Giganten der Biergeschichte: Lüder Rutenberg und Heinrich Beck
Vom Baumeister zum Braumeister | Wir begeben uns in die Hansestadt Bremen. Aus einer alteingesessenen, bremischen Architektenfamilie stammte Lüder Rutenberg, der auch selbst den Beruf des Baumeisters wählte. Ein ungewöhnlicher Beruf für einen Biergiganten, aber neben seinen Bauwerken schuf er auch eine der bedeutendsten Brauereien des 20. Jahrhunderts in Deutschland – gemeinsam mit dem Braumeister Heinrich Beck, der weit mehr als seinen Namen beisteuerte.
Lüder Rutenberg wurde am 8. Februar 1816 in Bremen geboren. Sein Vater war der bekannte Bremer Baumeister Diedrich Christian Rutenberg, seine Mutter hieß Berta Rutenberg, geb. Vagt. Die Familie war, wie damals üblich, recht groß, Lüder hatte drei Brüder (Johann Georg, Diedrich Christian und Johann Hermann) und drei Schwestern (Metta, Betty und Gesine). Von 1820 bis 1832 besuchte er in Bremen die Remberti- und die Lateinschule. Es gab in Bremen damals keinen Elementarunterricht öffentlicher Schulen, daher wurde das Lesen, Schreiben und Rechnen in privaten Vorbereitungsschulen erlernt. Mit 16 Jahren war seine Schulzeit beendet und er begann eine Ausbildung bei seinem Vater. 1836 waren die Lehrjahre vorbei. Er verbrachte die Zeit bis 1840 in einer Mischung als Student in Berlin (Physik, Chemie und Technik) und wandernder Baumeistergeselle. 1841 wurde er offizieller Mitarbeiter bei seinem Vater, bis er sich sechs Jahre später als Baumeister selbstständig machte. Sein erstes größeres, eigenständiges Bauprojekt war die Bremer Kunsthalle „Am Wall“, die er zwischen 1847 und 1849 errichtete.
Erst der Erfolg, dann die Familie
Nun war es auch opportun, eine Familie zu gründen. 1849 heiratete er Mathilde, geb. Merker. Noch im gleichen Jahr bezog die junge Familie ein von Lüder erbautes Haus „Am Häfen“. Hier wurde nicht nur 1851 der Sohn Diedrich Christian geboren (die Namensgebungen waren damals nicht sehr einfallsreich, sondern traditionell), sondern auch die vier Töchter Helene, Betti, Mathilde, genannt Tilly, und Clara. Die Familie führte, besonders in den ersten 10 bis 15 Jahren, einen sehr einfachen Haushalt. Die Kinder wurden trotz des offensichtlichen Wohlstandes nicht verwöhnt – so wurde z. B. beim Mittagessen nichts getrunken und die Kinder mussten stehen.
Auf einem von Lüder Rutenbergs Vater bezahlten Lastwagen, für den Lüder das Gespann stellte, fuhr die Familie sonntags und zu „ländlichen Festlichkeiten in eigener Equipage, der Wagen fasste acht bis neun Personen: Sechs im Inneren, zwei im Hinterstuhl und ein bis zwei beim Kutscher, natürlich wurde dabei nicht auf Eleganz gesehen.“ – so die Überlieferung aus den Tagebüchern des Sohnes.
Lüder Rutenberg war geschäftlich sehr erfolgreich, sein Betrieb war bald eines der größten Bauunternehmen der Stadt. Insbesondere während der Expansion der Bremer Vorstädte war er als Baumeister für die typischen Wohnstraßen mit ein- oder zweigeschossigen Reihenhäusern sehr einflussreich. Die Baumeister errichteten damals auf eigene Rechnung ganze Straßenzüge und veräußerten die Häuser bzw. Wohnungen profitorientiert. Rutenbergs Miet- und Reihenhäuser vom Typ des „Bremer Hauses“ prägten bald weite Teile der Hansestadt. Über hundert Gebäude, die er in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts geschaffen hat, stehen heute auf der Bremer Denkmalliste. 1861 errichtete er sein eigenes Domizil – das Haus Rutenberg „Am Dobben 91“, das heute ebenfalls unter Denkmalschutz steht. 1864 zog die Familie dorthin.
Mit dem Erfolg kam das Geld für den Brauereieinstieg
Wir wollen nun Rutenbergs Baumeistertätigkeit abschließen und uns dem Biergeschäft widmen, denn das ist unser Thema. Doch dazu werfen wir zuerst einen kurzen Blick ins Lebensbuch des Braumeisters Heinrich Beck. Der wurde am 21. Dezember 1832 in Großeislingen (heute: Eislingen/Fils, Bezirk Stuttgart) geboren. Sein Vater war Metzger. In der Brauereigaststätte „Zum Adler“ in Eislingen erlernte er das Brauerhandwerk. Er war offenbar ein neugieriger Geist, der sich nicht mit dem Altbewährten – in diesem Fall dem Obergärigen – zufriedengeben wollte. Also wanderte er mit 22 Jahren, gemeinsam mit seinem Bruder Joseph, in die USA aus. In Fort Wayne, Indiana, fanden beide eine neue Heimat und brauten dort Bier.
Nicht ohne Erfolg, aber dennoch war er zehn Jahre später, 1864, wieder in Bremen. Eine Anekdote besagt, er wollte seine Familie besuchen, um seinem Vater aus einer Bredouille zu helfen, und in Bremen seien ihm Pass, Geld und Retourticket gestohlen worden. Aber vielleicht war es auch schlichtweg Heimweh, oder die USA waren doch nicht das gelobte Land für ihn? Gesichert ist hingegen, dass er bei der Bavaria-Brauerei St. Pauli in Bremen zu Brot und Arbeit kam, wo er auf Lüder Rutenberg traf. Einmal dort niedergelassen, heiratete er 1865 Christine Duering, mit der er vier Kinder bekam.
Lüder Rutenberg hatte 1853 bereits seinen Einstieg ins Brauereigeschäft vollzogen und gemeinsam mit seiner Schwester und seinem Schwager die „Rungesche Brauerei“ in der Bleicherstraße im Bremer Ostertor erworben, die Rutenberg 1857 in „St. Pauli-Brauerei“ umbenannte. Sein neuer Braumeister, Heinrich Beck, half dabei mit, die St. Pauli-Brauerei bis 1870 zur größten Brauerei Bremens auszubauen.
Im Gegenzug half ihm Rutenberg wohl dabei, Bremer Bürger zu werden, für einen „amerikanischen Schwaben“ im neuen, preußischen Kaiserreich kein leichtes Unterfangen. Rutenberg hielt wohl so große Stücke auf Beck, dass er ihn beim Kauf einiger kleiner Brauereien nicht mehr als Angestellten, sondern als Partner mit ins Boot nahm.
Das nächste Projekt stemmten sie dann zu dritt: Gemeinsam mit dem Buchhalter Thomas May gründeten die Beiden am 27. Juni 1873 die „Kaiserbrauerei Beck & May OHG“. Bereits nach einem Jahr verkaufte man das Bier in grünen, mundgeblasenen Flaschen an Bremer Gaststätten. Das Grün ist bis heute ein Markenzeichen von Beck’s. Als ersten großen Erfolg gab es im gleichen Jahr bei der internationalen landwirtschaftlichen Ausstellung vor Ort eine Goldmedaille vom späteren Kaiser Friedrich III.
Am 26. September 1874 erregte Rutenberg Aufsehen in den Zeitungen, weil er in seinem Büro von einem Mitarbeiter, dem er wegen Unfähigkeit kündigte, mit zwei Schüssen aus einem Revolver beschossen wurde. Der Schütze traf jedoch nicht und wurde festgenommen, Rutenberg überlebte das Attentat unverletzt.
1875 schied May aus dem Geschäft aus und Beck übernahm die Firma unter dem Namen „Beck & Co.“, während Rutenberg im Hintergrund blieb. Nun konnte Beck seine Ideen vom untergärigen Bier verwirklichen, der technische Fortschritt half ihm dabei. Kühlung, Logistik, Forschung – alles verbesserte sich rasend schnell.
Win-Win-Situation und weiterer Erfolg
Heinrich Beck war die lange Lagerdauer der untergärigen Biere ein Dorn im Auge. Denn Lagerzeit war für ihn totes Kapital. Er kam auf die gleiche Idee wie englische Brauer, die ungefähr zeitgleich das IPA entwickelten. Die Schiffe kamen immer voller nach Bremen, als sie den Hafen der Stadt wieder verließen. Warum also sollte man den Kapitänen nicht volle Bierfässer als Ballast mitgeben? Er schlug ihnen also vor, dass sie einerseits ihre Sicherheit verbesserten, weil sie mit der Last der schweren Fässer tiefer im Wasser lagen, andererseits beteiligte er sie am Profit, wenn sie sein Bier unterwegs losschlugen.
Der Erfolg war so überragend, dass das Bremer Bier von Becks bald weltweit erhältlich war. Und die Brauerei sparte Lagerkosten. Die neue Brauerei baute er daher konsequent direkt am Hafen. Eine Dampfmaschine, Lindes Kältemaschine und frische Hefe aus Pilsen taten ein Übriges. So entwickelte er ein Bier nach Pilsner Brauart, welches besonders gut für den Transport nach Übersee geeignet war. Ganz im Sinne hansischer Kaufmannstradition. Auf der Weltausstellung in Philadelphia wurde Becks Bier bereits 1876 mit einer Goldmedaille als „das beste aller kontinentalen Biere“ ausgezeichnet. Die Medaille und der Bremer Schlüssel erschienen ein Jahr später auf dem Flaschenetikett, wo sie bis heute zu sehen sind. Als Spitzname entwickelte sich daraus das „Schlüsselbier“.
Beck starb jedoch bereits 1881, nach seinem Tod übernahm sein Schwager Friedrich Spiegel seine Funktionen. Als kleine Anekdote lässt sich vermelden, dass Beck bereits lange vor seinem Tod dafür gesorgt hatte, dass sein Vater schuldenfrei war, und seine Schwestern eine angemessene Aussteuer erhielten. 1884 wurde aus dem Bremer Schlüssel ein geschütztes Warenzeichen. 1888 wurde auf maschinell hergestelltes Eis umgestellt. Bereits 1882, ein Jahr nach Becks Tod, hatte Rutenberg seinem Schwiegersohn Lambert Leisewitz, dem Gatten seiner Tochter Helene, die Leitung der Brauerei übertragen, während er sich zurückzog.
Dem Erfolg der Brauerei tat dies keinen Abbruch. 1900 wurden bereits 100 000 hl exportiert. 1918 erwarb die Brauerei Beck’s (erneut) die St. Pauli-Brauerei, nachdem Rutenberg sich von ihr getrennt hatte und auch Beck zu seiner eigenen Brauerei gewechselt war.
Beck’s wurde im 20. Jahrhundert eine der größten und wichtigsten deutschen Biermarken, mit über 5 Mio hl in den besten Jahren (1994) und über einer Million hl Bier im Export (1983). Zeitweise war Beck’s die größte Exportbierbrauerei der Welt.
2002 ereilte Beck’s das Schicksal vieler erfolgreicher Brauereien: Sie wurden einem Konzern einverleibt. Für damals unfassbare 1,8 Milliarden EUR übernahmen die Belgier von Interbrew (heute: Anheuser-Busch InBev) die Bremer Bierlegende. Der Ausstoß von Beck’s sank bis 2017 auf gut 1,8 Mio hl (ohne andere Sorten).
Ende einer Familiendynastie
Zurück zu Rutenberg und dem Ende dieser Bremer Familiendynastie. Auf dem Riensberger Friedhof in Bremen steht ein imposantes Mausoleum auf einer kleinen Landzunge, die in den künstlich angelegten, buchtenreichen See ragt. Der Stil des Mausoleums ist von der Neugotik beeinflusst, und doch ist die Handschrift seines Erbauers Lüder Rutenberg sichtbar. Eine Treppe, deren Pfosten mit Pinienzapfen besetzt sind, führt zu einer schmiedeeisernen Tür mit Kreisornamenten. In der Schmuckfläche über dem Portal symbolisieren zwei auf einem Postament sitzende, weibliche Figuren die Erinnerung und die Trauer. Ein singender und ein segnender Engel stehen auf den Säulen neben den Portalseiten. Auf dem grünen Kupferdach des Mausoleums ragt eine Gestalt als Personifikation der Hoffnung in den Himmel empor. Sie wurde, wie alle plastischen Figuren am Mausoleum, von dem angesehenen Bremer Bildhauer Diedrich Kropp (1824 – 1913) gefertigt. Das Deckengemälde im Innenraum hat der Bremer Maler Arthur Fitger gestaltet. Drei einfache Stelen erinnern an Lüder Rutenberg, seine Frau Mathilde Christine (1820 – 1890) und den Sohn Diedrich Christian Rutenberg, den letzten männlichen Nachkommen.
Später wurden hier und im Außenbereich auch die vier Töchter und deren Familien beigesetzt. Den Grund für den Bau des Mausoleums kann man in der Inschrift lesen: „Diedr. Christ. Rutenberg, Doctor der Medicin, geb. 11. Juni 1851, gest. im August 1878. In seinem Berufe als Naturforscher umgekommen durch Räuberhände auf der Insel Madagascar.“ Die eher lakonische Inschrift links daneben lautet: „Lüder Rutenberg, Baumeister, geb. 8. Februar 1816, gest. 14. Juni 1890“. Gestorben ist Lüder Rutenberg in Bad Harzburg.
Lernen Sie in unserem Dossier: Giganten der Biergeschichte weitere herausragende Persönlichkeiten der Braugeschichte kennen.
Quellen
- https://de.wikipedia.org/wiki/L%C3%BCder_Rutenberg (abgerufen am 23.8.2023)
- https://de.wikipedia.org/wiki/Brauerei_Beck#Gr%C3%BCnderphase_ab_1873 (abgerufen am 23.8.2023)
- https://de.wikipedia.org/wiki/Heinrich_Beck_(Brauer) (abgerufen am 23.8.2023)
- http://stiftung-historische-friedhoefe.de/lueder-rutenberg/ (abgerufen am 23.8.2023)
- https://www.kulturkaufhaus.de/annot/564C42696D677C7C393738333934353336393238397C7C504446.pdf?sq=3 (abgerufen am 23.8.2023)
- https://www.rice.de/RUTENBERG/Inhaltsverzeichnis.html (abgerufen am 23.8.2023)