Malz ist in vielen Sorten sowie Verarbeitungsformen verfügbar und kann zum Teil substituierbar sein. Aus dieser Vielfalt müssen die Brauereien eine Einkaufsentscheidung treffen. Als Grundpfeiler sollten Brauereien bei allen wichtigen Einkaufsverhandlungen die im Folgenden skizzierten drei Bereiche berücksichtigen.

Aktuelle Märkte und Prozesse analysieren

Es ist für jede Produktklasse zunächst wichtig zu verstehen, wie der Markt beschaffen ist und wie die aktuellen Einkaufsprozesse im eigenen Unternehmen ablaufen. Hierbei ist es wichtig, dass nicht nur die Einkäufer eingebunden werden, sondern auch die Ingenieure, Braumeister, etc., um ein möglichst genaues Bild des Wettbewerbs zu zeichnen – insbesondere dann, wenn es darum geht, neue Alternative zu erschließen:

  • Gibt es gute Alternativen zum aktuellen Zulieferer?
  • Gibt es Alternativen, für die interne Prozesse umgestellt werden müssten?
  • Besteht eine kurz- oder mittelfristige Abhängigkeit gegenüber einem Zulieferer? Wenn ja, wie kann diese mittel- oder langfristig aufgelöst werden?
  • Wie sind die aktuellen Vertragslaufzeiten?
  • Sind automatisierte, indexbasierte Preisanpassungen vertraglich vereinbart? Wenn ja, in welcher Frequenz?

Vergleichbarkeiten schaffen

Der nächste wichtige Schritt ist die Schaffung einer Vergleichbarkeit zwischen den Angeboten. So kann es beispielsweise sein, dass die Angebote neuer Zulieferer sich in der Preisdimension nicht direkt vergleichen lassen, weil essenzielle Produkteigenschaften abweichen: eine andere Hopfensorte, eine aufwändigere Vorveredlung, unterschiedliche Logistik. Dies bedeutet jedoch noch nicht, dass dieser neue Zulieferer keine Alternative darstellt. Im Gegenteil: Mit Hilfe der zuständigen Experten in der Brauerei muss evaluiert werden, was diese Abweichungen zum derzeit eingekauften Produkt in Geld bedeuten.

Man spricht bei diesem Vorgehen von einer sogenannten Bonus/Malus-Evaluation. Ist die Abweichung positiv, wird dem Zulieferer in der internen Einkaufsbewertung, dem sogenannten Vergleichspreis, der resultierende monetäre Vorteil als Bonus eingepreist. Ist sie negativ, bekommt er den resultierenden monetären Nachteil als Malus auf seinen Vergleichspreis.

Roadmap bis zur erfolgreichen Vertragsunterzeichnung

Bei dieser Bewertungsmethode können auch vertragliche Bestandteile wie die Vertragslaufzeit oder die Frequenz der Preisanpassungen objektiv verglichen werden. Die Methode berücksichtigt alle Dimensionen eines Angebotes und bietet den Brauereien im Ergebnis eine solide Basis für die Verhandlungen. Denn nur, wenn auch die Anbieter die Entscheidungsgrundlagen der Brauereien verstehen, können sie ihr Angebot verbessern. Und nur das ermöglicht einen echten und fairen Wettbewerb.

Vergaben neu strukturieren

Wenn man mehrere potenzielle Anbieter identifiziert hat, kann als nächstes eine Wettbewerbsvergabe in mehreren Schritten gestaltet werden.

Erster Schritt
Zunächst muss man einen optimalen Portfolio-Mix finden, gewissermaßen die goldene Mitte zwischen stabilen Festpreisen und variablen Marktpreisen. Denn werden die Preise komplett und über einen längeren Zeitraum festgelegt, profitiert die Brauerei unter Umständen nicht von sich verbessernden Marktkonditionen. Setzt der Vertrag dagegen ausschließlich auf variable Konditionen, gefährden überraschende Preissprünge die Planungssicherheit und bringen betriebswirtschaftliche Prognosen ins Wanken.

Zweiter Schritt
Danach sind Vorverhandlungen zur Abfrage von Präferenzen der Lieferanten zu führen, um auch die Lieferantenseite besser zu verstehen und zielgerichteter zu verhandeln. Wichtige Fragen hierbei sind: Welche Spezifikationen sind für den Lieferanten am attraktivsten zu liefern? Welche Mengenzusicherungen wollen die Lieferanten erreichen, um welche Preisunterschiede geht es, und inwiefern ist es für die Brauerei lohnend, hierbei auf die Lieferanten zuzugehen? Und schließlich: Welche Anreize ergeben sich aus der Bonus/Malus-Bewertung für die Lieferanten, und wie können sie in die gewünschte Richtung gelenkt werden?

Hierbei geht es darum zu verstehen, welche Ziele für die Lieferanten wichtig sind. Einerseits kann man sich so näherkommen und auch dem Lieferanten Zugeständnisse machen, andererseits kann man damit den Prozess auch zu eigenen Gunsten designen. Diese Lieferantenziele sind nicht immer klar. Beispielsweise denkt der Einkäufer vielleicht, einem Lieferanten so viel Abnahmemenge wie möglich zuzusichern, bringe den besten Preis. Möglicherweise ist der Lieferant jedoch bereits bei 80 Prozent des Bedarfs der Brauerei an seiner Kapazitätsgrenze, die er kurzfristig oder ohne größere Investitionen nicht erhöhen kann. Dann sollte der Vergabeprozess am Ende vorsehen, den jeweiligen Bedarf über mehrere Lieferanten zu decken.

Dritter Schritt
Schließlich legt man das spieltheoretisch optimale Verhandlungsdesign fest, also den genauen zeitlichen Ablauf und die „Spielregeln“ – um schlussendlich ein Vergabedesign zu erlangen, das den bestehenden Wettbewerb optimal nutzt. Das genaue Design hängt dabei von vielen Faktoren und Fragestellungen ab, beispielsweise: Möchte man den Zulieferern Informationen über den Wettbewerb vorab zuspielen? Möchte man dem bisherigen Stammzulieferer eine vorgeschaltete Möglichkeit geben, der Stammzulieferer zu bleiben, weil dadurch zum Beispiel keine Prozesse umgestellt werden müssen? Erwartet man sehr ungleiche Angebote, weil einem Zulieferer diese Vergabe besonders wichtig ist?

Wettbewerb bei einem einzelnen Anbieter aufbauen

Auch wenn es nur einen einzigen Anbieter gibt, sei es durch fehlende Alternativen oder technische Einschränkungen, punktet der Einsatz der Spieltheorie. Jedoch müssen die Methoden und Vorgehensweisen für diesen Verhandlungsprozess entsprechend angepasst werden, um einen wettbewerbsähnlichen Druck zu erzeugen, der teilweise signifikante Konditionsverbesserungen zur Folge hat:

Konsequenzen identifizieren
Was kann ich dem Zulieferer geben oder nehmen, wenn er sich nicht in meine Richtung bewegen will? Und wie wird dem Zulieferer klar, dass auch mittelfristig noch ein Wettbewerb aufgebaut werden kann, wenn es sich wirtschaftlich nicht mehr lohnt, zu den aktuellen Konditionen einzukaufen?

Committment schaffen
Es ist gerade bei bilateralen Verhandlungen ohne direkte Alternative wichtig, dem Zulieferer begreiflich zu machen, dass es keine Ausweichoption zu der aktuellen Verhandlung gibt. Es muss außerdem glaubhaft dargestellt werden, dass Konsequenzen, die durchaus kurzfristig Geld kosten können, auch umgesetzt werden. Dazu müssen gegebenenfalls Zusicherungen vom Management eingeholt werden, um die Glaubhaftigkeit zu unterstreichen.

Verhandlungs-Roadmap erstellen
Die Zielfrage lautet: Wie schaffe ich es, einen Spannungsbogen aufzubauen, sodass ich am Ende das bestmögliche Ergebnis erziele? Druck und Entgegenkommen sollten sich situationsabhängig die Waage halten, nur eines der beiden Extreme ist nicht unbedingt zielführend. Der Verhandelnde muss dazu einen sehr situationsabhängigen Zwischenweg finden, um das bestmögliche Ergebnis zu erzielen.

Befolgt man diese Schritte, kann Druck aufgebaut werden, der dem Wettbewerbsdruck sehr ähnelt und für teils signifikante Konditionsverbesserungen sorgt.

Gemeinsam statt gegeneinander

Insgesamt ist nicht nur in Brauereien ein Umdenken in der Verhandlungsführung vonnöten. Noch werden gerade in der Lebensmittelbranche, in der es oft um Saisonware und Waren mit kurzen Produktzyklen geht, Verhandlungen unter großem Zeit- und Preisdruck geführt: ruppig, ad hoc, wenig durchdacht.

Zudem bedienen sich die Verhandlungsführer der Händler in der Regel den klassischen Verhandlungsmethoden: Druck, Einschüchterung und Drohung. So nutzen Supermärkte und Discounter ihre Macht gegenüber den Brauereien aus, um die Hersteller im Preis zu drücken und ziehen bei den Verhandlungen „die Daumenschrauben“ an.

Grundsätzlich bringen beide Seiten mit einem respektvollen Vorgehen dem Gegenüber auch eine wichtige Wertschätzung entgegen, die zu einem größeren Verhandlungserfolg führt. Brauereien und ihre Abnehmer können sich beispielsweise bewusst auf die Lücken in den Zielvereinbarungen der Gegenseite konzentrieren und diese für sich nutzen. Außerdem gibts es Optimierungsmöglichkeiten in der Regel nicht nur beim Endpreis. Auch die Bonus/Malus-Methode findet hier ihre Berechtigung, denn mit ihr kann der Einkäufer der Brauerei seine und die Interessen der Anbieter angleichen: Die Anbieter wollen das bestmögliche Angebot abgeben, um die Einkaufsentscheidung zu gewinnen; der Einkäufer erhält passgenaue Angebote, die nicht nur einen guten Einkaufspreis, sondern auch weitere Vorteile beinhalten.

Gute  Vorarbeit lohnt sich: ein Fazit

Gerade der Einkauf der Rohmaterialien ist in Brauereien, wie oben auseinandergesetzt, ein komplexes Thema, das einiger Analysen bedarf. Trotz eines bereits hohen Reifegrades im Brauereieinkauf sind mit einem strukturierten Verhandlungsansatz zentrale Optimierungen möglich, vor allem wenn man dem Weg „gemeinsam statt gegeneinander“ folgen mag. Und: Hat man ein genaues Bild vom tatsächlichen Wettbewerb und durch Bonus/Malus-Evaluation gleiche Wettbewerbsbedingungen für alle geschaffen, kann der Wettbewerb in seinem ganzen Potential genutzt werden. So lohnt sich die mühevolle Vorarbeit am Ende für die Brauereien langfristig.

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