Giganten der Biergeschichte: Nikolai Sinebrychoff
Finnische Biergeschichte | Für diese Folge reisen wir in Gedanken nach Finnland. Ein Land, das man weniger mit Bier assoziiert als eher mit einer sehr schwierigen Sprache, mit Sauna, glücklichen Menschen, Heavy Metal Musik und einem äußerst erfolgreichen Bildungssystem. So ist die finnische Biergeschichte auch nicht so alt wie die Zentraleuropas oder der Britischen Inseln, aber dafür kann man sie wunderbar an der Person festmachen, mit der alles begonnen hat.
Zum besseren Verständnis der finnischen Biergeschichte machen wir einen Sprung ins Jahr 1993. Die Brauerei Koff, um deren Gründer es hier geht, warb in dieser Zeit mit dem Spruch „1818 war Finnland trocken und durstig“! War es wirklich so furchtbar? Natürlich nicht, denn die Werbung bezieht sich auf die Gründung der ersten Brauerei Finnlands, die genannte Brauerei Koff. Aber man hatte ja vorher bereits andere Möglichkeiten gehabt, den Durst zu löschen.
Einerseits gab es seit Wikingerzeiten – also schon sehr, sehr lange – das tradtionelle „Sahti“, eine Art einfaches Bauernbier, hergestellt aus gemälzter und ungemälzter Gerste, Roggen und Hafer. Traditionell wurde Sahti mit nur sehr wenig Hopfen, aber dafür umso mehr Wacholder aromatisiert.
Abgeläutert wurde durch ein Bett aus Stroh, und zur Gärung wurde Backhefe verwendet. Die Haltbarkeit (max. zwei Wochen), der Alkohol- und CO2-Gehalt (beides sehr gering) und der Geschmack (streng nach Banane) waren nicht sonderlich gut geeignet für eine professionelle Produktion oder lange Vertriebswege.
Andererseits gab es Importbiere. Hier ist wieder ein geschichtlicher Einschub notwendig: Nachweislich seit 1764 exportierten englische Brauer Bier nach St. Petersburg. Besonders beliebt war das Porter. Damit der kostbare Inhalt der Holzfässer den Seeweg gut überstand, braute man die Biere kräftig (Alkoholgehalt meist über 7 Vol.-%) und gut gehopft ein.
1806 blockierte Napoleon den Seeweg durch die Ostsee, als Revanche für die britische Frankreichblockade. So gab es einige Zeit lang kein Porter für die Russen. 1809 verlor Schweden im „Finnischen Krieg“, einem Nebenschauplatz des Vierten Koalitionskrieges, gegen Napoleon, dann gegen Russland.
Die Seeblockade war weg, und Schweden musste zudem noch Finnland an den Sieger abtreten. Die Handelsströme flossen wieder. Und der russische Adel kam seither gerne nach Helsinki zur Sommerfrische, da der Zar Auslandsreisen generell verboten hatte. Die Sache mit dem Sahti gefiel den Adligen wohl nicht.
Und so gründete der junge Russe Nikolai Sinebrychoff im Jahr 1819, sogar der 13.10. ist als Gründungstag überliefert, kurzerhand am Hafen Helsinkis die erste professionelle Bierbrauerei Finnlands.
Aus der russischen Provinz ins russische Finnland
Wer war dieser Nikolai Sinebrychoff? – Geboren wurde er um 1786 in eine große Familie hinein in Gawrilow Possad, einer Kleinstadt in der Oblast Iwanowo, etwa 200 km nordöstlich von Moskau gelegen. Der Vater hieß Peter, die Mutter hieß Mavra Ivakova. Peter Sinebrychoff war, wie seine Vorfahren auch schon, als Kaufmann im gesamten westlichen Russland aktiv. Sogar der Name „Sinebrychoff“ lässt sich von langjährigem Kaufmannstum etymologisch herleiten.
Der Vater handelte wohl mit allem, was sich kaufen und verkaufen ließ. Die ganze Familie arbeite mit für den Geschäftserfolg. Von den sechs Söhnen starb Peter sehr jung, aber die anderen, Ivan, Nikolai, Paul, Michael und Andreas, wollten auch Kaufleute werden. Die drei Töchter wurden vom Vater umsichtig in wohlhabende Kaufmannsfamilien verheiratet. So wuchs der Wohlstand der Familie.
Seit 1721 gehörte ein kleiner Teil im Südosten des heutigen Finnlands, die Region Kymenlaakso, bereits zum Russischen Reich. Dieses Kymenlaakso wurde im späten 18. Jahrhundert zum geschäftlichen Ziel Peter Sinebrychoffs, obgleich die Region mindestens genau so arm war wie die russische Provinz. Dort gründete der Vater neben einem Bauunternehmen und einem Sägewerk offenbar auch eine Brauerei.
Als der junge Njkolai alt genug war, wurde er vom Vater in den Handel und auch in die Brauerei eingearbeitet. Ebenso der drei Jahre jüngere Bruder Paul. Nikolais jüngerer Bruder Ivan kümmerte sich derweil um die Geschäfte in Gawrilow Possad.
Der umtriebige Erbe baut das Geschäft weiter aus
1805 starb der Vater. Nikolai und Paul übernahmen das Geschäft, soweit es den finnisch-russischen Teil betraf. Insgesamt hinterließ Peter sechs Söhne und drei Töchter, die sich das Geschäft aufteilen mussten.
Der junge Nikolai übernahm das Bauunternehmen und das Sägewerk. In knapp zehn Jahren baute Nikolai sein Geschäft beständig aus, er kannte nur eine Richtung: nach vorne!
Kurz darauf wurde auch Helsinki russisch, und Nikolai zog in die Nähe dieser neu ernannten Hauptstadt des „Großfürstentums Finnland“. Er kam, um zu bleiben.
Anfang des 19. Jahrhunderts lebten nur etwa 4000 Menschen in Helsinki. Nikolai begann, mit Lebensmitteln zu handeln, versorgte die Soldaten der russischen Garnison mit allem, was benötigt wurde. 1816 erwarb er eine exklusive Lizenz zum Handel mit Spirituosen, Bier und Met für die Garnison des Forts Sveaborg (schwedisch) bzw. Viapori (finnisch), das heutige UNESCO-Welterbe „Suomenlinna“.
1817 kaufte Nikolai eine alte Spirituosenfabrik im Süden Helsinkis, mitsamt dem Recht zu Produktion und Vertrieb seiner Produkte. Dieses Recht erneuerte er regelmäßig, bis zu seinem Tod. Im Jahr 1819 erwarb er das exklusive Recht, in Helsinki zehn Jahre lang Bier zu produzieren und zu verkaufen. Gleichzeitig beantragte er beim „Kaiserlichen Helsinki Komitee für Neubauten“ die Errichtung einer Brauerei.
Er erhielt am 13. Oktober 1819 das Recht, Land zu erwerben und eine Brauerei am äußersten Rand des Hafens der Stadt, im Stadtteil Hietalahti, zu errichten. Dieser Tag gilt seither als Gründungsdatum von Sinebrychoffs Brauerei und wird immer noch jährlich gefeiert.
Das Grundstück wurde vermessen und die Bauarbeiten begannen. Die Brauerei bestand anfangs aus einem zweistöckigen Holzgebäude, in dem auch Büros und Wohnungen untergebracht waren.
Es gab jahrelangen Streit um die Kosten der Steine, die die Stadt für die Fundamente der Brauerei am Meer lieferte. Es gab mittlerweile eine andere, kleine Brauerei in der Altstadt, die Nikolai auch erwarb. Denn er wollte ein Brau-Monopol für Helsinki. Was ihm auch gelang, die Behörden waren auf seiner Seite.
Deutsche Braumeister sollten die Qualität sicherstellen
Nikolai Sinebrychoff hielt viel von deutschem Bier, er handelte ja auch damit. Daher wollte er von Anfang an deutsche Braumeister einstellen, die für die Qualität seiner Biere einstanden.
Den Anfang machte der Sachse August Putzscher, der, von einer schwedischen Brauerei abgeworben, am 31.08.1820 seine Arbeit aufnahm. Im Frühjahr 1828 kehrte er nach Schweden zurück. Seine Arbeit war erfolgreich gewesen, die Brauerei lief gut.
1824 hatte die Brauerei bereits zwei Braumeister und fünf weitere Mitarbeiter. Auch Putzschers Bruder Gottfried arbeitete seit 1826 für die Brauerei, im Vertrieb. Nach Augusts Weggang übernahm Gottfried Putzscher das Brauen, mit der kuriosen Formulierung, „das beste Bier zu machen, vergleichbar dem besten verfügbaren Brot.“ Und zwar ausschließlich aus Malz. Nach bayerischem Vorbild galt in Finnland ein Surrogatverbot für Malz. (Daher wurde Sahti auch nicht als Bier besteuert). Die Brauerei wuchs.
Im Jahre 1829 zog die Spirituosenfabrik zur Brauerei um, und Nikolai Sinebrychoff war nach seinen Steuereinnahmen der fünftreichste Kaufmann in Helsinki. Für das Jahr 1830 wurden vermeldet: ein Braumeister, ein Distilleriemeister, zwei Buchhalter und 31 weitere Angestellte. Dann starb Johan Friedrich Stier, der engste Geschäftspartner Nikolais.
Seine Witwe Ulrika Ahlström zog mit ihrer Tochter zu Nikolai. Sie heirateten nicht, lebten aber zusammen. Die Verbindung war so eng, dass spätere Generationen Stiers Tochter Natalia als Nikolais Tochter ansahen.
Gottfried Putzscher war als Braumeister nicht erfolgreich und verschwand nach nur einem Jahr aus den Annalen der Brauerei. Carl Preis war der nächste Braumeister. Bei ihm lief noch mehr schief, er musste 1833 aus Finnland fliehen, vor Schulden und anstehenden Gerichtsprozessen.
1834 erhielt Nikolai endlich die Bürgerrechte in Helsinki. Im folgenden Jahr erhielt er den Titel eines Gewerberats. Und alles, obwohl er weder des Finnischen noch des Schwedischen mächtig war. Zeit seines Lebens dolmetschte sein Bruder Paul für ihn. Für das nächste Jahrzehnt lag nun die Bierqualität in den Händen des preußischen Braumeisters W. Nachtigall und seines Kellermeisters Fredric Svettkoff.
Eine niemals bezogene Luxusvilla als Vermächtnis
Helsinki wuchs und florierte. Und mit ihm die Koff-Brauerei. 1836 wurde auf Nikolais Geheiß ein felsiges, drei Hektar großes Grundstück neben der Brauerei als Garten angelegt. Der Garten heißt heute „Sinebrychoff Park“. Bis 1992 stand auch die Brauerei dort.
Als nächstes ließ er neben Brauerei und Garten eine Luxusvilla erbauen, ein zweistöckiges Steinhaus im Empire-Stil mit 26 Zimmern. Das 1842 fertiggestellte Gebäude sollte als Familienresidenz und Büro dienen, aber er selbst sollte dort niemals leben. Er blieb in einem Holzhaus in der russischen Garnison, das 1868 abgerissen wurde. Die Villa dient heute als Sinebrychoff-Kunstmuseum.
Am 23. Januar 1848 verstarb Nikolai Sinebrychoff während einer Geschäftsreise im russischen Tver an einer Lungenentzündung. Er wurde nach Helsinki überführt und auf dem Orthodoxen Friedhof bestattet. Dort befindet sich bis heute das Familiengrab der Sinebrychoffs.
Nachdem er weder Frau noch Kinder hatte, übernahm sein Bruder Ivan die Kontrolle über das gesamte Geschäft. 1852 wurde geteilt: Ivan blieb in Westrussland, während Paul die finnischen Geschäfte erbte.
Die Brauerei wuchs weiter, die Bierqualität war in Finnland anscheinend unerreicht, und, so wurde überliefert, auf Augenhöhe mit den Bieren auf dem „Kontinent“. In den 1880er-Jahren wurde die Destillerie zugunsten der Brauerei aufgegeben.
Nach Pauls Tod übernahmen dessen Kinder Nicolas und Paul. Die Brauerei wuchs auch im 20. Jahrhundert weiter, Rückschläge kamen nur durch die Kriege. Die deutsche Braumeistertradition aber blieb bis nach dem 2. Weltkrieg bestehen, dann gab es die ersten finnischen Braumeister. In den 1990er-Jahren war es in Helsinki endgültig zu klein geworden, und so stand ein Neubau mit Umzug an. Heute bezeichnet sich die Brauerei Sinebrychoff, obwohl seit dem Jahr 2000 im Carlsberg Konzern aufgegangen, als drittältestes Unternehmen Finnlands. Die Braustätte befindet sich in Kerava, einer Stadt etwa 30 km nordöstlich von Helsinki. Dort ist Sinebrychoff mit über 800 Mitarbeitern größter Arbeitgeber.
Baltic Porter wird ein Bierklassiker
Kommen wir zu den Bieren, die in Helsinki gebraut wurden. Wobei das „Koff Porter“ besonders erwähnenswert ist. Koff, wie die Brauerei seit jeher genannt wurde, braute immer ein Sortiment verschiedener Biersorten. Der bayerische Einfluss war von Anfang an da. Aber mit dem Porter ist der Name Sinebrychoff am meisten verbunden. Die Russen in St. Petersburg waren kräftige englische Porter und/oder Stouts gewöhnt, wie man heute noch an den Begriffen „Baltic Porter“ und „Russian Imperial Stout“ erkennt.
Was lag näher, als etwas Ähnliches aus eigenen Braukesseln anzubieten? Nichts scheint jedoch gesichert zu sein aus dieser grauen Vorzeit der Brauerei. Die Quellen widersprechen sich bisweilen. Das kältere Klima Finnlands schien nicht sonderlich günstig für die Obergärung, also vergor Sinebrychoff einer Legende nach sein Porter einfach mit untergäriger Lagerhefe.
Sicher ist aber: Heraus kam ein sehr kräftiges Gebräu aus 100 % Malz mit über 7 Vol.-% Alkohol. Nicht nur der russische Sommerfrische-Adel war begeistert. Kein Vergleich zum leichten Sahti. Finnland hatte nach der Eingliederung ins Russische Reich seine alte Bierbesteuerung beibehalten, die dem bayerischen Vorbild nachempfunden war und das Bier offenbar recht günstig machte (Stichwort: Malzaufschlag).
Porter wurde bis zur finnischen Prohibition 1919 gebraut. Nach deren Aufhebung 1931 gab es dennoch erst einmal kein Porter. Erst 1952 wurde aus Anlass der Olympischen Spiele in Helsinki das „Baltic Porter“ mit Erfolg wiederbelebt. Einer weiteren Legende nach, von der Brauerei selbst kolportiert, stammt die Hefe dafür, und bis heute, aus der Londoner Guinness Park Royal Brauerei.
Mittlerweile hat Finnland die höchste Bierbesteuerung der Welt und das teuerste Bier. Das Baltic Porter der Brauerei Koff gilt vielen Fachleuten als eines der besten Biere der Welt. Im Jahr 2000 beschrieb die Bierkoryphäe Michael Jackson es als „lebhaft und geschmackvoll, trocken, sanft, ölig, kaffeeartig und blumig mit einer frischen Holznote. Der Abgang ist reich und wärmend“. Da bekommt man doch gleich Lust auf ein Koff Porter. Also: Prost, darauf ein Bier, oder eben „Tsemppiä, ota olutta“.
Übrigens: Das finnische Wort für Bier, „Olut“, hat denselben Ursprung wie das Wort „Ale“.
Quellen
- Jackson, M.: Bier Lexikon, Dorling Kindersley Verlag, London, 2000.
- Seidl, C.: Noch ein Bier, Deuticke Verlag, Wien, 1993.
- Dornbusch, H.: Die Biersorten der Brauwelt, Fachverlag Hans Carl, Nürnberg, 2014.
- Thausing, J.: Malzbereitung und Bierfabrikation, Gebhardt Verlag, Leipzig, 1898.
- https://sinebrychoffintaidemuseo.fi/en, abgerufen am 28.02.2025.
- https://sinebrychoff.fi/, abgerufen am 28.02.2025.
- https://passionforbeer.fi/, abgerufen am 28.02.2025.
- https://en.wikipedia.org/wiki/Sinebrychoff, abgerufen am 28.02.2025.
Schlagworte
Finnland Russland Historisches Porträt
Autoren
Günther Thömmes
Quelle
BRAUWELT 12, 2025, S. 430-432