Giganten der Biergeschichte: Max Delbrück
Preußischer Wissenschaftler | Die Person, der dieser Teil der Reihe „Giganten der Biergeschichte“ gewidmet ist, entstammte einer einflussreichen Familie in Preußen. Wir stellen vor: den Bakteriologen, Gärungschemiker und Brauwissenschaftler Professor Dr. Max Delbrück. Sein Lebenswerk als Gründer, Unternehmer, Wissenschaftler, Lehrer und Autor ist so ungeheuer groß und vielseitig, dass man sich vor Ehrfurcht nur verneigen kann.
Um Verwechslungen zu vermeiden, wird gleich zu Beginn darauf verwiesen: Sein gleichnamiger Neffe, der es bis zum Nobelpreis brachte (Physiologie und Medizin, 1969), hat sich zwar ebenfalls große Meriten in der Wissenschaft erworben, aber weniger im Bereich der Biergeschichte. Deshalb: Vorhang auf für Max Delbrück, den Onkel.
Die Familie Delbrück blickt zurück auf eine lange Geschichte, deren Aufzeichnungen im 17. Jahrhundert in Niedersachsen begannen, genauer gesagt: in Alfeld an der Leine. Die Delbrück-Familie wuchs und wurde einflussreich als Bankiers, Ratsherren, Schatzmeister, aber auch als Historiker und Brauer.
Max Delbrück wurde auf Rügen geboren, in Bergen, am 16. Juni 1850. Sein Vater war der örtliche Kreisrichter und spätere Appellationsgerichtsrat Dr. Bernhard Delbrück. Max absolvierte das Gymnasium in Greifswald und begann 1868 mit dem Studium der Chemie an der damaligen Gewerbeakademie in Berlin (der späteren Technischen Hochschule Berlin). Er setzte seine Studien dann in Greifswald fort, wo er 1872 bei dem berühmten Chemiker Heinrich Franz Peter Limpricht promovierte. Im selben Jahr wurde er Assistent im organischen Labor der Hochschule. Im Jahr darauf wechselte er als Assistenz zur landwirtschaftlichen Versuchsstation in Halle/Saale. Wieder ein Jahr später erhielt er eine Berufung zurück nach Berlin vom „Verein der Spiritusfabrikanten in Deutschland“, mit dessen Hilfe er 1874 seine erste eigene Versuchsanstalt aufbaute (mit 24 Jahren!). Diese entwickelte sich so gut, dass sie 1883 in den Verband der landwirtschaftlichen Hochschule aufgenommen wurde. Wieder zwei Jahre darauf gründete er eine maschinentechnische Abteilung für sein Institut. Durch Angliederung weiterer, neu errichteter Versuchsstationen entstand in der Folge das Institut für Gärungsgewerbe, das nicht nur Pionierarbeit auf vielen Gebieten leistete, sondern zeitweise eine der größten Forschungsanstalten Deutschlands war. Heute ist es Teil der Versuchs- und Lehranstalt für Brauerei in Berlin e.V. (VLB). Mehr dazu später. Delbrück leitete dieses Institut bis zu seinem Tod.
Rastloses Leben: Viele Aufgaben, Ehrenämter und Ehrungen
1877 wurde er zum Mitglied des Kaiserlichen Patentamtes ernannt; eine Funktion, die er 20 Jahre innehatte. 1882, mit erst 32 Jahren, wurde er Professor. Es folgten fruchtbare Jahre in Lehre und Forschung, die ihn bis weit über die Grenzen Berlins hinaus bekannt machten. Es hagelte förmlich Ehrungen und Ernennungen:
- 1892 wurde er Mitglied der Gelehrtengesellschaft Leopoldina;
- 1897 Geheimer Regierungsrat;
- 1898 Rektor der Landwirtschaftlichen Hochschule (bis 1900);
- 1898 Mitglied des engeren Lehrerkollegiums der Königlichen Landwirtschaftlichen Hochschule.
Man fand ihn weiterhin im Vorstand der Deutschen Chemischen Gesellschaft genauso wie im Verein Deutscher Chemiker, dem Deutschen Landwirtschaftsrat oder dem Preußischen Landesökonomiekollegium, dem Verwaltungsrat und wissenschaftlichen Beirat der Preußischen Forschungsgesellschaft für Landwirtschaft und dem Vorstand der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften. Max Delbrück wurde Ehrenmitglied der Österreichischen Versuchsstation und Akademie für Brauindustrie in Wien, dem Deutschen Brau- und Malzmeisterbund, der Königlich-schwedischen Akademie für Landwirtschaft, der Finnischen Brauereivereinigung und der Brauereiversuchsstation im belgischen Gent. Diese Auflistung zeigt, wie gut im 19. Jahrhundert bereits die internationale Zusammenarbeit der Brauwissenschaftler war, mit Professor Max Delbrück als Speerspitze.
Studienreisen führten ihn weiterhin nach England, Frankreich, in die USA, nach Italien, Belgien und Holland. Unermüdlich suchte er die Zusammenarbeit, die letzten Endes auch seinem eigenen Institut ein internationales Renommee verschaffte.
Neben dem Bier war der Spiritus ein wichtiges Thema für ihn, so gehörte er zu den Mitbegründern der Spirituszentrale und des Verwertungsverbandes deutscher Spiritusfabrikanten, der Kartoffelbaugesellschaft und der Gerstenbaugesellschaft.
Erster Biotechnologe der Neuzeit
Durch seine enge Verbundenheit mit der Landwirtschaft verknüpfte er als einer der Ersten erfolgreich die wissenschaftliche Theorie mit der landwirtschaftlichen und handwerklichen Praxis. Heute wird er als einer der Pioniere der Biotechnologie angesehen. Sein besonderes Interesse galt der Physiologie der Hefen und deren Anwendungen.
In der Berliner Weiße wurde ihm ein bleibendes Denkmal gesetzt, denn das dazu (neben obergäriger Hefe) verwendete Milchsäure-Stäbchenbakterium trägt den Ehrennamen Lactobacillus delbrueckii. Weiters wurde eine Hefe nach ihm benannt, Torulaspora delbrueckii.
Bereits ab 1896 wurden an Delbrücks Institut Hefen und Milchsäurekulturen in professionellem Maßstab hergestellt. Interessant in diesem Zusammenhang ist Delbrücks Meinungswandel zur Reinzuchthefe. Diese von dem dänischen Wissenschaftler Emil Christian Hansen (siehe Teil 7 dieser Reihe, BRAUWELT Nr. 45-46, 2021, S. 1174–1177) erfundene, sensationelle Neuerung fand nicht überall sofort Anklang. Händler wie Braumeister fürchteten um finanzielle Einbußen aus dem fehlenden Hefeverkauf, und Delbrück bezweifelte anfangs die praktische Umsetzung der neuartigen Hefereinzucht. Er vertrat eher die These, dass die Hefe sich natürlich, nicht künstlich, verbessern lassen sollte, unter passenden Bedingungen. Diese Annahme der natürlichen „Hefeauslese“ war an die damals sehr populären Theorien Charles Darwins angelehnt. Delbrück suchte jedoch den Kontakt zu Hansen und ließ sich überzeugen. Er schrieb dann an Hansen: „…dass unser Institut voll und ganz den von Ihnen gebahnten Weg tapfer ausschreitend betreten hat.“ Der Meinungswandel hatte aber auch damit zu tun, dass der Berliner den Dänen gerne als Mitarbeiter und Autor für seine wissenschaftlichen Publikationen gewinnen wollte, was nicht alle gleichermaßen erfreute. Von Louis Aubry, dem Leiter der Wissenschaftlichen Station in München, ist ein wunderbares Zitat dazu überliefert. Am 19. Dezember 1887 schrieb er persönlich an Hansen: „Was sagen Sie zur raschen Umkehr der Berliner Herren? Jetzt ist alles Reinhefe, alles schwärmt von Reinhefe. So umzusatteln in der kaltblütigsten Weise, ohne nur weiter der früheren, von ‚hohen Ross‘ getanen Aussprüchen zu gedenken, geschweige denn sich zu entschuldigen, das bringt man wahrscheinlich nur in Berlin fertig.“
Wie auch immer, von da an war die Hefereinzucht ein wichtiges Thema bei Professor Delbrücks wissenschaftlicher Arbeit.
Gründervater der VLB
In der heutigen Zeit wird Max Delbrück in erster Linie mit der Versuchs- und Lehranstalt (VLB) in Verbindung gebracht, und das nicht ohne Grund. In den 1870er- und 1880er-Jahren entstand diese Institution über diverse Schritte aus mehreren anderen Verbänden und Institutionen. Federführend dabei war neben Max Delbrück der hohe preußische Beamte Hugo Thiel aus dem Ministerium für Landwirtschaft. Die Aufnahme von Delbrücks Institut in den Verband der Landwirtschaftlichen Hochschule (1883, s. o.) kann als Gründungsereignis der VLB angesehen werden. Vorausgegangen war, als Geburtsstunde, ein Gründungstreffen am 19. Dezember 1882. Dabei bekundeten die Teilnehmer Friedrich Goldschmidt (Patzenhofer Brauerei), Armand Knoblauch (Böhmisches Brauhaus), Richard Roesicke (Schultheiss-Brauerei) und Max Delbrück die Gründung des Vereins „Versuchs- und Lehranstalt für Brauerei in Berlin“. Die ersten Semester fanden mit nur sechs bzw. zehn Praktikanten statt. 1888 konnte Professor Delbrück vor bereits 33 Studenten Vorlesungen über Brauereibetriebslehre halten. Die Zahlen stiegen weiter, die VLB entwickelte sich zum Erfolgsmodell. 1903 begründete Max Delbrück den ersten Studiengang zum Diplom-Braumeister. Naheliegend, dass er auch erster wissenschaftlicher Leiter der VLB wurde; ein Amt, das er bis zu seinem Tod innehatte.
Vielseitiger Autor und Herausgeber
Professor Delbrück machte sich ebenso als umtriebiger Autor und Herausgeber einen Namen. Er veröffentlichte zwei Wochenzeitschriften, die „Wochenschrift für Brauereien“ und die „Zeitschrift für die Spiritusindustrie“. Dazu einige Bücher, die lange Zeit Standardwerke ihres Genres waren. Hier eine Auswahl:
- „Handbuch der Spiritusfabrikation“;
- „Hefe, Gärung und Fäulnis“;
- „System der natürlichen Hefereinzucht“;
- „Beiträge zur Geschichte des Bieres“.
Sein „Illustriertes Brauerei-Lexikon“ von 1910 ist heute ein bibliophiler Schatz. Seine wissenschaftlichen Beiträge beschäftigten sich mit Themen wie der „Mechanik des Hefelebens“ oder der „Bedeutung des Eiweißes und der Enzyme im Leben der Hefe“.
Da Professor Delbrück nicht nur viel schrieb, sondern auch viel las, wuchs seine eigene Fachbibliothek bereits zu Lebzeiten zu beachtlicher Größe heran. Aus diesem Fundament entstand eine der größten Fachbibliotheken über Gärungswissenschaft weltweit, die zwar im 2. Weltkrieg schwer getroffen wurde, aber überstand und 2017 in „Axel-Simon-Bibliothek“ umbenannt wurde.
Bei Delbrücks Interesse an der Biergeschichte ist es nicht verwunderlich, dass er 1913 auch als einer der Gründerväter der „Gesellschaft für Geschichte des Brauwesens“ (GGB) mit an der Wiege stand. Ein Jahr vor seinem Tod machte er auch seinen Frieden mit den Bayern: Die Technische Hochschule München verlieh ihm die Ehrendoktorwürde Dr.-Ing. E. h. Als er 1919, kurz vor seinem 69. Geburtstag, die Augen für immer schloss, verlor das Braugewerbe eine herausragende Persönlichkeit. Max Delbrück wurde auf dem Friedhof Wilmersdorf in Berlin beigesetzt, sein Grab ist nicht erhalten.
Lernen Sie in unserem Dossier: Giganten der Biergeschichte weitere herausragende Persönlichkeiten der Braugeschichte kennen.
Quellen
- Dr. F. Hayduck: Illustriertes Brauerei-Lexikon, Berlin, 1925.
- Mikuláš Teich: Bier, Wissenschaft und Wirtschaft in Deutschland 1800 – 1914, Böhlau Verlag, Wien, 2000.