Giganten der Biergeschichte: Stefan Huppert
Gewerkschaftskämpfer | Viele Folgen dieser Reihe beschäftigen sich mit erfolgreichen Gründern und Brauherren. Gerade im 19. Jahrhundert war diese Spezies des Unternehmers besonders erfolgreich. Es gab kaum Eingriffe seitens des Staates, die Einkommens- und Vermögenssteuern waren lächerlich gering, und soziale Gesetzgebung, Tarifverträge oder Gewerkschaften lagen noch in ferner Zukunft. Heute haben wir oft keine Vorstellung mehr, wie lang und mühsam der Weg war zu unseren heutigen sozial-partnerschaftlichen Verhältnissen.
Bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts war der Brauerberuf zwar hart, aber durchaus angesehen. Die Brauereien legten Wert darauf, gute Brauer lange zu behalten und nicht zur Konkurrenz ziehen zu lassen. Das Verhältnis zwischen dem Brauherrn und Arbeitern war meist kollegial-freundschaftlich.
Das änderte sich durch die Industrialisierung auch in den Brauereien. Die traditionellen Zünfte verloren an Einfluss oder lösten sich gleich auf. Ein ähnliches Korrektiv gab es für die sich nun formierenden und rasant wachsenden Industriebrauereien nicht.
Auch die soziale Absicherung, von den Zünften für ihre Mitglieder über Jahrhunderte üblich, wurde nicht ersetzt. Daher mutierte der Brauereiarbeiter innerhalb weniger Jahre zum simplen „Produktionsfaktor“, so wie Maschinen, Boden und Kapital. Einziger Zweck seines Daseins war die Gewinnmaximierung der Brauerei. Er hatte kein Fachwissen mehr, wurde beliebig austauschbar.
Das Wohlergehen der Arbeiter war nur noch im Hinblick auf ihr störungsfreies Funktionieren wichtig, wie bei einer Maschine. Man sollte es nicht pauschalisieren, aber die Arbeiter wurden in den folgenden Jahrzehnten unter erbärmlichen Bedingungen gnadenlos ausgebeutet. Besonders in den großen Städten, mit ihrem unendlich erscheinenden Reservoir an frischen Arbeitern.
Wenn ein Brauherr angeblich ein gutes Verhältnis zu seinen Mitarbeitern hatte, dann meist nur mit den Meistern, Vorarbeitern und Prokuristen. Oder nur für die Presse. Es wurde Zeit für eine soziale Revolution. Und ein Name sticht da besonders hervor: Stefan Huppert aus Wien.
Elend, harte Arbeit, ständige Trunkenheit und Ausbeutung
Bevor wir uns mit Huppert befassen, ist ein kleiner Überblick angebracht über die Bedingungen, unter denen die Arbeiter in den Industriebrauereien der großen Städte ihr Leben fristeten, sei es München, Wien oder Berlin. Es gibt zahlreiche Berichte von Zeitzeugen, Briefe und Tagebuchaufzeichnungen, ja, sogar Gedichte dazu – so dass man diese unmöglich als Einzelfälle abtun kann.
Der Brauer Eduard Backert aus Thüringen, später selbst erfolgreicher Gewerkschafter in Deutschland, lieferte mit seinen Lehr- und Wanderjahren aus dieser Zeit einen populären und eindrucksvollen Augenzeugenbericht.
Beginnen wir mit der Arbeitszeit: Es gab keine Feiertage oder Wochenenden, die meisten Arbeiter mussten ihre mühevolle Arbeit bis zu 365 Tage im Jahr verrichten. 14 bis 17 Stunden am Tag. Um 3:30 Uhr in der Nacht begann die Schicht, die um 21:30 Uhr endete. Manchmal wurden die Männer noch einmal nach Mitternacht zum Umschlagen der Darre aus den Betten geholt.
Die wenige Zeit, die sie zum Schlafen und Essen hatten – zu mehr blieb kaum Zeit –, verbrachten sie in Gemeinschaftsunterkünften auf dem Brauereigelände, die mit Etagenbetten und bis zu 40 Personen pro Zimmer belegt waren. Berichten und Tagebüchern zufolge waren die Unterkünfte verseucht mit Ratten, Läusen und anderem Ungeziefer.
Der Hauptgrund für die Unterbringung der Arbeiter in diesen Elendsquartieren war, neben der ständigen Verfügbarkeit, sie unter Kontrolle zu behalten und nicht „schädlichen, sozialistischen Ideen“ auszusetzen.
Der Lohn war karg. Ein nicht unerheblicher Teil des Lohns wurde, neben der Unterkunft und Mahlzeiten, als Haustrunk „ausgezahlt“. Vier bis acht Liter pro Tag standen jedem Mitarbeiter der Brauereien zu. Aber was so schön klingt, entwickelte sich zu einem enormen Ärgernis. Es herrschte nämlich der so genannte „Trinkzwang“. Das bedeutete, dass der Haustrunk weder abgegeben noch aus der Brauerei herausgeschafft werden durfte. Und was nicht getrunken wurde, verfiel zu Gunsten der Brauerei.
Der Konsum derartiger Mengen, täglich und während der Arbeitszeit, war weder der Gesundheit der Arbeiter noch der Arbeitssicherheit förderlich. Die Arbeit in Kälte, Hitze und Nässe laugte die Menschen derart aus, dass viele mit 35 Jahren körperlich am Ende waren.
Dazu eine erschreckende Zahl: Im Jahr der Reichsgründung, also 1871, betrug die statistische Lebenserwartung eines Mannes in Deutschland nur 35,6 Jahre. Die der Frauen war nur unwesentlich länger (38,5 Jahre). Wie viele Arbeiter im Ausgleich für die Älteren noch früher starben, kann man gar nicht abschätzen.
Erste Proteste wurden gewaltsam niedergeschlagen
Dass die Arbeiter früher oder später gegen diese Zustände aufbegehren würden, war nur eine Frage der Zeit. Doch die Brauherren hatten, wie alle anderen Unternehmer dieser Ära, Gesetze und Staatsgewalt noch auf ihrer Seite.
An dieser Stelle wollen wir uns auf den Fortgang der Arbeiterbewegung in Wien konzentrieren, wobei es zum Beispiel in Berlin und München ähnlich verlief. Hier waren die Arbeiter der Brauereien, ähnlich der ganzen Branche, im Grunde konservativ und alten Ideen verhaftet. Insofern hätte man eine soziale Revolution eher in anderen Branchen zuerst erwartet.
1848 hatten die Arbeiter sogar teilweise noch ihre Herren gegen die Revolutionäre beschützt. Jedoch, das besondere Elend der Arbeiter und, als Kontrast, der ungeheure Reichtum der Brauherren wie Anton Dreher (siehe Teil 8 dieser Reihe in BRAUWELT Nr. 50, 2021, S. 1298–1301) und Mautner-Markhof (siehe Teil 32 dieser Reihe in BRAUWELT Nr. 6, 2024, S. 210–212), erzeugten eine Spannung, die sich irgendwann entladen musste.
Noch gab es aber ein altes Gesetz, das Versammlungen oder Verabredungen von Gesellen zum Zweck, Lohn oder Bedingungen zu verbessern, streng untersagte. Die Folge waren Lohnabzüge, körperliche Züchtigungen – bis hin zu Entlassungen.
Entlassen zu werden bedeutete, auf einer schwarzen Liste zu landen und auch in keiner anderen Brauerei mehr Arbeit zu finden. Einige mussten sogar nach Amerika auswandern.
1852 wurde das Strafrecht überarbeitet und, bei Übernahme der alten Verbote, sogar noch verschärft. Es dauerte bis Ende der 1860er-Jahre, bis eine liberalere, generelle Versammlungsfreiheit die Arbeiter ermutigte, endlich für ihre Rechte auf die Straße zu gehen.
Im April 1870 wurde das Koalitionsgesetz beschlossen, ein erstes wichtiges Arbeitsgesetz. Denn ab nun stand das Verhandeln über bessere Löhne und Arbeitsbedingungen nicht mehr unter Strafe. Die erste große Wirtschaftskrise 1873 sorgte jedoch dafür, dass erst einmal nicht mehr protestiert wurde, denn ein jeder war froh um seinen Arbeitsplatz. Daher sollte es noch Jahre dauern, bis wirklich etwas geschah – womit wir bei Stefan Huppert angekommen sind.
Hupperts Leben war zuerst nicht von Erfolg geprägt
Seine ersten Jahre verbrachte Huppert im heutigen Polen. Geboren am 8. Mai 1871 in Wadowice, als Sohn eines Brauereibesitzers und Landwirts, sollte er den elterlichen Betrieb übernehmen. Er war ein schlechter Schüler, in der dritten Klasse des Gymnasiums fiel er durch. So fing er mit 16 Jahren an, in Brauereien zu arbeiten. Er lernte in der Brauerei Okocim unter Johann Götz, einem früheren Braumeister Anton Drehers d. Ä.
Über seine Lehrzeit sagte er später ironisch, sie sei für ihn ein wirkungsvoller Anschauungsunterricht über die Segnungen des Kapitalismus gewesen. Schon damals habe er beschlossen, bei der Beseitigung dieses Unrechts mitzuhelfen. Ganz so schnell ging es aber nicht.
Zunächst kehrte er nach der Lehre nach Hause zurück, um feststellen zu müssen, dass sein Vater durch seinen „ausgesprochenen Hang zum Prozessieren“ und durch andere Missgriffe den elterlichen Betrieb in den Ruin geführt hatte.
1890 begann Huppert daher bei der „Graf Larisch Mönnich‘schen Bierbrauerei und Malzfabrik“ in Karwin/Karviná (Mährisch-Schlesien, heute Tschechien) als Biersieder zu arbeiten.
Ab 1893 finden wir ihn dann in Wien, bei der Simmeringer Brauerei. Es war nicht angenehmer, hier zu arbeiten. Hupperts Biograf schreibt: „Von der schweren und langandauernden Arbeit todmüde und vom vielen Biertrinken berauscht fiel er in seine Klappe, meistens in Kleidern und Stiefeln, um nach wenigen Stunden Schlaf wieder geweckt zu werden und wieder an die Arbeit zu gehen.“ So war er zur Stelle, als Anfang der 1890er-Jahre die zweite Phase der Arbeiterbewegung startete.
Hupperts Karriere als Gewerkschafter begann recht unspektakulär: Im April 1898 wurde Huppert Mitglied im Verband der Brauer und Fassbinder, er wurde Schriftführer und Vertrauensmann in der Simmeringer Brauerei.
Nun kümmerte er sich um die Abschaffung des bereits oben erwähnten Trinkzwanges. Huppert ging mit seinen nicht verbrauchten Marken zum Direktor und hielt ihm einen Vortrag über die Schädlichkeit des Trinkzwanges. Der Direktor stimmte zu, die Marken in Geld abzulösen.
Im Jahr 1902 übernahm Huppert die Leitung der Gewerkschaft der Brauer, Fassbinder und der verwandten Gewerbe. Lediglich 166 Binder, 88 Brauer und sieben Hilfsarbeiter waren Mitglied.
Bei der Generalversammlung formulierte er seine revolutionäre Idee: Die Zusammenfassung aller organisierten Brauereiarbeiter und Fassbinder zu einer einzigen Organisation. In den folgenden Jahren traten Vereine aus dem ganzen Kaiserreich bei.
Am 23. April im Jahr 1905 konnte Huppert stolz die Gründung des Verbands der Brauereiarbeiter, Fassbinder und verwandter Berufe Österreichs bekannt geben. Nur ein Jahr später zählte der Verband bereits 10.000 Mitglieder, davon allein ca. 2500 in Wien.
Nun begann die dritte Phase des Kampfes der Brauereiarbeiter. Der erste große Erfolg war dann auch der Abschluss des ersten Tarifvertrages in der Lebensmittelbranche 1905 in der Brauerei Ottakring.
Ohne gesetzliche Grundlage wurde ein Konsens über bessere Löhne und Arbeitsbedingungen mit dem sozial denkenden Brauherrn Moritz Kuffner erreicht. Diese Einigung hatte Forderungen und Unruhen in den anderen Brauereien zur Folge. Streikfonds wurden gebildet, nichts mehr wurde widerspruchslos hingenommen.
Schwierigster Verhandlungspartner wurde die Schwechater Brauerei; die Nachfolger Drehers dachten ähnlich wie die Vorgänger in streng kapitalistischen und wenig arbeiterfreundlichen Kategorien. Dennoch wurde bis 1914 viel erreicht, bevor der Erste Weltkrieg diesem Aufschwung und Phase Drei ein Ende setzte.
Krisen, Erfolge und Verhaftung
Trotz des Kriegsgeschehens kämpfte Huppert weiter, und nicht mehr nur für die Brauereiarbeiter und Fassbinder, sondern auch für die Bäcker, die Fleischhauer und -selcher sowie die Tabakarbeiter. Er war nicht als Soldat eingezogen worden und konnte daher im November 1917 den „Zentralverband der Lebens- und Genussmittelarbeiter und -arbeiterinnen Österreichs“ als neue Dachorganisation gründen.
Während der Ersten Republik (1919 bis 1934) vermittelte er als Obmann des Zentralverbandes in unzähligen Streiks und schloss Kollektivverträge ab. Die wirtschaftliche Lage nach dem Zerfall des Kaiserreichs machte die Situation bereits unerträglich schwer – und nach dem Aufstieg des Austrofaschismus wurde sie unmöglich.
Ein 1933 verabschiedetes Antiterrorgesetz schränkte die Kampfkraft der Gewerkschaften ein. Streiks waren nun de facto verboten. Huppert schrieb und kämpfte wortreich dagegen an.
Während der Februarkämpfe im Jahr 1934 stürmten Mitglieder der „Heimwehr“ das Krankenkassengebäude, in dem Huppert seit 1902 seinen Arbeitsplatz hatte. Am 18. Februar erhielt Huppert die Aufforderung, sich im Polizeikommissariat zu einer Einvernahme einzufinden.
Er wurde dann aber zur „Auskunftserteilung“ auf die Polizeidirektion geholt und am 2. März 1934 an das Landesgericht für Strafsachen überstellt. Die Anklagepunkte waren fadenscheinig. 90 Stunden lang wurde er verhört. Unter anderem wollte man wissen, wo das Gewerkschaftsvermögen hin verschwunden war. Die rund 1,4 Mio Schilling waren von einem Freund Jean Schifferstein, dem Obmann der Schweizer Gewerkschaft der Lebens- und Genussmittelarbeiter, abgehoben und transferiert worden, um es dem Zugriff der Austrofaschisten zu entziehen. Schifferstein weigerte sich, das Geld zurückzugeben. Das würde geschehen, wenn „Österreich wieder ein freies Land“ wäre. Das sollte indes noch dauern.
Die Austrofaschisten lösten die freien Gewerkschaften, die Sozialdemokratische Arbeiterpartei und alle deren Vereine auf und konfiszierten deren Vermögen. Huppert kam Ende Juni gegen eine Kaution von 20.000 Schilling frei, aber er musste sich ab sofort regelmäßig bei der Polizei melden und wurde wiederholt von der Wirtschaftspolizei verhört.
Er zog sich ins Privatleben zurück. Zwar traf er noch gelegentlich (illegale) Gewerkschafter, verbrachte seine Zeit ansonsten aber damit, viel zu lesen und eine Zypresse zu pflegen, deren Samen er von Karl Marx‘ Grab aus London mitgebracht hatte.
Leider musste er noch erleben, wie seine engsten ehemaligen Mitarbeiter verhaftet wurden, wie sein Lebenswerk zerstört wurde und wie das Gewerkschaftsvermögen schließlich doch noch in die Hände der Austrofaschisten gelangte. Der Anschluss Österreichs und der Zweite Weltkrieg blieben ihm erspart. Stefan Huppert starb am 11. Mai 1937 mit 66 Jahren in Wien.
Lernen Sie in unserem Dossier: Giganten der Biergeschichte weitere herausragende Persönlichkeiten der Braugeschichte kennen.
Quellen
- Paleczny, A.: Die Wiener Brauherren, Löcker Verlag, Wien, 2014.
- Paleczny, A.; Springer, Chr.; Urban, A.: Die Geschichte der Brauerei Schwechat, Böhlau Verlag, Wien, 2021.
- Teich, M.: Bier, Wissenschaft und Wirtschaft in Deutschland 1800-1914, Böhlau Verlag, Wien, 2000.
- Schäder, Chr.: Münchner Brauindustrie 1871-1945, Tectum Verlag, Marburg, 1999.
- „Das Recht der Arbeit“, Schrift der Arbeiterkammer Wien, 3/2016.
- „Geschichte der Gewerkschaften“, Archiv des ÖGB, Wien.