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Das Sudhaus als Tempel des Bieres – hier das Ziemann-Sudhaus der Feldschlösschen Brauerei 1908 (Quelle: Archiv Fachverlag Hans Carl)
23.04.2021

160 Jahre Fachverlag Hans Carl – 160 Jahre Bierge­schichte, Teil 1: 1861 bis 1914

Die Belle Époque der Brauer | Der Fachverlag Hans Carl feiert 2021 sein 160-jähriges Bestehen, die BRAUWELT gibt es seit inzwischen 75 Jahren. Unser Autor Günther Thömmes hat diese beiden Jubiläen zum Anlass genommen, um in die bewegte Biergeschichte zurückzublicken, denn die war in den vergangenen 160 Jahren immer eng verwoben mit der unseres Traditionsverlags.

Das 19. Jahrhundert wird von Historikern gerne das „Lange Jahrhundert“ genannt, weil es, was seine wichtigsten Ereignisse und Entwicklungen anging, im Grunde bereits mit der französischen Revolution 1789 begann und erst mit dem Ersten Weltkrieg endete.

Für die Entwicklung des Bieres und seiner Technologie war es ähnlich, denn was in dieser Zeit an Erfindungen und Neuerungen Einzug hielt, war mehr, als vorher in Jahrhunderten insgesamt passiert war. Von daher ist es wohl legitim, bei der Biergeschichte ähnliche Analogien anzulegen wie in der Weltgeschichte.

(v.li.) Gabriel Sedl­mayr d.J., Anton Dreher und Georg Lederer, 1839 (Foto: Stadtarchiv München, DE-1992-NL-SED-F-F-9 https://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Datei:Sedlmayr_Dreher_Lederer.jpg)

Auch die Namensgebung der Epochen passt. Die letzten Jahrzehnte vor dem Ersten Weltkrieg werden gerne als Belle Époque verklärt, eine Zeit ohne Krieg in weiten Teilen Europas, Ausnahmen bestätigen auch hier die Regel – eine für die kriegsgewohnten und -geschundenen Völker Europas neue Erfahrung. Gesellschaftliche Entwicklungen wie die Arbeiterbewegung und der Sozialismus, aber auch das Aufstreben des neuen Bürgertums, mit etwas Verzögerung erste Frauenbewegungen – all dies schuf den Nährboden für eine intensive Entwicklung der Gesellschaft. Im Guten wie im Schlechten.

Industrialisierung und Massenverelendung auf der einen Seite, grenzenloser Optimismus und sagenhafter Unternehmer-Reichtum auf der anderen Seite schufen Probleme, die schwer lösbar schienen.

Wo stand die Brautechnik im Jahr 1861?

An dieser Stelle ist es sinnvoll, anhand einiger Beispiele einen kurzen Überblick zu geben über den Stand der Brautechnik zu Beginn dieser Belle Époque. Viele Dinge, die uns heute selbstverständlich erscheinen, waren damals in weiter Ferne.

Deutschland war noch nicht geeint, und das schlug sich zuallererst auch in der Gesetzgebung nieder. In Süddeutschland herrschte immer noch das spätmittelalterliche Relikt des ‚Sommerbrauverbots‘ von Georgi (23.4.) bis Michaeli (29.9.), das jedoch, wie Berichte von Zeitzeugen nahelegen, immer weniger ernst genommen wurde, bevor es 1865 endgültig beerdigt wurde.

Skizze einer Fasswäscherei aus einem Fachbuch von 1898 (Quelle: Archiv Fachverlag Hans Carl)

Dafür sorgte der ‚Biersatzregulativ‘ für Unfrieden unter den Brauern. Ein Gesetz, das massiv in den Brauprozess eingriff und im Grunde nicht nur den Bierpreis, sondern sogar gleich die Stärke der Stammwürze und die Höhe der Schüttung vorschrieb.

Auch ein landesweites Reinheitsgebot gab es nicht – ganz gleich, was hundert Jahre später an Marketing-Slogans losgelassen wurde. Alle damals existierenden Regelungen müssen, falls überhaupt möglich, regional und landesunterschiedlich betrachtet werden.

Immerhin war die Technik unaufhaltsam auf dem Vormarsch. Die Spaten Brauerei unter der Führung von Gabriel Sedlmayr I. (Vater) hatte als erste deutsche Brauerei bereits 1821 eine Dampfmaschine englischen Typs aufgestellt. Und auch bei der Mälzereitechnik orientierte man sich an England, der führenden Nation, was Technik und Bier anging. Spaten war zudem die erste Brauerei mit einer ‚Englischen Darre‘, die die Rauchgase nicht mehr durch das Malz, sondern indirekt durch Rohre ableitete. Dies ist auch ein Hinweis darauf, dass damals noch keine Trennung der Berufe ‚Brauer‘ und ‚Mälzer‘ stattgefunden hatte.

Abbildung eines Läuterbottichs in einem Fachbuch von 1898 (Quelle: Archiv Fachverlag Hans Carl)

Der Standard zur Mitte des 19. Jahrhunderts war ein Zwei-Geräte-Sudwerk mit zwei in etwa gleich großen Gefäßen, davon eines beheizt und eines unbeheizt. Den Begriff ‚Läuterbottich‘ suchte man in der Fachliteratur der Jahre um 1850 noch vergebens. Viel wichtiger schienen damals Kenntnisse über die verschiedenen Holzarten, sowohl als Werkstoff für die Gefäße wie auch als Energieträger. In einem Fachbuch von 1852 wird der angemessenen Wohnung des Braumeisters mehr Platz eingeräumt als der Klärung der Würze.

Bei den recht komplexen, damaligen Maischverfahren mit oft drei Teilmaischen sollte die letzte Maische ‚lauter‘, also möglichst klar, durch einen seitlich angebrachten Hahn abgezogen werden, in welchen meist noch ein Sieb eingesetzt war. Von diesem Wörtchen ‚lauter‘ hat der Bottich seinen Namen bekommen. Der Begriff des ‚Läuterbottichs‘ selbst taucht erst um 1880 auf. Vorher hatte man die verschiedensten Lösungswege ausprobiert, mit Werkstoffen wie Stroh, löchrigen Holzböden, Sieben oder Tüchern. Bis dann die technische Entwicklung schließlich Lösungen anbot, die zum heutigen komplexen, perfekt arbeitenden Gerät führten.

Neue Unternehmen für neue Herausforderungen

Auch an dieser Entwicklung konnte man erkennen, dass immer mehr Brauer sich als Techniker oder Ingenieure sahen, während auf der anderen Seite der Brauerei-Anlagenbau als komplexe Aufgabe von Maschinenbau-Ingenieuren wahrgenommen wurde. Natürlich gab es noch das klassische Handwerk des hölzernen Gefäßbaus, doch auch hier wuchsen die Bottiche und Fässer in immer größere Dimensionen. Es war kein Zufall, dass die Gründerjahre der großen, das nächste Jahrhundert prägenden Sudhausbauer fast alle in diese Periode fielen.

August Andreas Ziemanns Kupferschmiede in Stuttgart, später Ludwigsburg, baute von 1852 an Apparate und Kupferrohre. Es dauerte zwar noch 30 Jahre bis zur Lieferung der weltweit ersten kupfernen Dampfbraupfanne, aber der Fortschritt war unaufhaltsam. Bereits 1903 errichtete Ziemann auf der anderen Seite der Erde, in Tsingtao, eine komplette, neue Großbrauerei. Wir können uns heute gar nicht mehr ausmalen, was ein Projekt dieser Größenordnung, bei dem jede Lieferung per Schiff schon drei Monate unterwegs war, für eine logistische Herausforderung war. Für das Montagepersonal ebenso.

So sah ein Sudhaus um 1900 aus (Quelle: Archiv Fach­verlag Hans Carl)

Sebastian und Heinrich Huppmann in Kitzingen begannen 1874 als Hufschmiede, aber bereits fünf Jahre später bauten sie mit Erfolg Brauerei-Zubehör.

Der junge Maschinenbauingenieur Anton Steinecker hatte in der Freisinger Ziegelfabrik seiner Eltern erste Maschinen entworfen und machte sich 1875 mit einer Maschinenfabrik plus Gießerei selbstständig. Er dachte von Anfang an groß und machte keine halben Sachen. Er hatte allein in Freising bereits vierzehn (!) Brauereien als potenzielle Kunden.

Erwähnen sollte man zudem das bereits 1830 in Oberschlesien gegründete Weigelwerk, welches in den 1880er-Jahren in den Sudhausbau ein- und dann sogar zeitweilig zum größten Brauerei-Anlagenbauer der Welt aufstieg. Die Weigelwerke zeichneten für die Erfindung des Maischefilters (1902) als Alternative zum Läuterbottich verantwortlich. Das Unternehmen machte nach dem Zweiten Weltkrieg in Essen weiter, überlebte aber nur noch bis 1962.

Mit dieser  Technik wurde um 1900 angeschwänzt (Quelle: Archiv Fach­verlag Hans Carl)

Zahlreiche weitere Firmen, die hier nicht genannt werden können, beteiligten sich am Fortschrittsrennen mit einer großen Menge von Patenten – nützlichen ebenso wie aus heutiger Sicht skurrilen. Aber jeder Vorschlag wies in die richtige Richtung: nach vorne, zum perfekten, reproduzierbaren und angenehm zu trinkenden Bier.

Die Zeit großer Erfindungen

Die beiden größten Durchbrüche in der Brautechnik des späten 19. Jahrhunderts sind jedoch untrennbar mit dem Namen Gabriel Sedlmayr d. J. verbunden (vgl. ein Porträt über ihn in BRAUWELT Nr. 8, 2021, S. 203 – 205). Er war, zusammen mit August Deiglmayr, Direktor der Schwechater Brauerei, ab 1871 als Mäzen, Teilhaber, Finanzier und erster Kunde maßgeblich an Carl von Lindes Erfindung der Kältemaschine beteiligt.

Während vorher alle Brauereien noch viel Zeit und Geld in Planung und Bau ober- wie unterirdischer Eiskeller investieren mussten, geriet dies in der Zeit nach Linde zur nachrangigen Angelegenheit. Carl von Lindes Erfindung veränderte nicht nur die Brautechnik wie keine Zweite, indem sie den Siegeszug des untergärigen Biers vorbereitete, sondern auch den Braurhythmus – konnte nun doch im Sommer unbegrenzt gebraut werden, unabhängig von Wetter oder Außentemperatur. Auch die Transportwege wurden länger, mit Schiene und gekühlten Waggons (einer Erfindung von Anton Dreher I. von der Schwechater Brauerei, Sedlmayrs bestem Freund) ließ sich das Bier nun durch ganz Europa fahren.

Johann Carl gründete 1861 die Allgemeine Bayerische Hopfenzeitung und gab den Anstoß für die Gründung des Deutschen Brauer-Bundes (Quelle: Archiv Fachverlag Hans Carl)

Als dann im Jahr 1881 in Kopenhagen der Laborleiter der Carlsberg Brauerei, Emil Christian Hansen, erstmals eine Reinzuchthefe erzeugte, war das Original dieser Hefe ein Nachkomme jener Hefe, die viele Jahre zuvor Jacob Christian Jacobsen, der Besitzer der Brauerei, bei einem Besuch in München von Sedlmayr als Geschenk erhalten hatte. Jacobsen sah die Reinzuchthefe ‚nach bayerischer Art‘ als sein Geschenk an die Welt und verschickte sie großzügig und uneigennützig an befreundete Brauer. Deswegen trägt sie bis heute den Ehrennamen Saccharomyces carlsbergensis.

Mit diesen beiden Erfindungen innerhalb weniger Jahre war der Triumph der Untergärung, besonders des bereits 1842 von Joseph Groll erfundenen ‚Pilsener Biers‘, nicht mehr aufzuhalten.

Auch die Brauwissenschaft, besonders in ihren neuen Zentren Weihenstephan und Berlin, fügte einen Mosaikstein an den nächsten, um das Wissen ums Bier zu vervollständigen. Beispielsweise bewies der Münchner Chemiker Eduard Buchner 1903 in Berlin und Tübingen, dass die alkoholische Gärung durch ein Enzym ausgelöst wird und nicht, wie bis dato gelehrt, durch Schwingungen lebender Eiweißmoleküle und Bewegung kleinster Körperchen außerhalb der Hefezellen. Für diese Leistung wurde er 1907 sogar mit dem Nobelpreis für Chemie ausgezeichnet.

In dieses Bild einer ständig voranschreitenden Entwicklung bei den Brauereien in Forschung und Technik passt die gesellschaftliche Entfaltung der Brauer als Unternehmer und gesellschaftlich relevante Berufsgruppe. Die größten Brauer wurden in dieser Zeit echte Großunternehmer mit entsprechenden Ambitionen in Politik und Bürgertum, die sich auch als Mäzene und väterliche Beschützer ihrer Arbeiterschaft sahen.

Die Erstausgabe der Allgemeinen Bayerischen Hopfenzeitung vom 8. August 1861 (Quelle: Archiv Fachverlag Hans Carl)

Andere Entwicklungen wie die erwachende Arbeiterbewegung, die Suffragetten und das von Letzteren vehement propagierte Abstinenzlertum liefen dem zuwider, und so waren Konflikte an der Tagesordnung, die durchaus nicht immer friedlich gelöst wurden. Diese Konflikte auch mit den Behörden und der leidigen Konkurrenz (in dieser Zeit oft die Branntweinerzeuger) sorgten für den nötigen Leidensdruck, sich endlich zu organisieren. Seit den Zünften des Mittelalters hatten die Brauer keine angemessene Standesvertretung mehr gehabt.

Die Brauer beginnen, sich zu organisieren

Die treibende Kraft hinter der Gründung des Deutschen Brauer-Bundes 1871 war allerdings kein Brauer, sondern ein Schneider aus Roth bei Nürnberg, der in seinem Beruf nicht (mehr) tätig war und stattdessen schon auf Journalismus umgesattelt hatte.

Johann Carl war nach seinen Wanderjahren zurückgekehrt an seinen Heimatort und hatte schnell festgestellt, dass der immer intensivere Hopfenhandel nur auf mündlichen Absprachen beruhte – Fehlinformationen und Dispute waren daher an der Tagesordnung. Bereits 1856 brachte Carl ein erstes lokales ‚Intelligenz-Blatt‘ heraus, welches auch Informationen über den Hopfen und seinen Handel enthielt.

Das Sudhaus als Tempel des Bieres – hier das Ziemann-Sudhaus der Feldschlösschen Brauerei 1908 (Quelle: Archiv Fachverlag Hans Carl)

Aber erst das Jahr 1861 kann mit dem Erscheinen der ersten Ausgabe der ‚Allgemeinen Bayrischen Hopfenzeitung‘ – Vorgängerin der BRAUWELT – als Geburtsstunde einer echten Fachpresse für die Braubranche gelten. Im gleichen Jahr machte Johann Carl, der mittlerweile fester Bestandteil der Brauer-Gesellschaft war, einen ersten Vorschlag zur Gründung eines Brauer-Bundes. Es dauerte dennoch zehn weitere Jahre, inklusive Terminverschiebung durch Otto von Bismarcks Einigungskriege, bis am 26. Juli 1871 eineinhalbtausend Brauer in Dresden zum Ersten Deutschen Brauertag zusammentrafen und dort den Deutschen Brauer-Bund aus der Taufe hoben (vgl. BRAUWELT Nr. 14, 2020, S. 381 – 385).

Die Teilnehmer kamen beileibe nicht nur aus Deutschland, sondern auch aus Österreich-Ungarn, Russland, Schweden, Belgien, Luxemburg, den USA, der Schweiz und Frankreich. Die Brauer waren schon damals eine internationale, wiewohl deutsch-geprägte, Gemeinschaft.

Johann Carl strebte im Deutschen Brauer-Bund kein Amt an, er war damit zufrieden, dass die ‚Allgemeine Hopfenzeitung‘ in den ersten Statuten als deren offizielles Organ bestimmt wurde.

Zehn weitere Brauertage, auf denen diverse Themen heftig und kontrovers diskutiert wurden, folgten bis zum Ersten Weltkrieg. Besonders die Bewegung der Abstinenzler, die ihre Drohung der Prohibition zumindest in den USA durchsetzen konnten, verlangte der Brauer-Organisation alles ab, was an Geld, Gegenwehr und medialer Unterstützung aufzutreiben war. Am Ende stand zwar ein Sieg vor dem Gesetz und eine gesellschaftlich und finanziell starke, gut organisierte Brauergemeinschaft, aber der Erste Weltkrieg zerstob alle Hoffnungen auf eine bessere Zukunft. Der Neubeginn würde schmerzhaft sein.

Lesen Sie alle Teile der Jubiläums-Serie „160 Jahre Fachverlag Hans Carl – 160 Jahre Biergeschichte“:
Teil 1: 1861 bis 1914 – Die Belle Époque der Brauer, Seite 14 – 19.
Teil 2: 1914 bis 1945 – Zwischen Überschwang und Überleben, Seite 30 – 34.
Teil 3: 1945 bis 1989 – Vom Wirtschaftswunder zur Wiedervereinigung, Seite 42 – 46.
Teil 4: 1989 bis 2021 – Offene Grenzen, offene Märkte und dann Corona, Seite 60 – 64.

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