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10.03.2025

Giganten der Biergeschichte: Carl und Karl Lintner

Vater und Sohn | In dieser Reihe gab es schon einige Konstellationen von zwei oder mehreren Personen: Ehepaare, Brüder, Arbeitskollegen, gemeinsame Gründer, auch Konkurrenten um die gleiche Erfindung. Aber Vater und Sohn, das ist bislang noch nicht vorgekommen. Und doch stehen diese beiden Herren am Anfang der brauwissenschaftlichen Tradition Weihenstephans.

Beide hießen auch noch gleich – nämlich Carl, so dass dem Sohn offenbar anfangs ein „Junior“ angehängt wurde. Für einen gestandenen Hofrat und Professor ziemte sich der Junior aber offenbar nicht, so dass man später den Karl bzw. Karl Josef Ludwig findet. So wollen wir es hier auch halten: Mit „Carl“ ist der Vater gemeint, bei „Karl“ sprechen wir vom Sohn. Und einmal mehr beginnt unsere Geschichte in München.

Mitbegründer von Weihenstephans weltweitem Brauerruhm

Aus dem frühen 19. Jahrhundert sind biografische Daten einfacher Menschen rar. Selbst, wenn die Person später berühmt und/oder erfolgreich war, liegen Kindheit und Jugend oft im Dunklen. Bisweilen hilft dann ein glücklicher Zufallsfund im Internet. Wie in diesem Fall. Carl Lintner kam am 3. Februar 1828 in München zur Welt, als Sohn eines königlichen Hofbeamten.

Carl Lintner senior (Foto: Illustriertes Brauerei-Lexikon, Max Delbrück et al., Parey Verlag, Berlin, 1925)

Er besuchte in München die Volks- und Lateinschule. Da er offenbar eine etwas schwächliche Konstitution besaß, machte er das Beste draus und vergrub seinen Kopf in Büchern, während seine Freunde und jüngeren Geschwister draußen herumtollten. Seine kindliche Ernsthaftigkeit passte offenbar gar nicht zu den Erinnerungen der Älteren, die ihn als frohsinnig und humorvoll beschrieben, und zwar bis ins Alter.

Nach Beendigung der humanistischen Schule begann er 1844 eine Ausbildung als „pharmazeutischer Chemiker“ in der königl. Leib- und Hofapotheke. Sein Ausbilder war der Medizinalrat Franz Xaver Pettenkofer, Onkel des späteren Begründers der modernen Hygiene, Max von Pettenkofer. Max v. Pettenkofer hatte nur fünf Jahre vor Lintner am gleichen Ort seine Ausbildung gemacht, bevor er Weltruhm erlangte.

Franz Xaver Pettenkofer gelang es auch, den jungen Lintner für die Wissenschaft zu begeistern. Als Lehrling durfte er am Münchner Polytechnikum Vorlesungen lauschen. So wurde er Schüler der damals berühmten Professoren Johann Nepomuk Fuchs (1774-1856) und Kajetan Georg von Kaiser (1803-1871). Fuchs, ab 1854 „von Fuchs“, war Chemiker und Mineraloge. Aber er beschäftigte sich bereits mit Bier, im Rahmen chemischer Untersuchungen. Der Chemiker Kajetan von Kaiser war zuerst selber ein Fuchs-Schüler und lehrte technische Chemie. Später dann als Technologieprofessor ab 1851 an der Ludwig-Maximilians-Universität.

Von Kaiser erkannte offenbar als erster die Bedeutung der Brauerei für die industrielle Zukunft Bayerns und führte die Wissenschaft in diese Branche ein. Oder auch umgekehrt, je nach Sichtweise. Von Kaiser gab neben theoretischen Vorlesungen auch praktische Bierbrauerkurse, die von den Studenten aus dem In- und Ausland gut angenommen wurden. Somit war er der direkte Vorläufer für Lintners späteres Leben und Werk. Von Kaiser entwickelte sogar ein eigenes Saccharometer (s. BRAUWELT Nr. 47-48, 2022, S. 1251–1253) und führte Pasteurs Werk (s. BRAUWELT Nr. 20, 2023, S. 502–504) in die Brauereivorlesungen ein.

Über die Pharmazeutik zum Bier

Carl Lintner legte 1847 sein erstes pharmazeutisches Examen mit Auszeichnung ab und erwarb dann Berufspraxis in zwei Apotheken und einer Fabrik. Im Herbst 1850 begann er sein Studium in München, wobei er nach zwei Semestern bereits das Staatsexamen mit der Note 1 bestand! Sofort erfolgte eine Berufung als Assistent am pharmazeutischen Institut. Hier zeigte sich erstmals seine Begabung als Lehrer, denn er erteilte Tutorien und Privatstunden mit so großem Erfolg (als Beweis konnte man die verbesserten Noten seiner Schüler anführen), dass sein Professor dies ausdrücklich im Zeugnis erwähnte.

Nebenbei bereitete er sich auf das technische Lehramt in Chemie, Technologie und Naturgeschichte vor. Die Prüfung dazu bestand er im Juni 1853. Zwei Jahre später folgte der Doktortitel, mit einer Untersuchung über die „Digitalis purpurea“ (den Fingerhut) und Flachs.

Ab 1853, noch vor seinem Doktortitel, sehen wir ihn in Kaufbeuren, wo er sechs Jahre lang als Lehrer für „Natur- und Gewerbskunde“ und so genannter „Verweser“ an der Landwirtschafts- und Gewerbeschule wirkte. Dort in Kaufbeuren erblickte auch sein Sohn Karl Josef Ludwig (zu dem wir später kommen) am 3. Oktober 1855 das Licht der Welt.

1859 folgte er einem Ruf nach Lindau am Bodensee, als Rektor der neuen Gewerbe- und Handelsschule sowie Lehrer für Chemie und Naturgeschichte. Der für uns interessanteste Teil von Lintners Leben beginnt allerdings erst vier Jahre später. Mit 35 Jahren zog es ihn schließlich nach Weihenstephan. Hier begann er, die Brauerei endgültig zu seinem Hauptfach zu machen.

Der bereits vorhandene Unterricht und die rudimentären Strukturen wurden von ihm gründlich und effektiv neu organisiert. Von seinem Beginn in Weihenstephan 1863 dauerte es nur zwei Jahre, und der erste, noch einsemestrige „Brauer-Cursus“ begann. Im ersten Jahr mit acht Studenten, im zweiten bereits mit 17. Ab 1874 ging der Studiengang dann über ein volles Jahr, mit 15 verschiedenen Fächern. Bis dahin hatten sich die Studentenzahlen bereits verfünffacht! Erstklassige, alltagstaugliche Bierbrauer sollten daraus hervorgehen, deshalb war der Kurs anfangs eher handwerklich geprägt. Bemerkenswert ist allerdings, dass zu Beginn rund zwei Drittel der Studierenden nicht aus Bayern kamen. Lintner kümmerte sich so aufopferungsvoll um seine Studenten, verbrachte ganze Sonntage und Abende mit Repetitorien und Beratungen, so dass er den Beinamen „Vater Lintner“ erhielt.

Erste Fachzeitschrift und erste wissenschaftliche Station

Am 15. Januar 1866 erschien die Erstausgabe der Zeitschrift „Der bayerische Bierbrauer“ mit 24 Seiten. Diese Zeitung, das erste bayerische Brauereifachblatt, war eine Gemeinschaftsarbeit von Lintner und seinem Mitarbeiter Dr. Karl Reischauer gewesen und erschien dann ein Mal im Monat. 1877 verstarb Dr. Reischauer, und die Zeitung wurde eingestellt. An dieser Stelle sei die Anmerkung erlaubt, dass Johann Carl, Gründer des Fachverlags Hans Carl, bereits fünf Jahre früher am Start war, sich jedoch anfangs auf den Hopfenmarkt konzentrierte („Allgemeine bayerische Hopfenzeitung“). Daher ist der Anspruch von Lintners Zeitung als erstes Brauer-Fachblatt korrekt. Der Nachfolger (ab 1878) nannte sich „Zeitschrift für das gesamte Brauwesen“ und wurde nach Lintners Tod noch bis 1943 weitergeführt.

Im Jahr 1873 gründete Lintner in Weihenstephan die erste wissenschaftliche Station für das Brauereiwesen, drei Jahre später, als Folge eines Aufsehen erregenden Vortrags Lintners beim dritten „Deutschen Brauertag“, einen Verein zur Unterstützung der Versuchsstation. Lintner war in der Leitung der Station aktiv bis 1882, offizieller Leiter war jedoch Dr. Reischauer, bis 1877. Die Resultate sprachen für sich, die Studenten wurden in Theorie wie Praxis immer besser geschult, und Lintner war der Leuchtturm des aufblühenden Brauwesens in Weihenstephan.

Mit 1. April 1880 übertrug ihm die königl. Staatsregierung die Leitung von Schule und Staatsgut. Nun hatte er weniger Zeit zur Lehre, sondern musste sich mit der Verwaltung auseinandersetzen. Er tat es angeblich nicht so gerne, aber er kämpfte auch hier für „seine Schule“. Zehn Jahre lang hielt er die Fäden in der Hand. Dann ließ er sich, körperlich angeschlagen, 1890 in den Ruhestand versetzen.

Erfolgreiche Bücher, Ruhm und Ehre

Professor Lintner schrieb viel und eifrig. Schon vor seiner Lehrtätigkeit in der Brauerei und dem „Bayerischen Bierbrauer“ hatte er über Pharmazie schriftlich referiert. 1877 erschien dann erstmals sein wichtigste Werk: Das „Lehrbuch der Bierbrauerei“, das bereits ein Jahr später in die 7. Auflage ging und Vorgänger des heutigen Standardwerks „Abriss der Bierbrauerei“ war. Lintners klangvoller Titel auf dem Bucheinband: „Professor der Chemie und Special-Vorstand der technologischen Abteilung für Brauerei an der königl. bayer. Landwirtschaftlichen Centralschule in Weihenstephan“.

Mit Ruhm und Ehre wurde er im, aber auch schon vor dem Ruhestand reichlich überhäuft. Es gab die Ernennung zum Königl. Hofrat, die Verleihung des Ritterkreuzes 1. Klasse sowie das Ritterkreuz des schwedischen Wasaordens und einige andere Ehrungen und Ehrendiplome. Vom 13.–15. Juni 1896 gab es in Weihenstephan ein „Lintner-Fest“, bei dem ein Standbild des Professors feierlich enthüllt wurde. Spätere Schüler stellten an seinem Lieblingsplatz am Weihenstephaner Berg eine Bank auf mit der Inschrift „Lintners Ruhe“. Und ein dankbarer, seefahrender Schüler aus Schweden benannte sogar einen Dreimaster nach ihm.

Professor Lintner verstarb am 14. Januar 1900, hochgeachtet und geliebt. Seine Freunde und Kollegen lobten seinen Humor und seine Herzensgüte. Er hinterließ seine Gattin (von der wir leider nichts wissen), eine Tochter sowie einen Sohn, Karl. Dem wir uns nun zuwenden wollen.

Wie der Vater, so der Sohn

Der Sohn ging einen ähnlichen Weg wie der Vater. Zuerst absolvierte er das Gymnasium in Freising, danach studierte er Naturwissenschaften an der Universität München, mit Schwerpunkt Chemie. Er wurde Assistent bei Professor Dr. Volhard, einem Neffen Justus von Liebigs. Gemeinsam wechselten die beiden, Professor plus Assistent, 1878 zur Universität Erlangen. 1882 trennten sich ihre Wege. Volhard ging nach Halle an der Saale und machte dort Karriere, Lintner promovierte in München.

Karl Lintner junior (Foto: Illustriertes Brauerei-Lexikon, Max Delbrück et al., Parey Verlag, Berlin, 1925)

Bald darauf war er jedoch ebenfalls in Halle, arbeitete kurz in der dortigen „Agrikultur-chemischen Versuchsstation“, bevor er 1883 an der VLB in Berlin als Assistent anheuerte. Der Berliner Aufenthalt war kurz, bereits 1884 war Lintner zurück in München, wo er an der TH habilitierte.

Von 1885–88 assistierte er an der Landwirtschaftlichen Zentralversuchsstation für Bayern, dann erfolgte die Beförderung zum außerordentlichen Professor, der 1896 in eine ordentliche Professur umgewandelt wurde. Sein Fach umfasste die Gärungschemie, Chemie der Nahrungs- und Genussmittel sowie der landwirtschaftlichen Gewerbe. Von 1902 bis 1914 stand er dann der wissenschaftlichen Station Weihenstephan als Direktor vor. Allerdings nur nebenamtlich, denn im Hauptberuf war er, wie erwähnt, ordentlicher Professor für angewandte Chemie an der TH München. Von 1915–17 firmierte er sogar als Rektor der Technischen Hochschule München.

Das Familiengrab der Lintners auf dem Alten Südlichen Friedhof in München (Benutzer Xocolatl, https://commons.wikimedia.org/wiki/File:AIMG_6940_M_Suedfriedhof_Lintner.jpg, CC BY-SA 4.0)

Weihenstephan ließ ihn aber nie los. Unter Karl Lintners Ägide wurden dort große Fortschritte in der Hopfenforschung erzielt, wie überhaupt der wissenschaftliche Ansatz immer mehr an Priorität gewann. Zahlreiche bedeutende Arbeiten in dieser Zeit untermauerten den Ruf Weihenstephans als Zentrum des Brauwissens.

1917 wurde er, auch hier dem Vater folgend, zum Königl. Hofrat ernannt. Die VLB trug ihm die Ehrenmitgliedschaft an. Und auch Karl Lintner schrieb aktiv und viel. Er setzte mit dem „Grundriss der Bierbrauerei“ das Werk seines Vaters fort, schrieb über die Landwirtschaft in Bayern, verfasste Abhandlungen über Enzyme, Diastase, Stärke, Gerste und Malz oder die Chemie des Hopfens. Vieles davon erblickte in der „Zeitschrift für das gesamte Brauwesen“ erstmals das Licht der Welt.

Am 1. November 1922 verabschiedete sich Karl Lintner in den verdienten Ruhestand. Dieser war ihm nur dreieinhalb Jahre vergönnt, denn er verstarb am 9. April 1926. Das Familiengrab der Lintners befindet sich auf dem Münchner Südfriedhof. Freising ehrte die beiden Wissenschaftler posthum mit einer „Lintnerstraße“. Und seit 1977 gibt es in München-Milbertshofen den „Lintnerweg“.

Karl Lintner war nicht der einzige erfolgreiche Zögling seines Vaters

In dieser Geschichte sollte jedoch ein Name nicht unterschlagen werden: Louis Aubry (1844-1901), auch erst ein Schüler und dann Assistent Lintners, war praktisch das Bindeglied zwischen Vater und Sohn. Er übernahm nach Reischauers Tod 1877 die Leitung der Station bis 1901 und wurde dann von Karl Lintner beerbt. Aubrys größtes Verdienst war jedoch, dass er als Erster die Hefereinzucht nach Hansen (s. BRAUWELT Nr. 45–46, 2021, S. 1174–1177) in die deutsche Brauereipraxis einführte. Zu den prominenten Namen, die in dieser Folge bereits im Zusammenhang mit der Entwicklung des wissenschaftlichen Brauwesens in Weihenstephan genannt wurden (u.a. Sedlmayr, Buchner, Ganzenmüller, Narziß), dürfen daher die Namen Lintner, Reischauer und Aubry, aber auch von Fuchs und von Kaiser, gerne hinzugefügt werden.

Übrigens sind fast alle Schriften der Lintners aus dieser Zeit mittlerweile digital und frei verfügbar. Vom „Bayerischen Bierbrauer“ bis zu den Lehrbüchern.

Lernen Sie in unserem Dossier: Giganten der Biergeschichte weitere herausragende Persönlichkeiten der Braugeschichte kennen.

Quellen

  1. Bier, Wissenschaft und Wirtschaft in Deutschland 1800-1914, von Mikuláš Teich, Böhlau Verlag, Wien, 2000.
  2. Illustriertes Brauerei-Lexikon, Max Delbrück et al., Parey Verlag, Berlin, 1925.
  3. https://de.wikipedia.org/wiki/Carl_Lintner, abgerufen am 19.12.2024.
  4. https://de.wikipedia.org/wiki/Karl_Lintner, abgerufen am 19.12.2024.
  5. https://www.google.com/search?udm=36&q=Zeitschrift+f%C3%BCr+das+gesamte+Brauwesen, abgerufen am 19.12.2024.

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