02.08.2021

Giganten der Biergeschichte: Sigismund Friedrich Hermbstädt

Erster Unternehmensberater der Neuzeit | Jahrtausende lang war das Bierbrauen von Geheimnissen umgeben. Unerklärbare Vorgänge wie die Verzuckerung oder die Vergärung wurden intuitiv gehandhabt, Brauschritte von Generation zu Generation weitergegeben. Erst in der Neuzeit kam der rasante Fortschritt in den Naturwissenschaften. Sigismund Friedrich Hermbstädt gehörte vor etwas mehr als 200 Jahren zu den ersten Menschen, die tatkräftig halfen, auch dem Bierbrauen endlich ein wissenschaftliches Fundament zu geben.

Welche Verdienste ließen Hermbstädt nun zum „Biergiganten“ werden? Zum einen ist es seine überlieferte, gute Zusammenarbeit mit Brauern in Norddeutschland, unter denen er großes Vertrauen genoss und wo er beispielsweise das Saccharometer nach Gewichtsprozenten einführte. Des Weiteren gelang es ihm, das Brauwesen in seinem Einflussbereich in Qualität und Ruf so zu verbessern, dass der preußische Staat die Gründung von technischen Versuchs- und Lehranstalten in Angriff nahm. Und zum Dritten, seine Tätigkeit als Fachautor: Hermbstädt verfasste 19 Lehrbücher, die sich den verschiedensten Gewerben wie der Ledergerberei, der Bleich- und Färbekunst, der Essig-, Likör- und Zuckerherstellung, der Destillierkunst und sogar der Butterherstellung widmeten. Bedeutend für uns ist jedoch sein Werk „Chemische Grundsätze der Kunst Bier zu brauen“ von 1814 – das allererste Fachbuch für Brauer mit einer fundierten, wissenschaftlichen Grundlage.

Über die Apotheke zur Chemie

Hermbstädt wurde am 14. April 1760 in Erfurt geboren. Sein Vater war Oberstadtvogt, Aktuar des Rates und Oberpfarrhauptmann, seine Mutter Tochter eines Kauf- und Handelsherrn. Sie verstarb früh, aber die Familie war wohlhabend genug, um den Sohn privat unterrichten zu lassen, bevor er dann das Erfurter Gymnasium besuchte. Nach der Schule wurde Hermbstädt Apothekerlehrling und begann in seiner Heimatstadt ein Medizinstudium, das er bald um das Fach Chemie erweiterte. Nach seiner Promotion zum Dr. phil studierte er erneut Chemie, diesmal in Langensalza, wo er auch die Universitätsapotheke mit betreute. Weitere Tätigkeiten in Apotheken in Hamburg und Berlin („Zum Weißen Schwan“, Spandauer Str. 77) folgten. Der unermüdlich lernende Hermbstädt besuchte nebenher Vorlesungen am Berliner Collegium medico-chirurgicum. Die dort tätigen Professoren, besonders der Chemiker Martin Heinrich Klaproth und die Mediziner Christian Gottlieb Selle und Christian Andreas Cothenius, erkannten sein Talent und begannen, ihn zu fördern. Hermbstädt reiste durch die Lande, und während einer seiner häufigen Studienreisen, die ihn durch Thüringen, den Harz und das Erzgebirge führte, lernte er in Göttingen den Chemiker Johann Friedrich Gmelin sowie den Ökonomen und Technologen Johann Beckmann näher kennen. Die beiden weckten sein Interesse für die technischen Wissenschaften und die sogenannte „Kameralistik“, abgeleitet von „Kämmerer“ – eine Art Buchführungs- und Verwaltungswissenschaft für Beamte sowie kirchlich und öffentlich Angestellte. 1787, im Alter von 27 Jahren, begann Hermbstädt, mit einem Privileg König Friedrichs II. ausgestattet, Privatvorlesungen über Technologie, Chemie und Pharmazie in Berlin zu halten. Gleichzeitig arbeitete er als Chemiker für die Wegelyschen Fabriken. 1788 heiratete er Magdalene, die Schwester des bekannten Chemikers und Apothekers Valentin Rose, dem auch der „Weiße Schwan“ gehörte. 1789 gründete der umtriebige Hermbstädt eine „chemische Pensionsanstalt für Jünglinge“, die acht Jahre existierte. Die Idee dahinter war, angehenden Apothekern eine solide chemische Ausbildung zu vermitteln. Ab 1790 verwaltete er für die nächsten sechs Jahre die Hofapotheke in Berlin, während er gleichzeitig an seiner Alma Mater, dem Collegium medico-chirurgicum, eine Professur für Chemie übernahm. Daneben war er, wie in den einschlägigen Biografien überliefert ist: 1794 Dozent für Experimentalphysik an der Bergakademie Berlin, Mitglied (Obersanitätsrat) des Obercollegium Sanitatis, 1796 Assessor (1797 Mitglied) des Manufaktur- und Kommerzkollegiums, 1797 Assessor der Salzadministration, 1798 Mitglied & Obermedizinalrat des vereinigten Obercollegium medicum et Sanitatis, Generalstabsapotheker der preußischen Armee, 1800 außerordentliches, 1808 ordentliches Mitglied der Preußischen Akademie der Wissenschaften, 1804 Geheimer Kriegsrat, 1808 Mitglied der Technischen Gewerbe- und Handelsdeputation, 1810 Geheimer Medizinalrat und außerordentlicher Professor der technologischen Chemie an der neu gegründeten Universität Berlin (u.a. auf Vorschlag von Alexander von Humboldt). Ein Jahr später wurde diese Professur in eine ordentliche umgewandelt. 1820 wurde er Professor der Chemie an der Allgemeinen Kriegsschule in Berlin.

Porträt von Sigismund Friedrich Hermbstädt – Kupferstich von G. A. Lehmann, 1808 (Quelle: Wikimedia Commons, Public Domain, https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Sigismund_Friedrich_Hermbst%C3%A4dt._Line_engraving_by_G._A._Lehm_Wellcome_V0002712.jpg)

Ein genialer Allrounder

Sigismund Friedrich Hermbstädt war der buchstäbliche Hansdampf in allen Gassen, oder – wie man heute sagen würde – ein echter Allrounder; ein Utilitarist, für den der Nutzen des Wissens im Vordergrund stand. Es gab kaum ein Gebiet der Naturwissenschaft, das er nicht beackerte.

„Er befasste sich u.a. mit der Einrichtung einer Zuckersiederei, Druckverfahren, Herstellung von Bleiweiß, Färberei, Gerberei, Branntweinherstellung, Bierbrauen, Veredelung von Flachs und Hanf, Kultivierung der Tabakpflanze und vielen anderen Technologien“, ist in Wikipedia nachzulesen. Dieses interdisziplinäre Wissen erlaubte es ihm, die Sicht einer Branche auf andere zu übertragen und Nachteile zu eliminieren. Daher gibt es auch viele Fächer, in denen er historische Bedeutung erlangte – als Pharmazeut, als Chemiker und auch als Technologe. Denn, und das unterschied Hermbstädt von vielen anderen Professoren seiner Zeit, er verband Theorie mit Praxis und vermittelte dadurch Praxiswissen, das sich entsprechend rasch verbreitete. Seinem Ansatz nach könnte man ihn heute den ersten Unternehmensberater der Neuzeit nennen.

Hermbstädt schrieb etliche Lehrbücher über die Pharmazie, welche die wissenschaftliche Ausbildung des Apotheker-Berufsstandes enorm förderten. Er arbeitete sogar aktiv an der Reform des Apothekerberufes und der Apothekerverordnung (um die Jahrhundertwende zu 1800) mit.

Grabstein von Sigismund Friedrich Hermbstädt Dorotheenstädtischer Friedhof, Berlin-Mitte (Foto: Daderot/Wikimedia Commons, https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Sigismund_Friedrich_Hermbstaedt_-_Dorotheenst%C3%A4dtischer_Friedhof_-_Berlin,_Germany_-_DSC00298.JPG)

Historisches Wirken für Lavoisier

In der Chemie lagen seine Meriten einmal in seiner Lehrtätigkeit, doch auch in seinem dreibändigen „Systematischen Grundriss der allgemeinen Experimentalchemie“ (1795). Darüber hinaus – dieser Tatendrang ist heute nur schwer nachzuvollziehen – übersetzte er grundlegende wissenschaftliche Werke in die deutsche Sprache (Carl Wilhelm Scheele, Louis Bernard Guyton de Morveau, Antoine Claude Chaptal) und brachte damit als Erster eine internationale Note in die deutsche Wissenschaft hinein. Größte Bedeutung erlangte dabei seine 1792 in zwei Bänden unter dem Titel „System der antiphlogistischen Chemie“ erschienene, kommentierte Übersetzung von Antoine Laurent de Lavoisiers „Traité élémentaire de chimie“. Lavoisier, Frankreichs herausragender Wissenschaftler seiner Zeit, hatte damit die gängige „Phlogistontheorie“ widerlegt. Diese Theorie zu erklären, würde hier zu weit führen, es genügt zu wissen, dass sie blanker Unsinn war. Durch die Entdeckung Lavoisiers, dass eine Verbrennung Sauerstoff benötigt, wurde die Phlogistontheorie endgültig widerlegt und Lavoisier fand in Hermbstädt einen brillanten Advokaten in der deutschen Sprache, der eine regelrechte antiphlogistische Lavoisier-Schule in den deutschen Landen einführte. Diese Übersetzung sorgte für eine positive Einstellung der Preußischen Akademie der Wissenschaften zu Lavoisiers Lehre und für einen generellen Ausbau dieses seriösen Wissenschaftszweigs. Lavoisier selber konnte den Triumphzug seiner Theorien nicht mehr miterleben, sein Kopf fiel während der Französischen Revolution unter der Guillotine, und er liegt in einem anonymen Massengrab auf dem Cimetière des Errancis in Paris. Ein historisches Debakel, das die meisten Franzosen später gerne wieder rückgängig gemacht hätten.

Geburtshelfer des Industriezeitalters

Den größten und langfristigsten Einfluss – sogar mehr noch als in der Chemie – besaß Hermbstädt jedoch in der allgemeinen Technologie. In der Lehre, im Unterricht für Gewerbetreibende ebenso wie als technischer Berater bei der Einrichtung von Fabriken (auch Brauereien) war er ein Mann der Theorie und der Praxis. Seine mehrbändigen Lehrbücher ließen buchstäblich nichts aus, streiften zumindest alle Zweige möglicher und ausgeübter Gewerbe – vom klassischen Handwerk über die neuen Industrien, die damals noch in den Kinderschuhen steckten, bis zur chemisch-technologischen Unterstützung für die moderne Landwirtschaft. Er war ein Experte der neuen Disziplin der Pflanzenanalyse. Er klassifizierte die Pflanzenstoffe erstmals in Gummistoff, Schleimstoff, Zuckerstoff, färbende und betäubende Stoffe. Einige Industriezweige erlangten nach Hermbstädts Geburtshilfe in den folgenden Jahrzehnten Weltgeltung. Erwähnt seien hier deshalb seine Bücher „Katechismus der Apothekerkunst“ (1792), „Kurze Anleitung zur chemischen Zergliederung der Vegetabilien“ (1799), „Handbuch der allgemeinen Fabrikenkunde“ (1807), „Grundsätze der theoretischen und experimentellen Kameralchemie“ (erschienen 1808, danach mehrfach in andere Sprachen übersetzt), „Grundriß der Technologie“ (1815), „Kompendium der Technologie“ (1814/1831) und das „Archiv der Agriculturchemie“ (7 Bände, 1803–1817).

Buchtitel „Chemische Grundsätze der Kunst Bier zu brauen“ (Public Domain)

Dieser Einsatz blieb nicht ohne Lohn: Sigismund Friedrich Hermbstädt war zum Ende seines Arbeitslebens Mitglied in mehr als 25 Akademien und sogenannten „gelehrten Gesellschaften“, darunter auch eine Ehrenmitgliedschaft in der Russischen Akademie der Wissenschaften in Sankt Petersburg oder der Berliner Freimaurerloge „Zur Eintracht“.

Doch auch ein derart unermüdliches Leben findet einmal ein Ende. Sigismund Friedrich Hermbstädt starb am 22. Oktober 1833 in Berlin an einem Schlaganfall und wurde auf dem Friedhof der Dorotheenstädtischen und Friedrichswerderschen Gemeinden in Berlin-Mitte bestattet.

Sein bahnbrechendes Fachbuch „Chemische Grundsätze der Kunst Bier zu brauen“ gibt es zum Nachlesen unter: https://www.digitale-sammlungen.de/de/view/bsb11112168?page=5.

Das Buch wurde so oft nachgedruckt, dass heutzutage noch 200 Jahre alte Exemplare zu Schnäppchenpreisen (unter 400 EUR) gehandelt werden.

Lernen Sie in unserem Dossier: Giganten der Biergeschichte weitere herausragende Persönlichkeiten der Braugeschichte kennen.

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