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Lange Zeit prägten die Kutschen der Brauerei Engelhardt das Berliner Stadtbild (Foto: Berliner Morgenpost; https://www.morgenpost.de/berlin/article227157055/Die-vergessene-Geschichte-des-Ignatz-Nacher.html)
19.02.2024

Giganten der Biergeschichte: Ignatz Nacher

Beraubter Bierbaron | Fast alle Folgen dieser Reihe handeln auf die eine oder andere Art unsere (Bier-)Geschichte ab. Sie handeln vom Aufstieg, vom Reichtum und vom Ende großer Brauereien. Aber niemand sollte glauben, dass die Enteignungen in der Zeit von 1933 bis 1945, die sogenannten „Arisierungen“, der Druck und die Erpressungen, wie es die Nazis in der Wirtschaft salonfähig gemacht haben, vor den Brauereien haltmachten. Hier ist die unglaubliche, traurige Geschichte des größten jüdischen Bierbrauers in Deutschland, Ignatz Nacher.

Im niederschlesischen Breslau wurde seit vielen Jahren eine spezielle Sorte Bier gebraut: obergäriges Weizenstarkbier, das Schöps oder Scheps genannt wurde. Abgeleitet von dem alten Wort für „Haube“, was für eine gute Schaumkrone spricht. Der Schöps (bis heute markenrechtlich geschützt) hatte im Spätmittelalter in Breslau Einzug gehalten, was mit damaligen Verboten des Brauens mit Gerste zusammenhing. Ganz rekonstruieren lässt es sich nicht mehr, das Weizenstarkbier wurde wohl mit einer Mischung aus Saccharomyces cerevisiae, wilden Hefen wie auch Milchsäurebakterien vergoren.

Der Schöps war stark und auch in Berlin sehr beliebt. Bereits 1860 eröffnete ein namentlich nicht bekannter Brauer in der Berliner Chausseestraße 33 eine Weißbier-Brauerei. Der Brauer August Werm übernahm die Braustätte 1880 und baute sie zur „Breslauer Weizenbier-Brauerei A. Werm“ aus.

Nach nur fünf Jahren übernahmen der Kaufmann Ernst Engelhardt und der Braumeister Rudolph Frömchen die Brauerei und nannten sie fortan „Ernst Engelhardt & Rudolph Frömchen Breslauer Weizenbier-Brauerei“. Nur ein Jahr darauf schied Rudolph Frömchen aus dem Unternehmen aus, so dass dieses nun zur „Breslauer Weizenbier-Brauerei Ernst Engelhardt“ wurde.

Der Name Engelhardt blieb, auch als es 1895 wieder einen neuen Besitzer namens Martin Wasserzug gab, der allerdings den Namen nicht groß änderte: „Breslauer Weizenbier-Brauerei Engelhardt Nachf. (M. Wasserzug)“.

Um 1900 produzierte die Brauerei etwa 10 000 hl pro Jahr. 1902 verschlechterte sich Wasserzugs Gesundheitszustand so rapide, dass er das Brauergeschäft an seinen Prokuristen Ignatz Nacher übergab. Der nannte 1903 die Brauerei „Engelhardt-Brauerei Nachf. oHG (Ignatz Nacher)“.

Das Geschäft mit den Zigarren

Wer war dieser Ignatz Nacher? Geboren wurde er am 25. November 1868 in Iskriczin im österreichischen Teil von Schlesien, wo seine Eltern in Wiejska einen kleinen Laden betrieben. Er war also Staatsbürger Österreichs. Über Kindheit und Jugend ist wenig bekannt. Er hatte zwei Brüder (Sigmund und Rudolf) und er wuchs in ärmlichen Verhältnissen auf.

Ignatz Nacher (1869 – 1939) (Foto: Osnabrücker Rundschau; https://os-rundschau.de/rundschau-magazin/judith-kessler/flaschenpfand-arisierung-engelhardt-werden-die-meisten-biertrinker-noch-kennen/)

Nach der Schule absolvierte Nacher eine Lehre in einer Zigarrenhandlung und wurde mit 18 Jahren für zehn Jahre Handelsreisender. Dort lernte er das Verkaufen, aber auch, die verschiedenen Geschmäcker der Kunden einzuschätzen und mit dem richtigen Produkt darauf zu reagieren. Buchhaltung lernte er auch.

Dann fand man in ihn Gleiwitz wieder. Dort hatte sich Ignatz Nacher 1896 mit 28 Jahren selbstständig gemacht. Er besaß einen kleinen Kiosk am Germaniaplatz und verkaufte Zigarren. Das Geschäft lief gut.

Am Anfang eine kleine Brauerei

Derweil ist Wasserzug gesundheitlich und finanziell am Ende. Otto Mayer, ein Geschäftsmann aus Breslau, beliefert Wasserzugs Brauerei mit Gummiwaren und weiß um den schlechten Zustand der Brauerei. Mayers Vater wiederum ist ein renommierter Baumeister in Gleiwitz und Stammkunde für Nachers Zigarren. Otto Mayer nimmt Kontakt zu Nacher auf und fragt ihn nach seinem Interesse, eine kleine Brauerei zu übernehmen.

Am 1. April 1901 beginnt Nacher als geschäftsführender Prokurist bei der „Breslauer Weizenbier-Brauerei Engelhardt Nachf. (M. Wasserzug)“. Obwohl es schlecht um den Betrieb steht, lässt sich Nacher nicht entmutigen. Er ist mittlerweile versiert in der Buchhaltung und versteht etwas von Zahlen.

Acht Tage erst arbeitet er in der Brauerei, da steht er frühmorgens um 4 Uhr auf dem Hof und beobachtet, wie die beiden Kutscher einen Teil des Bieres auf eigene Rechnung verkaufen wollen. Beide werden auf der Stelle entlassen. Ohne Kutscher kann das Bier nicht ausgeliefert werden. Also schwingt Nacher sich selbst auf den Kutschbock und fährt die ihm völlig unbekannten Kunden an.

Nun kommt ihm seine Erfahrung vom Kiosk und seinen Reisen zu Nutze. Er ist es gewohnt, mit den Kunden zu reden. Nun erfährt er, was die Kunden denn von einem „guten Bier“ erwarten und welche Mängel das Engelhardt-Bier hat. Nacher verspricht Besserung. Nach zwei weiteren Jahren ist er der Eigentümer der Brauerei, weil Wasserzug verstorben war und seine Witwe ihm die Brauerei verkaufte.

Märchenhafter Aufstieg

Nacher ist tüchtig und ehrgeizig. Die Probleme der Bierqualität nimmt er sofort in Angriff. Gleich nach der Übernahme wird das Sortiment auf die immer beliebteren untergärigen Biere erweitert. Auch das Problem der Haltbarkeit des obergärigen Malzbiers nimmt er in Angriff. Er ist einer der ersten Brauer, der Flaschenbier pasteurisiert. Mit finanzstarken Partnern wie Otto Mayer erwerben sie gemeinsam eine weitere Brauerei. Ende 1905 wird aus dem Unternehmen eine Aktiengesellschaft, die „Engelhardt-Brauerei AG“. Auch ein Umzug steht an. 1903 werden bereits 34 000 hl verkauft, ein Jahr später sogar 41 000 hl. Im Jahr 1907 bringt Nachers Brauerei das erste Pils auf den Markt, welches er zusammen mit dem Institut für Gärungsgewerbe in der Berliner Seestraße und Prof. Delbrück (Folge 9 dieser Reihe) entwickelt hat. Verkauft wird es als „Charlottenburger Pilsener“.

Eine Neuerung Nachers gibt es bis heute: Er gilt als Erfinder der Pfandflasche. Bei den Versuchen zur Flaschen-Pasteurisation stellte sich heraus, dass die gängigen Flaschen zu dünn sind und leicht platzen. Daher investiert Nacher in dickere Flaschen, die er aber geleert von der Kundschaft zurückhaben möchte. Nachers Idee findet rasch Nachahmer und seine Kreativität und Erfolg scheinen unaufhaltsam. Gemeinsam mit seinem größten Konkurrenten, der Schultheiss-Brauerei, arbeiten beide eine vertragliche Abmachung aus, die alle Brauereien in Berlin und Potsdam einbezieht. Das Pfand pro Flasche wird auf zehn Pfennige festgesetzt und der Austausch betriebsfremder Flaschen geregelt.

Bierkutscher beim Rollen der Fässer der Brauerei Engelhardt am Ende eines Bierstreiks in Berlin (Foto: Georg Pahl, Bundesarchiv, Bild 102-03636)

Die Nachfrage nach Nachers Caramel-Malzbier steigt, die eigenen Kapazitäten reichen nicht mehr aus. Daher beteiligt er sich finanziell an der „Groterjan-Brauerei“. Ab 1913 kommt von dort ein neuartiges Caramel-Bier, ein Schankbier mit ganz wenig Alkohol, nicht so süß, nicht so schwarz wie die bisher erhältlichen. Das neue Caramel-Bier entwickelt sich zum Verkaufsschlager und wird später in der Weimarer Republik das meistverkaufte Malzbier Deutschlands.

Die Engelhardt-Brauerei steht mittlerweile bei 300 000 hl und Einnahmen von ca. fünf Millionen Mark. Davon zahlt die mittlerweile drittgrößte Brauerei Berlins eine Million Mark als Lohn für die fast 500 Mitarbeiter.

Einbürgerung und Krieg

Der Krieg zeichnet sich schon ab, das gesellschaftliche Klima ist patriotisch aufgeheizt. Nacher hat auch im westfälisch-lippischen Detmold einen Wohnsitz. Dort beantragt Nacher die (westfälisch/preußisch-) deutsche Staatsbürgerschaft. Er sei österreichischer Staatsangehöriger und nach den Gesetzen seiner bisherigen Heimat „dispositionsfähig“, also geschäftsfähig.

Über seine „untadelige“ Führung im In- und Ausland werde er noch den Nachweis erbringen. Er betrachte sich als Deutscher, da er eine deutsche Mutter habe, mit einer deutschen Frau verheiratet und als Deutscher erzogen worden sei. Er gibt ferner an, Jude zu sein.

Da wird es bereits schwierig. Die preußischen/deutschen Behörden haben die Anweisung, die Einbürgerung osteuropäischer Juden möglichst abzulehnen, weil man die Bildung eines „jüdischen Proletariats“ fürchtet, das der Gesellschaft zur Last fallen könne. Nacher gehört jedoch bei weitem nicht dazu.

Neben seiner Wohnung in Detmold besitze er noch eine weitere in Berlin in der Hohenzollernstraße. Seine Vermögensverhältnisse, streicht er in seinem Gesuch heraus, seien die Besten: „Ich besitze ein Vermögen von mehr als einer Million Mark und zahle an Staatssteuern allein jährlich 5600 Mark.“ Nacher protzt nicht, er will und muss die Behörden überzeugen. Er beschreibt sich als fürsorglichen Arbeitgeber und „richtet das Gesuch gerade an dieses Land, weil ich beabsichtige, durch Erwerb von Grundbesitz hier sesshaft zu werden“. Er fährt fort: „Die landschaftlichen Reize dieses schönen Landes haben in mir schon früher diesen Wunsch wachgerufen; seine Erfüllung habe ich aber in eine Zeit zurückstellen müssen, in der die Geschäfte mir gestatten würden, ein meinen Neigungen entsprechendes Leben zu führen.“

Er schließt seinen Lebenslauf mit dem Satz: „Ich bin unbestraft, mosaischer Religion, bei den deutschen und österreichischen Behörden gut beleumdet und habe meine königstreue Gesinnung allzeit stark unterstrichen.“

Dennoch wird es kompliziert. Die Berliner, die auch zustimmen müssen, lehnen erst einmal ab. Es gäbe genügend Juden in Berlin. Und der Wohnsitz in Detmold sei nur ein Vorwand, um auf Umwegen an die begehrte preußische Bürgerehre zu kommen. Letztendlich setzen sich Nachers Hartnäckigkeit und seine „deutsche Gesinnung“ durch, sein Vermögen hilft mit Sicherheit auch. Dem Einbürgerungsantrag Nachers wird am 25. September 1913 stattgegeben.

Ein Jahr später befindet sich Europa im Krieg. Nacher wird nicht eingezogen, denn mit 46 Jahren gehört er nicht mehr zu den jungen Männern, mit denen die deutsche Generalität hofft, den Krieg in wenigen Wochen beenden zu können. Und auch wenn der Erste Weltkrieg im Lande materiell weniger Schäden anrichtet als später der Zweite (von Millionen toten und traumatisierten Menschen einmal abgesehen), so bricht die Wirtschaft doch heftig ein. Auch bei den Brauereien wird Mangelwirtschaft zum Tagesgeschäft. War der Bierverbrauch vor Kriegsbeginn mit 103 Litern recht hoch, bringt bereits das erste Kriegsjahr einen Einbruch auf 87 Liter. Bis 1918 soll er auf 38 Liter sinken. Auch, weil es nicht mehr genug Bier gibt. Alles ist rationiert und kontingentiert, auch Malz und Zucker. Um ein Bier mit einem Prozent Stammwürze überhaupt trinkbar zu machen, setzt Nacher als Sprecher der Berliner Brauer bei den Behörden durch, dass Süßstoff zugegeben werden darf.

Ignatz Nacher sieht sich selber nie als Brauer. Er ist ein Macher, der Fehler und Schwächen feststellt und seine Aufgabe darin sieht, diese zu beheben. Vor dem Krieg, im Krieg und nach dem Krieg. Er investiert in Qualität genauso wie in die Technik. Er bleibt aber stets gesprächsbereit, um den Wettbewerb mit anderen Brauern nicht bösartig werden zu lassen. Vor allen Dingen versteht er es, die gemeinsamen Interessen aller Brauer Berlins immer gut zu vertreten.

Aufschwung nach dem Ersten Weltkrieg

Die fünfzehn Jahre nach dem Ersten Weltkrieg sind Nachers beste Jahre. Sein Geschäftssinn, gepaart mit gutem Marketing und offenbar auch kompetenten Mitarbeitern lassen die Engelhardt-Brauerei AG zur zweitgrößten Brauereigruppe im Deutschen Reich anwachsen (nach der Schultheiss-Brauerei). Die Berliner Brauer erwerben weitere Brauereien in ganz Deutschland. Auch in Hotels investieren Nacher und seine Partner.

Die Bierkutschen mit dem Brauerei-Logo, die das „Charlottenburger Bier“ in der ganzen Stadt ausliefern, prägen das Straßenbild Berlins. Jeder kennt den Slogan „Der Durst’ge auf die Theke starrt – ein Pilsener, aber Engelhardt“.

Der ehemalige Flaschenturm der Brauerei Engelhardt steht unter Denkmalschutz (Foto: Wikipedia; public domain; https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/1/19/Berlin-Stralau_Flaschenturm.jpg)

Auch baulich setzt die Engelhardt-Brauerei Akzente. 1929 entsteht der sogenannte „Flaschenturm von Stralau“, bis heute ein wichtiges Berliner Industriedenkmal. Im Obergeschoss des dreiteiligen Gebäudes mit sechs Geschossen waren Kühlschiffe untergebracht, darunter Gär- und Lagertanks, unten der Flaschenkeller. Ebenfalls von dem bekannten Berliner Architekten Bruno Buch stammt der Neubau der Groterjan-Brauerei, dessen ebenfalls sechsgeschossiges Verwaltungsgebäude expressionistische Anklänge aufweist. Außer diesen beiden Gebäuden ist leider heute nichts mehr übriggeblieben. Ende der 1920er-Jahre scheinen dem Wachstum der Engelhardt-Brauerei keine Grenzen gesetzt.

Machtergreifung, Enteignung und Ende

Am 30. Januar 1933 wird Adolf Hitler zum Reichskanzler ernannt. Das Datum der Machtergreifung der Nazis steht nicht nur für einen schwarzen Tag in der deutschen Geschichte, sondern markiert auch den Anfang vom Ende für Ignatz Nacher. Zuerst werden Geschäfte und Unternehmen von jüdischen Besitzern diskreditiert und boykottiert. Die Engelhardt-Brauerei und die Marke Groterjan gelten nach der Diktion von Göring und Goebbels als „Judenbiere“.

Die Stadt Berlin erhebt unter fadenscheinigen Vorwänden Anklage gegen Ignatz Nacher wegen Bestechlichkeit im Rahmen eines Immobiliengeschäfts. Nacher willigt tatsächlich ein, mit einer fixen Betriebsrente zum Ende des Geschäftsjahrs 1933 in Rente zu gehen. Das genügt aber nicht. Die NSDAP will ihn komplett ausschalten, die lukrative Brauerei soll vollständig in die Hände der Nazis übergehen. Die Klage vor dem Landgericht Berlin bleibt aufrecht, der neu besetzte Vorstand droht mit einer Regressklage. Nacher ist überfordert und erleidet Anfang November 1933 einen Nervenzusammenbruch.

Er reist nach Bayern, um in einem Sanatorium in Garmisch-Partenkirchen zu gesunden. In der Nähe von Bad Tölz hatte er sich vor Jahren das feudale „Gut Sauersberg“ als Rückzugsort gekauft, für ihn war dieser Teil Bayern eine heile Welt, wo er Abstand vom hektischen Berliner Alltag gewinnen konnte. Am Freitag, den 17. November, geht jedoch bei der Polizeiverwaltung in Garmisch-Partenkirchen ein Telegramm ein: „Generaldirektor Ignatz Nacher, z. Zt. Sanatorium Wiggen, ist sofort in Haft zu nehmen.“ Gegen 18 Uhr wird er verhaftet und in das Gefängnis des Amtsgerichts von Garmisch-Partenkirchen eingeliefert. Dort bleibt er nur eine Nacht, der Amtsarzt hält ihn für weder haft- noch reisefähig. Fünf Tage später wird Nacher von zwei Polizeibeamten im Nachtzug nach Berlin eskortiert. Im Saal 403 des Landgerichts Moabit findet eine Haftprüfung statt. „Der Haftbefehl wird aufgehoben, da der Angeschuldigte haftunfähig ist“, verkündet der Haftrichter.

Nacher kämpft um sein Lebenswerk. Aber die Nazis erreichen ihr Ziel: Nacher weiß, dass er verloren hat. Er tritt zurück, verkauft seine Anteile (in Höhe von ca. 2,5 Millionen Reichsmark!) und erteilt einem „Nazianwalt eine Generalvollmacht, welche dieser zwei Tage später dazu benutzte, um Nachers gesamten Aktienbesitz an die Bank für ein Butterbrot zu verschleudern“ (so der Bericht im Leo Baeck Institut der American Jewish Historical Society). Rechtsanwalt Albrecht Aschoff berechnet Nacher für diesen „Dienst“ eine Kostennote von 58 750 Mark. Rechtsanwalt und Notar Hans Roth verlangt sogar 90 824 Mark. Hauptprofiteur dieser Intrige ist die Dresdner Bank, die nun Haupteignerin der Engelhardt-Brauerei AG wird. 1937 verkauft die Dresdner Bank große Anteile an die Familie Oetker in Bielefeld. Für Dr. Oetker markieren diese Anteile den Einstieg ins Brauereigeschäft, in dem sie bis heute mit der Radeberger Gruppe erfolgreich tätig sind. Es hat zudem lange gedauert, bis sich Dr. Oetker seiner Vergangenheit stellte. Auch Gut Sauersberg wechselt unter dubiosen Umständen den Besitzer. Um 1935 ist es auf einmal im Besitz von Friedrich Flick, einem guten Bekannten Hermann Görings und einem der größten Profiteure der „Zwangsarisierungen“. Die Nachkommen Flicks besitzen Gut Sauersberg bis heute.

Der gesundheitlich sehr angeschlagene Ignatz Nacher lebt noch bis 1938 unauffällig als Rentner in Berlin. Ersparnisse hat er zum Glück genug. Wie seine Verwandten entschließt er sich zu Emigration. Die Nazis fordern allerdings noch eine perfide „Sühneleistung“ in Form von Reichsfluchtsteuer, Judenabgabe, Auswanderungsabgabe und „Dego-Abgabe“, insgesamt 1 660 916,58 Reichsmark. Das Finanzamt Schöneberg legt noch absurde 150 000 Mark Steuerforderung aus alten Brauereizeiten drauf.

Mitte August 1939 reist Ignatz Nacher mit seiner Frau Olga nach Zürich, mit ein paar Möbelstücken und Hausrat, aber ohne Geld. Die beiden kommen in einem kleinen Hotelzimmer unter. Zwei Wochen später beginnt der Zweite Weltkrieg. Ignaz Nacher ist gesundheitlich und finanziell völlig am Ende. Am 15. September 1939 stirbt er mit 71 Jahren in Zürich.

Wiedergutmachung für die Nachkommen – Ende der Engelhardt-Brauerei

Die Nachkommen Nachers wurden in mehreren Verfahren entschädigt. In den fünfziger Jahren in Deutschland, wobei das Urteil eher bescheiden ausfiel – auch der politischen Lage geschuldet. In den USA hatte das Finanzministerium später alle anhängigen Klagen im Zusammenhang zu Zwangsarisierungen und Zwangsarbeitern zusammengefasst und übernommen. Man überzeugte deutsche Banken und Industriebetriebe, die sich schuldig gemacht hatten, u. a. auf Betreiben von Nachers Nachkommen, eine Stiftung in Höhe von zehn Milliarden DM ins Leben zu rufen, aus der Entschädigungen an Holocaust-Überlebende und Zwangsarbeiter geleistet werden.

Nach dem Zweiten Weltkrieg hieß der Ostberliner Teil von Nachers Unternehmen VEB Engelhardt und war von 1951 bis 1990 die produktionsstärkste Brauerei Ost-Berlins. Bis 1983 produzierte die Engelhardt-Brauerei, 1983 wurde sie von Schultheiss übernommen, bis 1998 wurde noch unter der Marke Engelhardt Bier hergestellt.

Lernen Sie in unserem Dossier: Giganten der Biergeschichte weitere herausragende Persönlichkeiten der Braugeschichte kennen.

Quellen

  1. de Jong, D.: Braunes Erbe, Kiepenheuer & Witsch, Köln, 2022.
  2. Ziegler, D.; Janetzko M.; Köhler, I.; Osterloh, J.: Die Dresdner Bank und die deutschen Juden, Verlag De Gruyter, Berlin, 2006.
  3. https://www.peteredel.de/über-uns/persoenlichkeiten/ignatz-nacher/ (abgerufen am 26.11.2013).
  4. http://www.schoepsbier.de/index.html (abgerufen am 26.11.2013).
  5. Manger, A.: Die Berliner Weiße, VLB-Verlag, Berlin, 2008.
  6. https://juedischerundschau.de/article.2021-02.ignatz-nacher-der-juedische-bierkoenig.html (abgerufen am 26.11.2013).
  7. http://www.albert-gieseler.de/dampf_de/firmen4/firmadet47500.shtml (abgerufen am 26.11.2013).
  8. https://www.deutsche-digitale-bibliothek.de/item/QJCDNYILLINAJHBAE6MOWI4BBOZSNX6X (abgerufen am 26.11.2013).
  9. https://www.anstageslicht.de/themen/history/ignatznacher/dieerfindungderpfandflasche/ (abgerufen am 26.11.2013).
  10. https://os-rundschau.de/rundschau-magazin/judith-kessler/flaschenpfand-arisierung-engelhardt-werden-die-meisten-biertrinker-noch-kennen/ (abgerufen am 26.11.2013).
  11. https://www.morgenpost.de/berlin/article227157055/Die-vergessene-Geschichte-des-Ignatz-Nacher.html (abgerufen am 26.11.2013).

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