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Frauenkirche in München (Foto: Pat Whelen, Unsplash)
22.02.2021

Giganten der Biergeschichte: Gabriel Sedlmayr II. (der Jüngere)

Der König aller Bierpioniere | Der Münchner Brauherr Gabriel Sedlmayr II. (der Jüngere), verantwortlich für den Aufstieg der Spaten Brauerei zur führenden Brauerei Europas, ist ohne Zweifel DIE Lichtgestalt unter den zahlreichen hervorragenden Brau­unternehmern des 19. Jahrhunderts – und so soll ihm auch die Ehre des ersten Porträts in der neuen BRAUWELT-Serie „Giganten der Biergeschichte“ zuteilwerden.

Geboren 1811, ließ ihm sein begüterter, vorausschauender Vater gleichen Namens die bestmögliche Ausbildung inklusive Privatlehrer zukommen. Nach einer Brauerlehre begannen intensive Reisen mit immer größerem Radius: zuerst in Bayern, dann nach Holland und Belgien sowie schließlich nach England und Schottland. Besonders die Reise auf die britischen Inseln 1833/34 zusammen mit seinem besten Freund Anton Dreher von der Schwechater Brauerei (und teilweise mit Lederer aus Nürnberg und Meindl aus Braunau) ging in die Biergeschichte ein. Sein Vater hatte ihn immer unterstützt und ihm vertrauensvoll freie Hand gelassen: „Mache, was du willst, wenn du glaubst, daraus geschäftlichen Nutzen ziehen zu können.“

Industriespionage revolutionierte die Brautechnik auf dem Kontinent

Die beiden jungen Brauer brachten Erkenntnisse mit zurück auf den Kontinent, die nicht alle auf sauberem Weg erworben waren – es gibt legendäre Anekdoten über Industriespionage und illegale Probenahmen, u. a. mittels eines Ventils in einem Spazierstock –, aber für die althergebrachte Technik der Bierbrauerei einen gewaltigen Sprung nach vorne bedeuteten. Die Verwendung des Saccharometers (oder Aräo­meter, wie es damals hieß) wie auch des Thermometers waren neu in den Brauereien Deutschlands und Österreichs. Ebenso wie die Nutzung des Mikroskops zur Analyse und des Rohr-Wärmetauschers zur Kühlung der Anstellwürze.

Neue  Artikelserie über die Giganten der Biergeschichte
„Wir sind Zwerge, die auf den Schultern von Giganten stehen.“ Diese oftmals gelesene und gehörte  Aussage bezieht sich meist nicht so sehr auf das eigene, bescheidene Selbstverständnis, sondern versteht sich als  Würdigung von Pionieren, von Wegbereitern und Grundlagenforschern. Die gab es auch in der Biergeschichte. Die heutige herausragende Qualität und  Vielfalt unseres liebsten Getränks war in früheren Zeiten nicht selbstverständlich. Sie ist ein Resultat jahrhundertelanger Arbeit, Erfahrung und Forschung – mit zahlreichen Rückschlägen und Misserfolgen, Fehleinschätzungen und Rivalitäten.

Doch es gab immer wieder Menschen, die sich nicht entmutigen ließen. Die nach vorne sahen, Besseres wollten, Neues, Anderes oder auch Revolutionäres. Diesen Menschen ist diese neue Artikelserie in der BRAUWELT gewidmet. Wir stellen in kurzen Porträts „Giganten der Biergeschichte“ vor: Brauer,  Wissenschaftler, Ingenieure, Erfinder und Unternehmer aus Deutschland, Österreich, Holland, Dänemark, England, Irland oder den USA, die in der  Vergangenheit Herausragendes für „unser Bier“ geleistet haben. Manche Namen sind auch Laien bekannt, andere nur Experten – und manche sind vielleicht schon gänzlich vergessen. Es wird Zeit für eine  Wiedererweckung.


Damit und mit anderen Neuerungen bei Mälzungs- und Brauverfahren revolutionierte Gabriel Sedlmayr die Brautechnik auf dem Kontinent. Denn er sah sich nicht „nur“ als Brauer und Unternehmer, sondern auch als Ingenieur. Sedlmayr wollte nichts mehr einfach so dem Zufall überlassen. Seine neuartigen, untergärigen Biere waren dann auch von sensationeller Qualität und der Konkurrenz weit voraus.

Giganten der Biergeschichte

Er exportierte sogar fleißig nach England – damals die führende Biernation. Und das mit so großem Erfolg, dass sein Bier bald zum Synonym für bayerisches Bier im Ausland wurde und dessen guter Ruf in den folgenden Jahrzehnten zu einem großen Teil auf dem Spaten Bier beruhte.

Freundschaften mit Brauern in ganz Europa

Sedlmayr war äußerst geschickt darin, Freundschaften zu knüpfen. Er war ein Netzwerker, der mit Brauern in ganz Europa befreundet war. Wie mit Michael Bass aus dem englischen Burton-on-Trent oder dem holländischen Brauer Gerard Adriaan Heineken, dem er den Braumeister Wilhelm Feltmann vermittelte.

So profitierte er von Neuentwicklungen anderer, die er umgekehrt auch an seinem Wissen und seinen Errungenschaften teilhaben ließ. Ein gutes Beispiel dafür lieferte seine jahrzehntelange Freundschaft mit dem gleichaltrigen Dänen Jacob Christian Jacobsen. Der hatte 1835 die kleine Brauerei seines Vaters übernommen und baute sie sukzessive zu einem Großbetrieb um. Im Oktober/November 1845 besuchte er Sedlmayr in München und erhielt von diesem vor seiner Rückreise eine Charge bayerischer Lagerhefe. Dies war die Basis für den weiteren Erfolg von Jacobsens Carlsberg Brauerei.

Gabriel Sedlmayr (Foto: Public domain, Wikimedia Commons, https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Gabriel_Sedlmayr_(1811-1891).jpg)

Dort gelang seinem Laborleiter Emil Christian Hansen 1881 erstmals die Erzeugung von Hefe-Reinzuchtkulturen, die letzten Endes auf Sedlmayrs Hefegeschenk zurückging (mehr dazu später in einem eigenen Artikel über Jacobsen und Hansen). Jacobsen hatte offenbar ein sehr gutes Gedächtnis, denn die erste deutsche Brauerei, die per Eilbote Reinzuchthefe aus Kopenhagen als Geschenk erhielt, war Sedlmayrs Spaten Brauerei.

Sedlmayrs Vernetzungen halfen seinen Söhnen, denn sie konnten überall auf ihren Ausbildungsreisen bei führenden Brauern studieren und lernen.

Seine jahrelange Zusammenarbeit und sein Mäzenatentum – anders kann man dieses Geduldsspiel nicht beschreiben – mit Professor Carl (von) Linde bei der Entwicklung der ersten brauchbaren Kältemaschine ist längst ein veritables Stück deutscher Industriegeschichte. Dass die erste dauerhaft arbeitsfähige Kältemaschine Lindes dann auch in der Spaten Brauerei aufgestellt wurde, versteht sich da fast von selbst.

Ausbau von Spaten zur technisch führenden Brauerei

Nachdem er durch den frühen Tod seines Vaters 1839 die Brauerei mit nur 28 Jahren übernommen hatte, baute er sie ab 1851 gezielt aus. Strategische Grundstückskäufe gingen mit einer großzügigen und modernen Konzeption Hand in Hand. Besonders die visionäre Planung seiner Immobilien in München unterschied ihn von anderen Brauern, wie z. B. von seinem Freund Dreher, der lieber in anderen Städten zusätzliche Brauerstätten akquirierte als allein im Mutterbetrieb zu produzieren. Sedlmayrs Strategie erwies sich für die kommenden, unruhigen Zeiten – ja, bis heute – als dauerhafter, weil sie nicht an Landesgrenzen gebunden war.

Gabriel Sedlmayr d.J., Anton Dreher und Georg Lederer (v.li.), 1839 (Foto: Stadtarchiv München, DE-1992-NL-SED-F-F-9 https://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Datei:Sedlmayr_Dreher_Lederer.jpg)

Die Einführung von Flaschenbier sowie Fortschritte in den Bereichen Dampf und Kälte machten aus der Spaten Brauerei letztendlich die technisch führende Brauerei Münchens – ab 1867 auch im Ausstoß. Obwohl er schon eine erfolgreiche Brauerei übernommen hatte – auch sein Vater hatte bereits wertvolle Pionierarbeit geleistet, besonders im Bereich der Malzdarre –, gelang es ihm, unter seiner Ägide den Ausstoß des Spaten Bräu um mehr als das Zwölffache zu steigern. Bis auf etwa 600 000 hl Jahresausstoß!

Neben seinen herausragenden Erfolgen als Unternehmer in seiner eigenen Brauerei war er auch politisch und gesellschaftlich tätig: als Kommerzienrat, als Abgeordneter im Landtag, im polytechnischen Verein, der Handelskammer, aber auch als Unterstützer sozial benachteiligter Menschen. Seine Autorenschaft zweier erfolgreicher Werke über die Bierbrauerei sind da fast schon Nebensache.

Spaten Brauerei (2. Gebäude auf der linken Seite) in der Neuhauser Straße in München auf einem Aquarell um 1840 (Foto: Münchner Stadtmuseum, Sammlung Graphik/Gemälde, https://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Datei:Spatenbrauerei_Neuhauser_Stra%C3%9Fe.jpg#filelinks)

Wenn neben all diesen Leistungen das Privatleben zu kurz käme, wundern würde sich niemand. Dem war aber nicht so. Seine über 50-jährige, der Überlieferung nach glückliche Ehe mit der Bierbrauertochter Anna Rosalia (geb. Schwangart) war mit vielen Kindern gesegnet. Zuerst mit vier Söhnen, von denen der Älteste mit nur 26 Jahren starb, die anderen drei aber 1874 gemeinsam die Brauereinachfolge antraten. Nach den Söhnen erblickten noch fünf Töchter das Licht der Welt, die der fürsorgliche Vater allesamt, der Zeit und der Tradition entsprechend, in „allerbeste Familien verheiratete“.

Mitbegründer des Deutschen Brauer-Bundes

Nach der Übergabe der Brauerei an seine Söhne widmete sich Gabriel Sedlmayr der Politik und diverser Brauer-Organisationen – über Bayerns Grenzen hinaus. Er war Präsident des bayerischen wie auch des deutschen Brauertags, Mitbegründer des Bayerischen und des Deutschen Brauer-Bundes – bei letzterem wurde er sogar Ehrenmitglied Nummer Eins.

Ein derartiges Leben konnte nicht ohne Auszeichnungen bleiben. Derer gab es auch einige. Die Goldmedaille bei der Pariser Weltausstellung 1867, mit der Spaten Bräu als einzige deutsche Brauerei ausgezeichnet wurde, war eine herausragende Würdigung, die sich noch dazu gut vermarkten ließ. Die Stadt München würdigte Gabriel Sedlmayr vierzehn Jahre später mit der Goldenen Bürgermedaille, der höchsten Auszeichnung für Münchner Bürger. Eine Auszeichnung, die seit 1824 nicht einmal achtzig Mal vergeben wurde!

Seine Söhne führten die Brauerei erfolgreich ins 20. Jahrhundert. Als Gabriel Sedlmayr II. am 1. Oktober 1891 seine Augen für immer schloss, war der Spaten Bräu eine der führenden Brauereien der Welt. Und die Welt hatte einen ihrer größten Brauunternehmer verloren. Gabriel Sedlmayrs Grabstätte befindet sich auf dem Alten Südlichen Friedhof in München, Gräberfeld 5, Reihe 17, Platz 27/28.

In unserem Dossier: Giganten der Biergeschichte fassen wir alle Artikel dieser neuen Serie für Sie zusammen.

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