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Abb. 2 3-Geräte-Sudwerk der Forschungs- und Lehrbrauerei der Hochschule Anhalt in Köthen
25.08.2020

Johann Sebastian Bach und das wohltemperierte Bier

Historisches Märzen | Johann Sebastian Bach und Bier? Da gibt es keinen Zusammenhang, so würde man vielleicht vorschnell sagen. Man kennt eventuell seine „Kaffeekantate“ (BWV 211), aber eben kein Werk, in dem es um das Bier geht. In weiten Teilen seiner Laufbahn war er bekannt als Organist und ein Komponist vor allem geistlicher Werke. Aber auch seine weltlichen Kompositionen – viele davon entstanden gerade in seiner Köthener Zeit – strahlen doch mehr Würde, Ernst und Erhabenheit aus, als dass man sie mit Bier in Verbindung bringen könnte.

Um vielleicht doch noch einen Zusammenhang zwischen Johann Sebastian Bach und Bier herzustellen, haben sich Wissenschaftler der Hochschule Anhalt und Bach-Liebhaber auf die Suche gemacht.

Bach war ein Genussmensch

Beim Betrachten der Gemälde, die von Bach erhalten sind, wird schnell klar: Dieser Mann war kein spröder Kostverächter. Als Vertreter des Barockzeitalters hatte er es fast im Blut, sein Leben auch üppig zu führen. Bach, Lebensfreude, Essen und Trinken – das gehört einfach zusammen. Aus dem Jahr 1716 ist ein Bewirtungsbeleg von ihm erhalten, der zeigt, wie gern er wohl gegessen hat und wie viel er auch an Alkohol vertragen konnte. Er war eben ein typischer Vertreter des Barockzeitalters: Ihm war seine Sterblichkeit bewusst, aber umso mehr konnte er auch das Leben in seiner Fülle genießen.

Handwerkliche Kunst in Perfektion

Man kann also vermuten: Bestenfalls war Bach als Konsument an Bier interessiert, aber nicht als Musiker, der das Getränk zum Thema machte. Doch der Gerstensaft und die Musik von Bach haben Parallelen. Seine Kompositionen sind komplex und durchdacht, kommen nicht aus einer Gefühlsduselei und Innerlichkeit heraus, sondern basieren auf Wissen und handfestem jahrelang erlernten Können. Seine Kunst „befasst sich mit den physikalischen Zahlengrundlagen der Musik und betrachtet ‚nur die Rationes und Proportiones, Art und Weiß der Music‘. Musik ist in diesem Sinne Kosmologie, in ihr spiegelt sich die göttliche Schöpfungsordnung, deren Zahlengesetze in Intervallen, Harmonien, Rhythmen und Formen wirksam sind“ [1]. Die Schönheit Bachscher Musik besteht eben nicht nur in den Melodien, sondern entsteht auch durch Struktur, Proportion, Physik, Zahlenverhältnisse und dem souveränen Umgang damit.

Ein Mann, der die Zahlen liebte

Bach konstruiert förmlich seine Werke, wie die in Köthen entstandene Chaconne in d-moll für Violine solo (BWV 1004). In 264 Takten baut er darin über ein einziges viertaktiges Thema, das am Ende des Werkes wiederholt wird, eine Reihe von 64 Variationen auf. Jede Variation besteht aus vier Takten. Die Barockzeit hatte eine Vorliebe für Zahlenverhältnisse und Ratespielchen, sodass die Vier hier symbolisch für das viersaitige Instrument stehen kann, für die die Chaconne geschrieben wurde. Da sie eine Art musikalischer Grabstein für Bachs erste verstorbene Frau war, lässt sich auch vermuten, dass die Vier eine Allegorie auf die vier Lebensalter sein könnte oder auf die vier Temperamente. Ähnliche Zahlenspiele kann man bei Bach auch mit der Zahl Drei entdecken, die naheliegend für seinen religiösen Hintergrund als Sinnbild für die Dreifaltigkeit steht, wie man es eindrucksvoll in Präludium und Fuge in Es-Dur (BWV 552) entdecken kann. Hier führt Bach zunächst drei separate Themen symbolisch für Gott Vater, Sohn und Heiliger Geist in einzelnen Fugen durch, um sie nach und nach kunstvoll miteinander zu verschmelzen.

Abb. 1 Historische Rohstoffe: a) Typische Landgerste [2] und b) Rottenburger Spät Hopfen [4]

Bach und Bier – es gibt Parallelen. Ein Bier, das Bach im Namen trägt, muss auch für das stehen, was seine Musik ausmacht: Wissen, Können und ein Gespür für das rechte Maß. Diesem Anspruch folgend wurde an der Forschungs- und Lehrbrauerei der Hochschule Anhalt in Köthen anlässlich der Bachfesttage ein Bier entwickelt, das diesem Dreiklang folgt.

Historische Rohstoffe und traditionelles Maischverfahren

Von der Rohstoffauswahl bis hin zur Würze- und Bierbereitung wurde großer Wert daraufgelegt, den Ansprüchen Johann Sebastian Bachs gerecht zu werden. Auf der Suche nach einer Gerstensorte, die wohl zu Lebzeiten Bachs zum Bierbrauen Verwendung fand, fiel die Wahl auf eine Landgerste. Diese Gerstenvarianten wurden seit sehr früher Ackerbauzeit bis nach 1900 in vielen Teilen Europas angebaut [2]. Später begann man aus den Landgersten die heutigen Gersten herauszuzüchten. Die früheren Formen unterscheiden sich aber deutlich durch stärkeres Wachstum von Halm und Wurzel. Da die Wurzeln der Landgerste tief in das Erdreich eindringen, bringen diese die typischen Geschmacksvariationen in das Korn, wie sie im Weinbau als Terroir bezeichnet werden [3]. Neben dem regionaltypischen, charaktervollen Geschmack entsteht durch den hohen Eiweißgehalt eine grasige Frische. Allen Landgersten gemein ist die nickende Ähre (Abb. 1a).

Abb. 3 Giovanni – Festival-Bier der Köthener Bachfesttage

Für die Hopfengabe kam ebenfalls eine historische Sorte zum Einsatz, die schon lange aus den Sortenlisten verschwunden war: der Rottenburger Spät (Abb. 1b). Ursprünglich angebaut wurde er im längst aufgegebenen Hopfenbaugebiet Rottenburg-Herrenberg-Weil der Stadt [4]. Nur eine einzige widerspenstige, zähe Pflanze am Ende einer Spitzreihe hatte klammheimlich die letzten Jahrzehnte überlebt, weil man sie nur noch aus Nostalgie dort wachsen ließ. Im Frühjahr 2014 konnte in einem neu angelegten Hopfengarten diese aus dem letzten verbliebenen Stock mühsam vermehrten Pflanzen wieder kultiviert werden [4]. Beschrieben wird der Rottenburger als fein, blumig, mild und beinahe süßlich, sein Aroma lässt sich mit Zedernholz, Sandelholz, Kiefer, grüner Paprika und Pfefferminze vergleichen. Wie für alte Landsorten üblich, liegt sein Alphasäuregehalt bei nur drei bis fünf Prozent.

Analog zur Rohstoffauswahl wurde für die Würzebereitung ein Drei-Maisch-Verfahren, wie es lange für mitteleuropäische Lagerbiere typisch war, gewählt [5]. Im Gegensatz zum Infusionsverfahren, wo hauptsächlich zwei Instrumente, ein Thermometer und eine Uhr zum Einsatz kommen, spielt bei der Dekoktion nur die Volumenmessung eine Rolle, da die kochende Maische, zumindest nahe Meereshöhe, immer 100 °C aufweist. Beim Drei-Maisch-Verfahren werden drei Teilmaischen von jeweils etwa einem Drittel des Gesamtvolumens gekocht. Früher wurde die Maische mit Hilfe eines Maischholzes gemaischt und mit einem Schöpfer die Teilmaische in die Kochpfanne transferiert. Beide Handwerkzeuge sind noch heute im traditionellen Zunftzeichen der Brauer abgebildet. Da bei Landgersten mit einem erhöhten Eiweiß- und Schleimstoffgehalt zu rechnen ist, wurde diesem Umstand durch das Drei-Maisch-Verfahren und der sich daraus ergebende langen Eiweißrast technologisch Rechnung getragen. Das Bier wurde im 3-Geräte-Sudwerk der Hochschule Anhalt bereitet (Abb. 2).

Abb. 4 Plakat der Köthener Bachfesttage

Darüber hinaus wurde, um der Zahl Drei treu zu bleiben, dreimal beim Läutern angeschwänzt und der Hopfen auf drei Gaben während des Würzekochens aufgeteilt.

Herausgekommen ist ein goldenes Märzenbier mit einem Alkoholgehalt von 5,0 Volumenprozent, einer Stammwürze von 13 °Plato und dem schönen Namen „Giovanni“, Anna Magdalena Bachs Kosenamen für ihren Mann (Abb. 3). Vom 2. bis 6. September 2020 wird das Bier während der Köthener Bachfesttage ausgeschenkt – wohltemperiert natürlich!

Danksagung

Zunächst danken wir Volkert Uhde, dem Intendanten der Köthener Bachfesttage, und Prof. Jörg Bagdahn, Präsident der Hochschule Anhalt, für die Idee, ein spezielles Festival-Bier zu entwickeln. Unser Dank gilt auch dem Ehepaar Lang der Rhön-Malz GmbH, die sich der Verarbeitung alter Getreidesorten verschrieben haben, für die großzügige Spende der historischen Landgerste. Ludwig Lochner, Inhaber der Locher-Hopfen GbR, möchten wir für die spontane Hopfenlieferung des Rottenburger Spät danken. Ein besonderer Dank gebührt Marcel Rode, Organist, Pianist, Dirigent und Komponist aus Fürth, für die hervorragende wissenschaftlich-musikalisch Unterstützung und das unermüdliche Auszählen vieler Takte.

Quellen

1. Prautzsch, L.: Vor deinen Thron tret ich hiermit – Figuren und Symbole in den letzten Werken Johann Sebastian Bachs, Carus, Neuhausen-Stuttgart, 1980.
2. Schulze, U.: „Braugerste mit Geschichte“, BRAUWELT Nr. 19, 2019, S. 512-515.
3. Landwirtschaftskammer Nordrhein-Westfalen (Hrsg.): andersARTig – Backen – Brauen – Brennen – Ährenvolles Erbe, Münster, 10/2018, https://www.landwirtschaftskammer.de/Landwirtschaft/ackerbau/pgr/index.htm
4. Locher-Hopfen GbR (Hrsg.): Locher-Hopfen Special Varieties – Rottenburger, 2016, http://www.locher-hopfen.de/index2.php?navi=specials
5. Gretzschel, M.: Verkocht und zugebrüht – brau!magazin, brau!technik, Winter 2014/15, https://braumagazin.de/article/verkocht-und-zugebrueht/

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